22.07.2019

Ernst

«Immer dieser Spass, das ist doch nicht lustig»

Das Gesellschaftsmagazin ist zum zehnten Mal erschienen. Geschäftsführer und Redaktionsleiter Adrian Soller spricht von einem «Jubiläum». Ein Gespräch über das unabhängige Journalismus-Projekt, die Finanzierung – und warum Emanzipation auch Männersache ist.
Ernst: «Immer dieser Spass, das ist doch nicht lustig»
Ganz ernst in einem Pariser Waschsalon: Adrian Soll, Redaktionsleiter und Geschäftsführer von «Ernst – Das Gesellschaftsmagazin für den Mann». (Bild: zVg.)
von Christian Beck

Herr Soller, «Ernst» ist zum zehnten Mal erschienen. In einem Schreiben an uns bezeichnen Sie dies als «Jubiläum». Im Ernst?
Zugegeben: Es ist ein kleines Jubiläum. Aber mit unserer zehnten Ausgabe sind wir immerhin mitten in unserem dritten Erscheinungsjahr angelangt. Und die Auflage von 3500 Exemplaren ist recht stabil. Und das ist in der Printlandschaft doch schon was. «Ernst» ist eines der wenigen unabhängigen, selbstverwalteten und selbstorganisierten Journalismus-Projekte der Schweiz. Wir sind nicht kommerziell ausgerichtet. Wir machen einfach guten Journalismus. Und das steht bei uns an erster Stelle. Von den 64 Seiten im «Ernst» sind immer rund 60 Seiten redaktionelle Beiträge.

Sie sagen es: In der aktuellen Ausgabe habe ich drei Seiten vor allem mit Kleininseraten gezählt. Wie finanzieren Sie sich?
90 Prozent der Einnahmen sind Abo-Einnahmen. Ein Jahresabo kostet 50 Franken. Und dann gibt immer wieder auch Leser, die uns Geld spenden. Vergangenes Jahr haben wir zusätzlich via Crowdfunding Geld reingeholt.

«Ich muss nicht reich werden damit»

Und die 3500 Exemplare: Reicht das, um zu überleben?
Nun ja, es scheint knapp zu reichen, aber es reicht auch nur, weil viele professionelle Journalisten, Autorinnen, Fotografen, Illustratoren und Künstlerinnen gratis für «Ernst» arbeiten. «Ernst» zahlt mir einen Lohn unter 2000 Franken aus – und ich arbeite dafür sehr viel Stellenprozente. Was aber Okay ist. Ich muss jetzt nicht reich werden damit. Ab und zu ein bisschen Anerkennung reicht völlig. Denn das suchen wir doch alle, etwas Anerkennung, etwas Geld und etwas Glück.

«Ernst» erscheint viermal jährlich. Warum nicht häufiger?
Mehr geht derzeit nicht. Eine höhere Erscheinungsfrequenz würde für uns zwar ein bisschen mehr Einnahmen, aber vor allem viel mehr Kosten und viel mehr Arbeit bedeuten. Viermal im Jahr arbeiten gute Leute auch mal gratis für eine Sache, für die sie gehen.

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Sie seien «stolz» über die Nummer zehn, schreiben Sie im Editorial. Heisst das, Sie haben bei der Lancierung gar nicht daran geglaubt, dass «Ernst» funktioniert?
Nun, ich habe es gehofft. Aber wie das so ist im Leben: Wenn man wirklich etwas wagt, ist einem der Erfolg nie gewiss. Wissen Sie, «Ernst» besteht aus drei Bünden: Da ist ein monothematischer Teil mit viel literarischem Journalismus, da ist ein Literatur-, Kunst- und Kulturteil – und da ist ein gesellschafspolitischer Teil, der sich mit Familien-, Gender- und Gleichstellungsfragen auseinandersetzt. Und sich mit dieser Themenkombination vor allem an Männer zu wenden, ist schon ein gewagtes Konzept. Vor allem eines, dass sich eben nicht primär dem wirtschaftlichen Erfolg, dem Mainstream und den Klickzahlen verpflichtet hat. Umso schöner, wenn es dann einigermassen funktioniert, auch wirtschaftlich.

