12.02.2019

Hanna Wick

«Ich wollte keine verbitterte Trulla werden»

Nach 15 Jahren bei SRF und der NZZ wechselt die preisgekrönte Journalistin die Branche: Die 41-Jährige will das Gymi-Lehrdiplom für Physik und Mathematik erlangen. Es sei nun der richtige Zeitpunkt für eine Umschulung. Ein Gespräch über Sparrunden, Schüler und Schnee.
Hanna Wick: «Ich wollte keine verbitterte Trulla werden»
Startet nächste Woche ihre Ausbildung zur Gymi-Lehrerin: Hanna Wick, «Wissenschaftsjournalistin des Jahres» 2014. (Bild: SRF/Jiri Reiner)
von Christian Beck

Frau Wick*, ich dachte immer: einmal SRF, immer SRF. Sie verlassen nun den «goldenen Käfig». Warum?
Dafür gibt es persönliche und strukturelle Gründe. Zuerst zu den persönlichen: Ich spielte schon lange mit dem Gedanken, Lehrerin zu werden – sogar schon direkt nach dem Studium. Ich dachte aber für mich: Ich will keine Lehrerin sein, die nie etwas anderes gemacht hat im Leben. Der Journalismus ergab sich dann eher per Zufall, wie das oft so ist – und er hat mich voll reingezogen. Erst in den letzten Jahren hab ich wieder häufiger darüber nachgedacht, ob nun nicht der richtige Zeitpunkt wäre für eine Umschulung. Ich habe jetzt richtig Lust, Lehrerin zu sein. Ich weiss, dass mir das liegt, denn ich kann gut komplizierte Dinge erklären.

Und die strukturellen Gründe?
Die Krise im Journalismus ist sicher der Hauptgrund. Ich habe in meinen 15 Jahren im Journalismus sieben Sparrunden erlebt. Die Reden der Manager, in denen sie erklären, warum wieder gespart werden muss, kann ich mittlerweile im Schlaf mitsprechen. Ich mache mir aber keine Illusionen: Ich weiss, dass es in den Schulen auch Restrukturierungen und Spardruck gibt. Nur habe ich das Gefühl, dass ich mal eine neue Art von Branchenproblemen brauche.

«Umzüge sind wie Sollbruchstellen»

15 Jahre waren Sie in der Medienbranche. Sehen Sie im Journalismus keine Zukunft mehr?
Doch, der Journalismus hat Zukunft, und ich hätte ja gut bei SRF bleiben können. Doch ich wollte mich selbst davor bewahren, eine verbitterte Trulla zu werden (lacht). Ausserdem hatte ich nicht das Gefühl, dass die Wissenschaft beim Schweizer Fernsehen den Raum bekommt, der ihr eigentlich zusteht. Und: Die «Einstein»-Redaktion, bei der ich in den letzten zwei Jahren gearbeitet habe, wechselt nach Basel. Solche Umzüge sind wie Sollbruchstellen – da gibt es Leute, die das nicht mitmachen wollen.

Dann war der geplante Umzug nach Basel der berühmte letzte Tropfen für Sie?
Ja, das kann man so sagen. Ich pendelte früher schon einmal während vier Jahren nach Basel und weiss genau, was das bedeutet. Darum fragte ich mich, ob ich das wirklich wieder will. Meine Antwort war: Nein. Lieber ins kalte Wasser springen.


Als studierte Physikerin gehen Sie nun als Studentin zurück an die Uni mit dem Ziel: Gymi-Lehrdiplom für Physik und Mathematik. Was reizt Sie daran?
Das Arbeiten mit Jugendlichen. Teenager sind interessante Wesen: Sie verpuppen sich und kommen dann als Erwachsene auf der anderen Seite der Pubertät wieder raus. Ihnen etwas von meiner Faszination für Physik und Mathematik mitzugeben, reizt mich. Ausserdem glaube ich, dass diese Fächer gar nicht so schlimm sein müssen, wie man es oft hört.

Sie sagen es: Physik und Mathe werden wohl kaum die Lieblingsfächer der Gymnasiasten sein. Wie gehen Sie mit demotivierten Schülern um?
Ich starte jetzt erst die Ausbildung und hoffe, dass ich den einen oder anderen Trick noch lernen werde. Ich werde aber sicher versuchen, den Schülerinnen und Schülern die Angst zu nehmen. Ich finde beispielsweise den Genie-Kult extrem schädlich, also diese Idee, dass man in Mathe und Physik nur gut sein kann mit einem «Super-Brain». Das stimmt einfach nicht. Ich hoffe, dass ich das vorleben kann. Alle Lehrer, die das lesen werden, denken nun sicher: Jöh, herzig, ist die noch naiv (lacht).

Was aus dem Journalisten-Rucksack werden Sie im Lehrerberuf gut gebrauchen können?
Vor Leute hinstehen und frei sprechen. Sachverhalte hinterfragen. Zudem: Einfach erklären und eine Geschichte erzählen statt nur Fakten aneinander zu reihen.

