07.10.2021

Eric Gujer

«Heutzutage spielt jeder sein eigenes Spiel»

Eric Gujer ist nun seit bald sieben Jahren Chefredaktor der NZZ. «persönlich» hat sich mit dem 59-Jährigen über den Zustand der Welt, seine Ablehnung der direkten Medienförderung und den Grund unterhalten, warum die NZZ das Geld vom Staat trotzdem nehmen würde.
Eric Gujer: «Heutzutage spielt jeder sein eigenes Spiel»
Gujer hat dem einzigen Schweizer Weltblatt seinen Stempel aufgedrückt: durch Kommentare gegen den Rahmenvertrag, die SRG und Mediensubventionen oder durch provokante Wortschöpfungen wie «Seuchensozialismus». (Bild: Marc Wetli)
von Matthias Ackeret

Herr Gujer, Corona hat unsere Gesellschaft vollständig auf den Kopf gestellt. Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie würden Sie diese einschätzen?
Es steht ein schwieriges Jahrzehnt bevor, weil die grosse Stabilität, die seit dem Mauerfall und bis vor wenigen Jahren vorherrschte, vorüber ist. Bei allen Differenzen hielten sich die traditionellen Grossmächte und auch die EU an bestimmte Regeln. Dies ist nun vorbei.

Warum?
Heutzutage spielt jeder sein eigenes Spiel. Eine solche Situation sind wir nicht mehr gewohnt, und entsprechend gross sind die Risiken – auch für die Schweiz. Das Coronavirus hat dies akzentuiert, indem man gesehen hat, wie China und Russland durch Impfstoffdiplomatie versucht haben, zusätzlich zu punkten, während dies den USA und ihren Verbündeten mit ihren Impfstoffspenden weniger gut gelungen ist.

Welche Auswirkungen haben die Ereignisse in Afghanistan auf unsere Zukunft?
Die mit dem Fall der Berliner Mauer geborene Ideologie, der Westen müsse Demokratie-Export betreiben, notfalls auch mit Waffengewalt, gerät an ihren Endpunkt. Wir werden jetzt ein Revival der Realpolitik erleben. Das ist auch deshalb nötig, weil mit China und Russland die klassische Konfrontation der Grossmächte zurückkehrt. Wir können nur hoffen, dass diese in ein Gleichgewicht der Mächte und nicht in den Dschungel – jeder gegen jeden – mündet.

«Das Virus wird nicht verschwinden»

Wie beurteilen Sie die Lage der Schweiz für die nächsten Jahre?
Es stellt sich in erster Linie die Frage, ob wir uns langfristig an eine in der Pandemie schleichend ausgeweitete staatliche Einmischung gewöhnen sollten. Ich verneine das ganz klar.

Was heisst das? Sie haben in Ihrer Zeitung vor allem den Begriff «Seuchensozialismus» geprägt.
«Seuchensozialismus» bedeutet, dass sich der Staat während der Pandemie immer mehr Kompetenzen angeeignet hat. Zudem finden aufgrund der vielen Subventionen starke Verschiebungen zulasten der Privatwirtschaft statt. Diese Tendenzen gilt es im Auge zu behalten. Im europäischen Vergleich zählt die Schweiz, was den «Seuchensozialismus» betrifft, immer noch zu den «besseren» Ländern. Trotzdem ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit.

Bitte.
Obwohl der Bundesrat eine Normalisierungsphase angekündigt hat, hat er keine weiteren Lockerungen beschlossen. Noch ist unklar, ob dereinst auch wieder eine Phase eingeläutet wird, bei der die Selbstverantwortung des Einzelnen im Vordergrund steht. Es fällt mittlerweile vielen Menschen schwer, sich ein anderes Leben vorzustellen als eines mit dauerhaften Corona-Restriktionen. Das Virus wird nicht verschwinden. Wir müssen uns daher fragen, ob wir auf viele Jahre so weitermachen wollen oder ob wir nicht zur Normalität zurückkehren sollten. Die Impfung wirkt, und sie schützt.

«Am Ende werden die Medien immer stärker vom Staat abhängen»

Wie erleben Sie die staatlichen Eingriffe?
Ein Beispiel: Gerade wird diskutiert, ob Restaurants nur noch mit Zertifikat für Geimpfte und Genesene geöffnet haben dürfen. Getestete würden ausgesperrt. Warum überlässt man die Entscheidung nicht dem Beizer? Hinzu kommt eine grundsätzliche Überlegung: Tatsache ist doch, dass bereits vor Corona Infektionskrankheiten existierten. Daran wird sich auch künftig nichts ändern, zumal auch andere Erreger auftauchen werden, die weitaus problematischer als Covid-19 sein könnten. Ich halte es deshalb für gefährlich, sich derart auf ein einziges Virus zu fokussieren.

