Frau Salzmann, nach 15 Jahren als Gastrojournalistin bei Berner Zeitung und Tages-Anzeiger schreiben Sie unter anderem für Falstaff und Salz & Pfeffer über Fine Dining. Warum haben Sie die grosse Tamedia-Bühne verlassen?
Bei Tamedia gab es letzten Herbst bekanntlich die grössten Sparmassnahmen, die der Schweizer Journalismus je erlebt hat. Zudem hatte die Kulinarik meiner Meinung nach ihren Stellenwert bei Tamedia verloren. Und ich hatte Lust auf etwas Neues.
Sie sind als Autorin vorgesehen für einen neuen Gastro-Newsletter des Berner Onlinemagazins Hauptstadt. Ein Crowdfunding startete am Dienstag. Worüber wollen Sie berichten?
Über die gesamte Stadtberner Gastroszene. Natürlich über neue Lokale, über die besten Produkte und alles, was Köche, Foodies und Wirtinnen umtreibt. Und nicht zuletzt darüber, was normale Gäste über Restaurants wissen wollen: Wie schmeckt es, wie preiswert ist es und wo lohnt es sich hinzugehen.
Ein Crowdfunding soll 15’000 Franken einbringen für die Infrastruktur und Ihren Lohn. Schon nach wenigen Stunden waren die ersten 2300 versprochen. Steigt Ihr Honorar, wenn der Betrag übertroffen wird?
Für das erste Jahr erhalte ich ein fixes Honorar plus Spesen.
«Im ‹Gastro-Brief› erzähle ich eigenständige Geschichten»
Sie haben bereits bei Tamedia einen Gastro-Newsletter mitherausgegeben. Wie unterscheidet sich der «Gastro-Brief» der Hauptstadt vom Tamedia-Gourmail?
Im «Gourmail» wurden Artikel aus den Tamedia-Produkten gesammelt und noch einmal unter die Leserschaft gebracht. Die Öffnungsrate zeigte, dass das ein grosses Bedürfnis war. Ich glaube fest an den Berner «Gastro-Brief», der im Unterschied zur Tamedia-Variante kein Rezyklieren von bestehenden Artikeln ist, sondern eigenständige Geschichten erzählt.
In der Nullnummer dreht sich alles um Schoggi-Glace, dazu gibt es Häppchen aus der Gastrobranche; alles in Textform. Darf man auch mit Bildern und Videos rechnen?
Mehr Bilder gibt es im Listicle, das zum Newsletter auf der Hauptstadt-Website publiziert wird. Wir variieren zwischen Listicle, wie in der Nullnummer, und einer Gastro-Rezension. Videos sind nur in Kurzformen geplant, als Shorts und Reels.
In der Branche und in den Berner Beizen kennt man Sie nach all den Jahren im Beruf. Welchen Einfluss hat das auf Ihren Journalismus?
Für mich hat mein Netzwerk primär Vorteile. Ich bekomme Anrufe, wenn sich in den Lokalen etwas ändert, und meine Nummer kursiert unter den Gastronominnen und Gastronomen, wenn sie neue Beizen und Bars eröffnen. Allerdings wünschte ich mir noch mehr Hinweise zu investigativen Geschichten. Und was beim neuen Newsletter klar ist: Trotz all der Netzwerke will ich unabhängig journalistisch berichten und keinen Gefälligkeitsjournalismus machen.
«Ich wurde mal als Gastroaktivistin bezeichnet»
Das Gastrogeschäft ist seit Corona anspruchsvoller geworden. Inwiefern sehen Sie sich als Lobbyistin der professionellen Ausser-Haus-Verpflegung – ohne die es Ihren Beruf gar nicht gäbe?
Ich wurde mal als Gastroaktivistin bezeichnet, das geht mir aber zu weit. Ich brenne einfach für Menschen, die tagtäglich alles in ihren Küchen und Gasträumen geben. Sie verdienen Respekt für ihr Engagement, das versuche ich in den Geschichten rüberzubringen.
Neben dem Newsletter haben Sie sich an ein weiteres Projekt gewagt. Im Herbst erscheint das von Ihnen mitverfasste «Bern Kochbuch». Muss eine Gastrojournalistin auch gut kochen können?
Ehrlich gesagt koche ich stur nach Rezept. Und nein, eine Gastrojournalistin muss meiner Meinung nach nicht kochen können. Die Rezepte im Bern Kochbuch stammen auch nicht von mir und meiner Co-Autorin Camilla Landbø, sondern von fünf bekannten Berner Kochbrigaden, die in Steffisburg, Schwarzenburg, Bern und am Bielersee daheim sind. Was mich am Buch gereizt hat, ist die Recherche nach alten Berner Rezepten, die die Köche modern interpretiert haben.
Kommen Sie als freie Gastrojournalistin gut über die Runden?
Bis jetzt habe ich einige neue Schreibmandate, neben Salz & Pfeffer und Falstaff schreibe ich für die Hotelrevue über Hotelgastronomie und besuche für die Automobil Revue Hotels. Ausserdem habe ich ein zweites Standbein als Moderatorin beim YB-Fanradio Gelb-Schwarz oder beim True Story Award.
«Deformation professionell nennt man das wohl»
Zum Schluss ein paar Entweder-oder-Fragen: Inkognito oder als Journalistin zu erkennen geben?
In Bern werde ich wegen meines Markenzeichens erkannt, dem schwarzen Hut. Den trage ich übrigens, weil ich mich nicht gern frisiere. Es ist praktisch unmöglich, neutral an einem Tisch zu sitzen, denn ich beobachte alles, was im Restaurant passiert. Deformation professionell nennt man das wohl.
Notieren während dem Essen oder alles im Kopf behalten?
Unbedingt notieren, ich mache das unter der Tischplatte auf dem Handy. Im Detail liegt bekanntlich der Teufel, und in der Haute Cuisine sind auf den Tellern zu viele Komponenten, die mit unterschiedlichen Techniken zubereitet wurden. Es ist unmöglich, sich das alles zu merken.
Selber knipsen oder Profi fotografieren lassen?
Selber fotografieren, ich habe immer meine Fuji-Kamera dabei. Wenn es sein muss, stehe ich auch mal auf einen Stuhl, um eine gute Cadrage zu bekommen. Übrigens: Auf das Wort «knipsen» sind Profifotografen sehr allergisch.
Geheimtipp vermelden oder für sich behalten?
Natürlich vermelden. Die Gastronominnen und Gastronomen wollen alle Geld verdienen, finanziell einen langen Atem hat niemand von ihnen. Darum ist es wichtig, möglichst schnell möglichst viele Gäste zu haben.
Schlechtes Restaurant verreissen oder verschweigen?
Für Rezensionen wähle ich Restaurants aus, die sich viel überlegen und nicht nur in der Prodega einkaufen. Solche, die saisonal, regional und nachhaltig arbeiten. Sie verdienen einen Text. Aber die Restaurantqualität ist in der Schweiz auf hohem Niveau, oder wann haben Sie zum letzten Mal schlecht gegessen?
Einladen lassen oder selber bezahlen?
Für meine Unabhängigkeit ist es wichtig, dass meine Arbeitgeber jegliche Kosten übernehmen. Dennoch esse ich öfters offerierte Gerichte in Restaurants, gerade nach grösseren Fotoshootings.
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11.06.2025 08:10 Uhr