«Bei der Basis ist viel Erneuerungswille vorhanden»

Wie hat sich SRF verändert seit ihrem Start Anfang 2013?
Die «No Billag»-Abstimmung hat extrem viel in Bewegung gebracht. Ich spüre bei den SRF-Mitarbeitenden einen grossen Reformwillen. Die Basis will sich verändern. Viele wünschen sich, neue Dinge auszuprobieren. Es ist das Bewusstsein vorhanden, dass man sich verändern muss, gerade um die Jungen zu erreichen. Die Frage ist allerdings, ob das gelingen wird, weil SRF ein so grosser Tanker ist. Einfach mal etwas ausprobieren, ist da schwer. Es ist alles sehr kontrolliert.

SRF haben Sie vor ein paar Tagen verlassen. Was vermissen Sie bereits?
Meine Kolleginnen und Kollegen, logisch. Es gibt im Journalismus so viele wunderbare Leute. Ich arbeite aber weiterhin als freie Journalistin. Es ist also nicht so, dass ich einen totalen Bruch mache. Das Gute am Journalismus ist ja, dass man immer damit weitermachen kann. Man könnte Journalismus sogar als Hobby betreiben.

Haben Sie schon Auftraggeber?
Ja, ich habe welche. Mehr verrate ich nicht.

Vor SRF waren Sie während acht Jahren bei der NZZ. Welches war Ihr bester Artikel?
(Überlegt lange.) Das ist mega schwierig. Es ist immer die Frage, aus welcher Warte ein Artikel gut ist. Ich finde, ich konnte gut kommentieren. Das fehlte mir bei SRF. Ich vermisste es, politisch Stellung zu beziehen.

«Ich finde, solche Preise werden eh überbewertet»

2014 wurden Sie zur «Wissenschaftsjournalistin des Jahres» ausgezeichnet (persoenlich.com berichtete). Was brachte Ihnen dieser Titel?
Karrieretechnisch natürlich einiges, aber irgendwie war es ein riesiger Witz. Es war das letzte Jahr, in dem die Wissenschaftskategorie überhaupt vergeben wurde. Abgestimmt haben nur sehr wenige Leute. Der «Schweizer Journalist» wollte die Shortlist nicht zusammenstellen, weil sie sich im Wissenschaftsjournalismus sehr schlecht auskannten. Und unser Berufsverband der Wissenschaftsjournalisten wollte die Liste irgendwann nicht mehr liefern. Seither gibt es die Kategorie nicht mehr. Das ist aber nicht tragisch: Ich finde, solche Preise werden eh überbewertet.

Warum?
Sehr viele Leute, die auch einen Preis verdient hätten, erhalten nie einen. Es ist ein wenig wie «The winner takes it all». Wer mal einen Preis gewonnen hat, gewinnt immer mehr Preise, und alle Leute kennen dich plötzlich, nehmen dich wahr und finden deinen Journalismus besser – obwohl du vielleicht genau gleich gut oder schlecht arbeitest wie vorher…

… es klingt, als würden Sie Claas Relotius beschreiben.
Nein, nein, nein. Der ist noch ein etwas anderes Kaliber. Der hat ja bewusst gefälscht. Aber ich bin tatsächlich nicht so ein Fan von Journalismuspreisen. Oft kann ich die Vergaben nicht wirklich nachvollziehen. Auch bei mir selbst fragte ich mich: Warum bekomme ich diesen Preis? Ich empfand das als zufällig. Als Wissenschaftsmensch hat man nicht gerne solche Zufälle.

Sie als Wissenschaftsmensch verbringen derzeit privat einige Tage in den Bergen. Warum ist eigentlich Schnee weiss?
(Lacht.) Licht besteht ja aus einem Spektrum von verschiedenen Farben – das sieht man gut beim Regenbogen. Das Licht trifft auf ein Material, wie zum Beispiel Schnee. Und dann kommt es darauf an, was reflektiert wird und was nicht. Schnee ist von der Struktur her mit seinen vielen kleinen Kristallen so beschaffen, dass er wenig Licht schluckt. Er wirft das Licht in alle Richtungen zurück und sieht darum weiss aus. Warum im Detail das so ist, dafür bräuchte es aber mehr Zeit – mindestens eine Schulstunde.

Können Sie Ihre Ferientage überhaupt geniessen wie ein anderer Tourist – oder begleitet Sie die Wissenschaft auch bis in die Berge?
Das ist ja gar kein Widerspruch. Die Wissenschaft begleitet mich, und gerade deswegen kann ich die Ferien geniessen (lacht). Ich finde die Frage, weshalb Schnee weiss ist, sehr spannend. Es ist ja nicht so, dass ich mir sagen muss: Oh Mann, jetzt muss ich mir noch Gedanken über nervige Physik in der Umwelt machen. Im Gegenteil: Ich finde genau das cool. Für mich ist es ein Vergnügen, über Physik nachdenken zu können.



* Hanna Wick erlangte 2003 den Master in theoretischer Physik. 2004 stieg sie bei der «Neuen Zürcher Zeitung» in die Wissenschaftsredaktion ein. 2013 wechselte sie in die Fachredaktion Wissenschaft bei Radio SRF. Von Oktober 2016 bis Ende Januar 2019 war die 41-Jährige in der Redaktion «Einstein» beim Schweizer Fernsehen.

 

 



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Kommentare

  • Sebastian Renold, 13.02.2019 13:32 Uhr
    Alle Achtung und gute Wünsche für die Zukunft!
  • Urs Meier, 13.02.2019 08:42 Uhr
    Frau Wick wird eine tolle Lehrerin sein. Wenn nicht, fress ich einen Besen.
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