Sie kritisieren in der NZZ auch die staatlichen Eingriffe bei den Medien. So lehnen Sie und die NZZ-Redaktion das Medienpaket von 178 Millionen Franken ab, von dem vor allem die Grossverlage profitieren und gegen das das Referendum ergriffen wurde (persoenlich.com berichtete). Warum?
Unser Berufsstand sollte nicht von Subventionen leben. Das ist meine liberale Überzeugung. Es gibt bereits Überlegungen, die Förderung aus dem Medienpaket an Parameter wie Diversität, bestimmte Quoten oder mehr Demokratierelevanz zu knüpfen. Am Ende werden die Medien immer stärker vom Staat abhängen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Es gibt Diskussionen darüber, dass der Staat die Einhaltung bestimmter Prinzipien vorschreibt, um in den Genuss der Gelder zu kommen. Solche Regeln lassen sich sehr willkürlich gestalten. Wir mussten während Corona die falsche Diskussion führen, ob Medien Kurzarbeitsentschädigung beantragen können oder nicht.

«Es war nicht einmal möglich, ein Radiostudio von Bern nach Zürich zu transferieren, ohne dass dies zu einer Staatsaffäre erklärt wurde»

Ihre Meinung?
Selbstverständlich haben sie Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Das ist eine Versicherungsleistung, und ich halte dieses Instrument, das während der vergangenen Monate seine Wirksamkeit bewiesen hat, für sehr wichtig. Sie ist zudem von der Branche unabhängig. Die Presseförderung kann hingegen dazu dienen, Einfluss auf die Medien zu nehmen – auch in politischer Hinsicht. Am besten sieht man dies bei der SRG. Wenn sich diese einen vermeintlichen oder einen tatsächlichen Lapsus leistet, reagiert sofort Bundesbern mit allen möglichen Parteien. Es war nicht einmal möglich, ein Radiostudio von Bern nach Zürich zu transferieren, ohne dass dies zu einer Staatsaffäre erklärt wurde. Eine solche Situation wünsche ich mir nicht für die privaten Medien.

Unterstützen Sie das Referendum gegen das neue Mediengesetz, das ein Komitee von Unternehmern und Verlegern lanciert hatte?
Wie gesagt, die NZZ-Redaktion befürwortet das Medienpaket nicht. Aus Gründen der Transparenz möchte ich jedoch hervorheben, dass ich nicht nur Chefredaktor bin, sondern auch Mitglied der Geschäftsleitung des Unternehmens NZZ. Das Unternehmen hat sich – wie die anderen Grossverlage und die Mehrheit des Parlaments – für dieses Medienpaket ausgesprochen. Wird also besagtes Gesetz umgesetzt, was ich nicht glaube, wird auch die NZZ die finanzielle Unterstützung annehmen, allein schon, um eine Wettbewerbsverzerrung zu verhindern.

Aber es wäre konsequenter, auf das Geld zu verzichten ...
Ja, aber wir würden in diesem Fall freiwillig einen Nachteil gegenüber den Wettbewerbern in Kauf nehmen, was in einer Marktwirtschaft jeder tunlichst unterlassen sollte. Diese Argumentation zeigt jedoch die Absurdität solcher Subventionen auf, die immer zu Wettbewerbsverzerrungen führen.



Das ausführliche Interview mit Eric Gujer lesen Sie in der aktuellen Printausgabe von «persönlich».



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Kommentare

  • Rudolf Penzinger, 07.10.2021 09:38 Uhr
    «Seuchensozialismus» - Mit diesem Begriff begibt sich Gujer auffallend deutlich in die Nähe der rechtsrechten Corona-Leugner. Wen will er wohl ansprechen?
  • Sebastian Renold, 07.10.2021 08:44 Uhr
    "Es steht ein schwieriges Jahrzehnt bevor, weil die große Stabilität, die seit dem Mauerfall und bis vor wenigen Jahren vorherrschte, vorüber ist." Der "Mauerfall", nicht das Ende des Kommunismus in Europa - bezeichnend: Gujer denkt in ausschliesslich d e u t s c h e n Kriterien! "... über alles in der Welt".
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