29.12.2020

Das war 2020

«Ich habe einen Corona-Kulturschock»

Isabelle Jacobi ist für einen Monat in der Schweiz. Im Interview redet die USA-Korrespondentin von Radio SRF und SRF News über ein intensives Jahr, Heimweh und die Sparmassnahmen.
Das war 2020: «Ich habe einen Corona-Kulturschock»
Hat ein ereignisreiches Jahr hinter sich: USA-Korrespondentin Isabelle Jacobi ist es dieses Jahr in den USA wohl kaum langweilig geworden. (Collage: persoenlich.com, Bild: SRF/Severin Nowacki, Grafik: Corinne Lüthi)
von Loric Lehmann

Frau Jacobi, in diesem Jahr hatten sich die Ereignisse in den USA nur so überschlagen. Sie sind dort seit 2017 Korrespondentin für Radio SRF und SRF News. War dies Ihr anstrengendstes Jahr?
Es war sicher das intensivste. Anfang Jahr kam es ja zum Impeachment von Präsident Trump, wovon heute niemand mehr redet. Früher wäre so ein Ereignis für die Medien jahresfüllend gewesen, heute reichte dies gerade mal für einen Monat. Bevor dann die Pandemie, die «Black Lives Matter»-Proteste und Gegenproteste, die Präsidentschaftswahlen, der Tod von Ruth Bader Ginsburg und schlussendlich die Infektion des Präsidenten mit dem Coronavirus für Aufsehen sorgten. Kurz: Es war ein Annus horribilis, das man wohl nicht so schnell wieder miterleben wird.

Welches dieser Geschehnisse bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?
Ein Moment in diesem Sommer ging mir besonders durch Mark und Bein: Als man nicht recht wusste, ob Präsident Trump Truppen gegen die mehrheitlich friedlichen Proteste losschicken würde. Er hatte damals die Armee nach Washington, D.C., beordert, wo ich lebe. So fand ich mich plötzlich in einer belagerten Stadt wieder: Panzer fuhren durch die Strassen, Kampfhelikopter kreisten in der Nacht, der Park, in dem ich oft joggen ging, war vom Militär besetzt. Das war zeitgleich, als Präsident Trump mit der Bibel in der Hand zur St. Johns Kirche herüberschritt, nachdem er die Proteste vom Lafayette Square vertrieben hatte. Danach dauerte es etwa drei Tage, bis sich die Armeespitze meldete und sich klar gegen einen Militäreinsatz stellte. In diesen drei Tagen machte sich eine grosse Unsicherheit breit, ob es zu einem Bürgerkrieg kommen würde. Zum Glück ist das nicht eingetreten.

«Als Schweizer Journalistin habe ich einen gewissen ‹Exotikvorteil›»

Durch die Polarisierung wird es in den USA für Medienschaffende zunehmend schwieriger, ihre Arbeit auszuführen: Bei Demonstrationen schlägt ihnen teilweise eine aggressive Stimmung entgegen. Wie haben Sie das erlebt?
Bei den Demonstrationen wird man als Journalistin oder Journalist angerempelt. Und zwar von beiden politischen Richtungen. Die Fake-News-Rhetorik kommt zwar eher von rechts. Dort habe ich mich aber beinahe schon daran gewöhnt: Wenn ich mit Trump-Anhängern rede, schlägt mir oft Skepsis entgegen. Viele Leute wollen mit Medien grundsätzlich nicht reden. Als Schweizer Journalistin habe ich aber einen gewissen «Exotikvorteil». Die Leute finden das oft lustig und wahrscheinlich auch etwas harmlos. Deswegen konnte ich schon einige interessante Gespräche mit Trump-Anhängern führen.

Und von links...?
... wurde ich auch schon angerempelt. Einmal an einer Demonstration fragte mich eine Gruppe Vermummter, ob ich «Fox News» sei. Ich antwortete: «Nein, Swiss Public Radio.» So war ich aus dem Schneider. Aber was wäre gewesen, wenn ich wirklich eine Mitarbeiterin bei Fox News gewesen wäre? Es ist Gewalt in der Luft gegenüber Medienschaffenden, und das war vor ein paar Jahren noch nicht so. Das ist bedrohlich und beunruhigend.

Wie gestaltete sich die Arbeit mit der Trump-Regierung?
Es war schon fast ein Ritual, dass wir von der Trump-Regierung verbal misshandelt wurden. Das hat bei der ersten Pressekonferenz, damals noch mit Pressechef Sean Spicer, nach der Amtsübernahme Trumps angefangen und dauert immer noch an. Wir Journalisten und Journalistinnen wurden durchgehend beschimpft.

Wird sich dies mit der Amtsübernahme der Biden-Administration beruhigen?
Das Zusammenspiel mit der neuen Regierung wird wieder auf konventionelle Gleise geführt werden. Es wird aber wohl auch etwas langweiliger werden (lacht).

«Donald Trump wird die Politik in den USA weiter bestimmen»

Inwiefern?
Es gab unter Trump viele Gerüchte und Leakings, oft durch anonyme Quellen, was den Medien in die Hände spielte. Diese unfreiwillige Transparenz hat dazu geführt, dass es ständig etwas zu berichten gab. Da stellte sich aber die Frage, ob man solche Gerüchte weiterverbreiten sollte. Ich habe stets versucht, nur darüber zu berichten, was wirklich passiert und somit auch überprüfbar ist.

Können Sie abschätzen, wie die Arbeitsatmosphäre ab Januar im Weissen Haus sein wird?
Diese wird sich stark ändern. Wahrscheinlich wird die Kommunikation wieder mehr kontrolliert werden, so wie man dies von der Obama-Regierung gewohnt war.

Und auf der Strasse?
Das ist schwierig vorauszusagen. Die ganze Fake-News-Geschichte wird mit der neuen Regierung selbstverständlich nicht vorüber sein. Genauso wenig wie die Streuung von Desinformationen. Diese Dinge werden weiterlaufen, und Donald Trump wird die Politik in den USA wohl weiter bestimmen. Er hat  schon angekündigt, dass er am Tag der Amtseinweihung von Joe Biden in Washington eine Gegenveranstaltung plant.

Seit dem Frühling wütet weltweit das Coronavirus. Wie hat sich die Pandemie auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Stark. Im März und April war ich von einem Lockdown betroffen, wobei wir Journalisten als «essential workers» davon ausgenommen waren. Trotzdem musste ich stets abwägen, wie stark ich meine eigene Gesundheit riskieren wollte. Im Vergleich zu einem normalen Wahljahr bin ich viel weniger gereist und ging sehr gezielt an gewisse Orte. Bis zum Sommer war ich zum Beispiel mit keinem Flugzeug unterwegs. Im September machte ich dann einige Reisen. Grundsätzlich arbeitete ich öfter von zuhause aus.

«Ich hatte Sehnsucht nach der Heimat – zum ersten Mal in meinem Leben»

Sie haben es erwähnt: Diese Abwägung zwischen der optimalen Ausführung der Arbeit und dem Risiko einer Ansteckung. Wie stark mussten Sie da mit sich hadern?
Ich ging etwa an Proteste, aber versuchte stets, am Rande der Geschehnisse zu bleiben, um nicht in ein Handgemenge verwickelt zu werden und möglichst schnell meine Arbeit zu machen: rein, raus und ja nicht zu lange in der Menge bleiben. Selbstverständlich trug ich stets einen Mundschutz, mein Mikrofon war mit einem Plastik abgedeckt, wie es die recht strengen Schutzmassnahmen von SRF verlangen.

Irgendwann kam auch die Schweiz in die Schlagzeilen. Im Frühling etwas weniger, momentan aber umso mehr: Das reiche Land steht bei den Corona-Fallzahlen im internationalen Vergleich sehr schlecht da. Wie nahmen Sie dies aus dem Ausland wahr?
Die Schweiz war lange ein sicherer Hafen – gerade im Vergleich zu den USA. Eigentlich war es ja erst seit Oktober so virulent in der Schweiz. Das Land macht wohl gerade einen Lernprozess durch. Für mich persönlich war die Lage schwierig, da mein Visum im Mai auslief. Ich konnte zwar legal in den USA bleiben, aber aus- und dann wieder einzureisen, wäre unmöglich gewesen. Mein Visum erneuern konnte ich damals nicht, da die Botschaft in Bern geschlossen war. Es war eine sehr spezielle Situation für mich. Ich hatte Sehnsucht nach der Heimat – zum ersten Mal in meinem Leben.

