15.08.2014

Leichtathletik-EM

"Ich hätte bei Mahiedine Mekhissi-Benabbad ein Auge zugedrückt"

Ex-Sprint-Star Dave Dollé über die Stimmung an der EM und die Werbeplakate.
Leichtathletik-EM: "Ich hätte bei Mahiedine Mekhissi-Benabbad ein Auge zugedrückt"

Dass die Leichtathletik-EM schon wieder fertig ist, werden viele Zürcher gar nicht merken, denn sie haben nicht einmal mitbekommen, dass der Grossanlass in ihrer Stadt stattfindet. Erst mit dem Marathon zum Schluss und als Kariem Hussein am Freitag überraschend Gold gewann, kam so richtig Begeisterung auf. Dennoch: Die grosse EM-Euphorie ist ausgeblieben, - das Letzigrund blieb oft halb leer. Wurde falsche Werbung betrieben? Und war die Jury nicht etwas gar kleinlich, als sie Mahiedine Mekhissi-Benabbad wegen seines Oben-ohne-Jubels die Gold-Medaille aberkannte? Im Gespräch mit persoenlich.com zieht Ex-Sprint-Star Dave Dollé Bilanz:

Herr Dollé, am Sonntag endete die EM mit dem Marathon. Wie erlebten Sie die Stimmung?
Ein Marathon, mitten durch die Stadt mit mehreren Runden, ist immer speziell. Bei Regen hätte es aufgrund des Gefälles oder wegen Tramschienen und Randstein ein harter Lauf werden können. Doch das Wetter spielte mit, viele Zuschauer kamen und sorgten für eine tolle Atmosphäre. Der Lauf war spannend bis zum Schluss - beste Werbung für die Stadt Zürich.

Der Höhepunkt aus Schweizer Sicht war sicher als Kariem Hussein am Freitag Gold gewann.
Ja, dieser Wettkampf war grossartig für die Schweizer Leichtathleten. 

Lange aber haben viele Zürcher gar nicht mitbekommen, dass in ihrer Stadt die Leichtathletik-EM stattfindet. Und Sie?
Also ich selber habe durchaus mitbekommen, dass derzeit EM ist. Mir sind die Plakate und die violetten Fahnen aufgefallen.

Wie haben Sie die EM mitverfolgt?
Ich verfolgte die EM ab und zu im House of Switzerland auf dem Sechseläuten-Platz, dort war die Stimmung sehr lässig. Im Stadion selber war ich nie, denn abends arbeite ich oft. Auf den TV-Bildschirmen in meinem Fitness-Studio konnte ich die Wettkämpfe aber gut verfolgen.

Bis zum Freitag war das Letzigrund meist halb leer. Wurde seitens der Organisatoren in Sachen Werbung und PR zu wenig getan?
Ob die Werbemassnahmen genügend waren, kann ich nicht beurteilen, weil ich kein Fachmann bin. Generell muss man sagen, dass es in der Schweiz schwierig ist, Euphorie zu entfachen. Insbesondere Zürich ist hierbei ein hartes Pflaster.

Zürich als Knacknuss. Warum?
In St. Gallen wären die Leute bei einer EM euphorischer. Das hat einerseits mit der Mentalität der Leute zu tun. Andererseits sind die Zürcher mit Weltklasse-Zürich etwas verwöhnt. Bei Weltklasse-Zürich treten internationale Leichtathletik-Stars an, was im Stadion mehr Spektakel verspricht, weil immer wieder Weltrekorde fallen. Durch diese Konkurrenz-Veranstaltung hat die EM mit weniger hochkarätigen Teilnehmern einen schweren Stand.

Einer der wenigen stimmungsvollen Momente war die Showeinlage des 3000m-Steeple-Siegers Mahiedine Mekhissi-Benabbad, als er während dem Rennen das T-Shirt auszog. Ist die Sieg-Aberkennung des Franzosen nicht etwas gar kleinlich?
Dass die Gold-Medaille aberkannt wird, hätte ich nicht erwartet. Ich würde auch nicht derjenige Athlet sein wollen, der nun nicht vierter wird, sondern Bronze gewinnt. Mahiedine Mekhissi-Benabbad hat seine sportliche Leistung ja nicht erschlichen, sondern sich regelwidrig verhalten, - ziemlich sicher ohne dass ihm dies bewusst war. Wer weiss schon, ob man das T-Shirt während dem Lauf ausziehen darf oder nicht? Einen solchen Fall hat es meines Wissens gar noch nie gegeben. Viele Leichtathleten kennen das Reglement nicht auswendig oder haben es gar nie gelesen. Zudem sind darin sowieso nicht alle möglichen Fälle erwähnt. Was wäre, wenn einer im Handstand über die Ziellinie ginge? Dieser Fall ist sicher nicht erfasst. Daher: Ich hätte bei Mahiedine Mekhissi-Benabbad ein Auge zugedrückt, ihn verwarnt und erst im Wiederholungsfall eine Disqualifikation ausgesprochen.

Bei den Plakatsujets setzten die Organisatoren auf Schweizer Sportler. Wie beurteilen Sie diese Strategie?
Wenn man mit Testimonials arbeiten will, müssen die Personen entweder extrem gut aussehen oder sie müssen einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Die auf den Plakaten gezeigten Schweizer Sportler sind weitgehend unbekannt. Sie wurden auch nicht aufgebaut – was aber auch fast unmöglich ist, weil viele noch sehr jung sind. Allenfalls hätte man auf den Plakaten die aktuellen Athleten mit den früheren Stars kombinieren können, also zum Beispiel mit Anita Weyermann oder Werner Günthör.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: zVg


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