«Wir Männer haben schon noch etwas Aufholbedarf»

Warum braucht es überhaupt ein «Gesellschaftsmagazin für den Mann»? Weil es schon genügend Frauenzeitschriften gibt?
Es braucht kein Gesellschaftsmagazin für den Mann. «Ernst» braucht es nicht. Aber «Ernst» ist ein schönes, kunstvolles Magazin, das einfach Freude macht. Als Ergänzung zu den Frauenmagazinen will ich «Ernst» allerdings nicht unbedingt betrachten wollen. Denn wir sind kein Männermagazin. Wir sind ein Gesellschaftsmagazin, versuchen gesamtgesellschaftlich zu denken. Und eben nicht nur ein Männerperspektive abzubilden, wenn es diese überhaupt geben sollte. Unser Magazin versucht eher Frauen- und Männerthemen etwas aufzulösen. Doch mit dieser gesamtgesellschaftlichen Perspektiven widmen wir uns vor allem an Männer, nicht nur, aber vor allem. Denn wir Männer haben, was Feminismus und Gleichstellung anbelangt, wohl schon noch etwas Aufholbedarf. Und dabei ist Emanzipation natürlich immer auch Männersache. Denn auch Männer profitieren von der Emanzipation. «Ernst» will weniger gesellschaftliche Zwänge – für alle Geschlechter.

Im Vorstand von «Ernst» sitzen mit Rolf Wespe und Dennis Bühler «zwei sehr prägnante Journalisten», wie Sie im eingangs erwähnten Schreiben betonen. Was trägt der Vorstand bei?
Die beiden bringen sich immer wieder rege an Themensitzungen mit ein, manchmal ist der eine oder andere auch mal beim Layouten mit dabei. Und ab und zu steuern sie auch Texte bei. Das «Ernst»-Team ist gross. Da sind viele sehr gute Leute dabei. Das sind eine Philosophin, eine Kulturwissenschaftlerin, ein Soziologe, das sind Journalistinnen und Autoren, das sind Musiker, Dichterinnen und Literaturkritiker, das sind Künstler, Zeichnende und Fotografierende, im Alter von 23 bis 73 Jahren. Bei «Ernst» ist alles meistens sehr freundschaftlich – und angenehm unverbindlich. Jeder und jede macht nur dann etwas für «Ernst», wenn er auch wirklich Lust und Zeit dazu hat. Wenn er oder sie aber etwas macht, dann soll es qualitativ hochstehend sein, das schon.

Wie ernst ist eigentlich «Ernst»?
Ja, wissen Sie, wir können uns ab und an etwas ernst. Immer dieser Spass, das ist doch nicht lustig. Aber gerade, wenn man «Ernst» heisst, kann man sich auch mal Schräges erlauben. Unsere monothematische Nummer zum Thema «Teppich» fanden einige beispielsweise offenbar erst etwas seltsam. Aber sie kam dann wohl doch recht gut an.

«Die Frage nach der Gerechtigkeit ist eine allzu grosse Frage»

Und in der aktuellen Ausgabe fragen Sie: «Was ist Gerechtigkeit?» Und, wie lautet das kurze Fazit?
Das eine Fazit ziehen, kann ich jetzt nicht so einfach. Die Frage nach der Gerechtigkeit ist eine allzu grosse Frage. Trennscharfe Begriffe wie «Schuld» verlieren, aus der Nähe betrachtet jedenfalls, meist etwas an Konturen. Soziologe Martin Schoch ist für die Ausgabe der Frage nachgegangen, ob Ungerechtigkeit ein Gefühl ist und Gerechtigkeit eine Idee. Also ist für mich ein Fazit vielleicht schon, dass die Gerechtigkeit immer auch eine Kulturleistung ist. Und dass sie aber auch sehr individuell und sehr emotional ist. Für Philosophin Svenja Flassböhler sind «Selbsterkenntnis» und «Verzeihen» wesentliche Aspekte der Frage, wie sie in der Nummer erläutert. Und in der Gendergerechtigkeitsfrage finde ich es jeweils spannend, sich bei allen Geschlechtern sich durch Emanzipation ergebende Rechten und Pflichten zu denken. Denn es gibt eben nicht nur ein Recht auf Gerechtigkeit – man ist ihr auf verpflichtet. Und für mich eine der wohl wesentlichsten Erkenntnisse der Nummer: Wer Ungerechtigkeit anprangert, muss wohl auch aufrichtig darauf schauen, von wo aus er oder sie das tut, sonst hat die Diskussion schnell etwas enorm Selbstgefälliges.

Ich fände gerecht, wenn Sie uns zum Schluss einen Witz erzählen …
Ich bin jetzt nicht grad der grosse Witzeerzähler. Mein Lieblingswitz: Es sitzen zwei mittelgrosse Fleischkäs-Scheiben auf einer Mauer. Dann, plötzlich fällt der eine runter. Und der andere heisst: Ernst.



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