Nun sind Sie für einen Monat in der Schweiz in den Ferien. Wie ist das so?
Ich bin sehr froh, wieder hier zu sein. Nun ist es aber umgekehrt: Washington wurde recht stark von der ersten Welle getroffen. Die Leute dort sind extrem diszipliniert, was die Corona-Massnahmen angeht. Ich habe einen Corona-Kulturschock, weil die Leute hier einen sehr viel lockereren Umgang haben, als ich mir dies von der demokratisch regierten Stadt Washington gewohnt bin. In den USA kommt es jedoch darauf an, wohin man geht: In republikanisch regierten Gebieten trägt niemand eine Maske. Diese sind nun von der neuen Welle am stärksten betroffen.


Sie hatten ja ein Bild getwittert vom Kerzenmeer auf dem Berner Bundesplatz. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Das war ein sehr berührender Moment. Denn die Schweiz ist meine Heimat. Da wurde mir klar, wie sehr die Leute hier unter der Pandemie leiden und wie viele daran sterben. Das ging mir nah.

Wie gestaltete sich Ihre Reise in die Schweiz? Mussten Sie in Quarantäne?
Meine Reise fiel in ein Zeitfenster, in dem keine Quarantänebestimmungen für Reisende aus den USA galten. Seit letztem Montag tun sie das aber wieder. Meine Freundin konnte deshalb nicht wie geplant nachreisen. Ich selber habe eine freiwillige Quarantäne und einen Test gemacht, bevor ich meine 85-jährige Mutter besuchte.

Und wenn Sie wieder in die USA zurückgehen? Gibt es da Einschränkungen?
Ich habe nun eine sogenannte «national interest exception». Ich darf also im nationalen Interesse der USA einreisen (lacht). Somit entfallen bei mir Reiseeinschränkungen wie auch eine Quarantäne nach der Ankunft.

«Ich verstehe, dass Sparmassnahmen sehr schwer zu schlucken sind – gerade in einem Pandemiejahr»

Ich würde gerne noch etwas über die Veränderungen bei SRF reden. Sie waren ja fünf Jahre lang Redaktionsleiterin des «Echo der Zeit». Wie nehmen Sie diese neuen Strategien aus einer ehemaligen Führungsposition wahr?
Ich glaube, dass diese Änderungen notwendig und schmerzhaft sind. In meiner damaligen Funktion habe ich die Digital-Strategie als längerfristige Neuorientierung mitbekommen. Es war klar, dass diese irgendwann umgesetzt werden würde. Ihr zugrunde liegen der sich verändernde Medienmarkt, neue Technologien sowie eine veränderte Publikumsnachfrage. Ich finde, dass die Restrukturierung von der SRF-Direktorin Nathalie Wappler transparent kommuniziert wird. Ich verstehe aber auch, dass diese Sparmassnahmen sehr schwer zu schlucken sind – gerade in einem Pandemiejahr. Ich hoffe, dass sie möglichst sozial umgesetzt werden und wir die Qualität der wichtigen Radiosendungen erhalten können.

Die neue Strategie «SRF 2024» hat ja zum Ziel, in die Digitalisierung zu investieren. Können Sie schon abschätzen, was das für Auswirkungen auf Ihre Arbeit als Korrespondentin haben wird?
Ich liefere Inhalte für verschiedene Formate – arbeite also schon multimedial. Ausserdem habe ich gerade bei einem Podcast mitgemacht «Was geht, Amerika?», was mir viel Spass machte. Das ist ein ganz neues Format. Ich konnte Zusammenhänge ausführlicher erklären, was sonst in kürzeren Beiträgen nicht möglich gewesen wäre. Der digitale Wandel ist für mich bereits Alltag.

Zum Schluss: Was erwarten Sie von 2021? Ein noch anstrengenderes Jahr?
Ich gehe davon aus, dass es unter Joe Biden etwas weniger intensiv wird – aber wir werden sehen. Als Journalistin kann ich dabei aus dem Vollen schöpfen. Ich habe einen Hochdruckjob, aber dafür habe ich mich beworben. Ich kann nach Stresszeiten Überzeit auch teilweise kompensieren und mich wieder entspannen. Für mich stimmt es so. Ich habe den tollsten Job, den ich mir vorstellen kann.



In der Serie «Das war 2020» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht.



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