03.04.2003

"Herr Theobald, warum müssen Sie Ihre Auflagen kaschieren?"

Tamedia behauptet, seit diesem Jahr nur noch die tatsächlich verkaufte Auflage (Abonnemente und Einzelverkauf) ihrer Titel beglaubigen zu lassen. Den von der Wemf zugelassenen Spielraum wolle sie nicht mehr ausschöpfen. Das führte in der jüngsten Beglaubigung zu markanten Einbussen: Facts etwa verzeichnet einen Rückgang von 22.4 Prozent, Annabelle gar von 26.3. Doch will Tamedia nicht bloss reale Auflageneinbrüche vertuschen? "persoenlich.com" hat sich mit Alexander Theobald (Bild) unterhalten, dem Bereichsleiter Zeitschriften von Tamedia. Das Interview:
"Herr Theobald, warum müssen Sie Ihre Auflagen kaschieren?"

Auflagenschwunde von bis zu 26 Prozent sind massiv. Wieviele der beispielsweise bei Facts verlorenen 23’163 Exemplare gehen tatsächlich auf das Konto der neuen Tamedia-Doktrin?

Die genaue Zahl möchte ich nicht nennen. Nur so viel: Hätten wir den vollen Spielraum der Wemf ausgeschöpft, läge die Auflage knapp zwischen 95'000 und 100'000 Exemplaren.

Lassen Sie uns rechnen: Wenn man bei der Schweizer Familie die Meyer's-Abos berücksichtigt, beträgt die "Bereinigung" allerhöchstens 8.5 Prozent. Ceteris paribus bleiben für Annabelle und Facts Realverluste von mindestens 17 respektive 11 Prozent. Wie erklärt sich die Differenz?

Ihre Rechnung stimmt so nicht. Denn die im vergangenen Juni übernommenen Meyer's-AbonnentInnen haben die Schweizer Familie bis zum Ablauf ihres Abos gratis erhalten. Umwandlungen haben wir monatsweise verbucht -- ein Beispiel: Nehmen wir an, im November seien die Rechnungen von 3000 ehemaligen Meyer's-LeserInnen fällig geworden, und die Hälfte habe sich für ein Abonnement der Schweizer Familie entschieden. Dann fliessen diese 1500 Abonnemente erst ab November in die Beglaubigung ein, und haben damit nicht das ganze Gewicht. Den vollen "Meyer's-Effekt" sehen wir somit erst bei der nächsten Beglaubigung. Jedenfalls ist die Schweizer Familie in allen Kanälen leicht wachsend.

Tamedia sagt, sie hätte die an Swiss gelieferten Facts-Exemplare nicht in ihre Beglaubigung aufgenommen. Hat die Fluggesellschaft das Nachrichtenmagazin nicht bereits vor einem Jahr aus dem Sortiment gekippt?

Das war so: Facts lieferte früher regelmässig mehrere Tausend Exemplare an die Swiss. Aufgrund eines kritischen Artikels wurde das Nachrichtenmagazin aber verbannt. Später kam es wieder zu einer Einigung, kurz darauf führte ein weiterer kritischer Bericht erneut zu Schwierigkeiten. Wir entschieden damals zugunsten unserer publizistischen Unabhängigkeit. Dennoch hätten wir auch dieses Jahr einige Tausend Exemplare beglaubigen lassen können, was wir wegen unserer neuen Beglaubigungsmethode aber nicht wollten. -- Die Leserschaft von Facts ist jedenfalls leicht wachsend.

Durch diese neue Art der Beglaubigung wird der Rückblick auf das Vorjahr zu einem Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Warum müssen Sie Ihre wahren Auflagen mit technischen Änderungen kaschieren?

Das sind keine technischen Änderungen. Vielmehr haben wir unsere Zahlen auf eine neue Basis gestellt, um härtere Werte ausweisen zu können. Unsere Währung im Werbemarkt ist die Leserschaft, sie ist unserer Meinung nach zentraler als die Auflage. In den vergangenen Jahren haben alle Verlage sehr stark auf Auflagenmaximierung hingearbeitet und das Reglement ausgeschöpft. Das ist teuer, deshalb wollen wir damit aufhören. Aufgrund unserer Studien wissen wir heute, wie wir unsere Leser erreichen. Um unseren Werbepartnern Vergleiche zu erleichtern, kommunizieren wir Zusatzinfos, die wir uns auch eine schöne Stange Geld kosten lassen.

Den Verdacht einer Verschleierungsaktion zu entkräften wird trotzdem schwierig sein -- zumal die Glaubwürdigkeit des Hauses mit dem Express-Manöver nicht eben zugenommen hat. Wie reagieren denn die Kunden?

Die ersten Kundengespräche waren in der Grundaussage positiv. Unser Ansatz wurde zwar intensiv diskutiert, letztlich aber verstanden. Das ermutigt uns.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren