16.05.2021

Beobachter

«Journalist sein zu können, ist ein Privileg»

Andres Büchi ist nach 13 Jahren als Chefredaktor des Beobachters in den Ruhestand getreten. Noch bis Oktober bleibt er für diverse Aufgaben in einem Teilzeitpensum bei der Zeitschrift. Büchi über die Traditionsmarke Beobachter und das Brennglas Corona.
Beobachter: «Journalist sein zu können, ist ein Privileg»
«Die heutige Zeitschrift ist sowohl optisch als auch in der Leserführung nicht zu vergleichen mit dem Beobachter vor 13 Jahren», so Andres Büchi, der in den letzten 13 Jahren als Chefredaktor den Beobachter gestaltet und geprägt hat. (Bild: Ringier Axel Springer Schweiz)
von Matthias Ackeret

Herr Büchi, Sie haben während der vergangenen 13 Jahre den Beobachter geprägt, nun treten Sie ab (persoenlich.com berichtete). Wenn Sie zurückschauen, was war Ihre grösste Errungenschaft?
Den Beobachter etwas vom Staub der Jahre befreit zu haben und der DNA treu geblieben zu sein. Die heutige Zeitschrift ist sowohl optisch als auch in der Leserführung nicht zu vergleichen mit dem Beobachter vor 13 Jahren. Und ich glaube, wir sind als Informationsquelle für aktuelle politische und gesellschaftliche Zeitfragen relevanter geworden gegenüber früher. Die aussergewöhnliche Treue unserer Leserschaft zeigt, dass das geschätzt wird. Aber all dies verdanke ich natürlich einem herzblutstarken Team.

Wie hat sich der Beobachter als Traditionsmedium in dieser Zeit verändert?
Das Einzigartige am Beobachter ist der Hybridcharakter von journalistischem Recherchemagazin und der Kompetenz unserer Beratung. Diesen Fokus haben wir beibehalten, aber stets geschärft. Wir können heute mit unserem umfassenden digitalen Service alles anbieten, was man wissen muss, um über die wichtigsten Themen in der Schweiz möglichst gut informiert zu sein – durch das Magazin. Und zugleich können Sie bei uns alles online abrufen – etwa in Rechtsbereichen –, was einem besser durchs Leben hilft. Kurz: Die Traditionsmarke hat sich in meiner Zeit förmlich ins digitale Zeitalter katapultiert. Aber zum Glück lieben noch immer sehr viele den Print.

«Oft war der Vorwurf zu hören, alle Medien seien gesteuert in dieser Pandemie»

Hat sich der Stellenwert des Beobachters während der ganzen Pandemie auch verändert?
Natürlich zeigte sich das Thema durch vermehrte Anfragen an Beratung und Redaktion. Hat die Pandemie den Medien und uns geholfen? Ich weiss es nicht. Es zeigte sich nämlich auch, wie sehr die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die Bevölkerung spalteten. Zu keinem anderen Thema kamen in den letzten Jahren mehr Reaktionen und Reklamationen. Kaum zuvor gab es je so scharf verfasste Meinungen von scheinbar unversöhnbaren Seiten. Oft war der Vorwurf zu hören, alle Medien seien gesteuert in dieser Pandemie, und sie würden kritische Stimmen bewusst verschweigen. Aus journalistischer Sicht – meine Meinung – kann man es in diesem Thema schlicht kaum jemandem recht machen.

Sie haben soeben ein grosses Essay unter dem Titel «Der grosse Neuanfang» publiziert. Wird Corona unsere Welt nachhaltig verändern?
Ja, davon bin ich überzeugt. Corona war das Brennglas, das uns auf die drängendsten Probleme der Folgen unserer wachstumseuphorischen Tempojagd aufmerksam gemacht hat. Plötzlich war da die Gelegenheit, eins zu eins zu sehen, wie Bremsen geht, und was für Spuren das hinterlässt. Die Debatte darüber und über die Lehren daraus, hat gerade erst begonnen. Aber wir stehen – ob wir dies wollen oder nicht – vor grossen Umwälzungen.

Sie haben immer kontrovers über Masseneinwanderung oder den Rahmenvertrag geschrieben. Wie hat Ihre Leserschaft darauf reagiert?
Im Grundtenor positiv – und diskussionsfreudig –, auch in den sozialen Medien und Foren. Auch wenn es etwas Politlärm gab, weil das aus dem Beobachter kam, wo man das vielleicht nicht erwartet hat. Aber die Leserinnen und Leser setzen sich mit den Argumenten auseinander und nicht mit politischen Einordnungen. Ich glaube, dass es in der Schweiz sehr viele Leute gibt, die ein kaum kalkulierbares Bevölkerungswachstum in der Schweiz kritisch sehen. Vor allem deshalb gibts ja auch viele Vorbehalte gegenüber dem Rahmenvertrag. Vor diesem Hintergrund einmal Argumente dazu zu bringen, über die man sich durchaus streiten kann und soll, kam in unserer Leserschaft gut an. Das zeigte sich in allen Reaktionen, die ich selber darauf erhalten habe. Kündigungen oder Proteste wegen dieser Beiträge gabs meines Wissens gar keine.

«In unserer Zeit der Fragmentierung braucht es solche Orientierungspunkte»

Braucht es in Zeiten der Digitalisierung überhaupt noch Konsumentenzeitschriften wie den Beobachter?
Natürlich betrifft der Trend die ganze Branche: Die Informationen wandern vermehrt ab ins Internet. Aber der Bedarf an diesen Informationen, sowohl im Bereich Journalismus als auch im Service mit persönlicher Beratung, wächst ja weiter. Ich bin davon überzeugt, dass ein Produkt wie der Beobachter immer gebraucht wird. Weil er alles bietet, was einem fürs praktische, ganz alltägliche Leben in der Schweiz hilft. Solange Leute dahinterstehen, denen man vertrauen kann, bleibt das ein Wert, etwas worauf man sich verlassen kann. Und in unserer Zeit der Fragmentierung braucht es solche Orientierungspunkte.

In welche Richtung wird sich der Beobachter in den nächsten fünf, zehn Jahren entwickeln?
Ich freue mich, dass Sie mir so viel seherische Kraft zutrauen. Aber es ist nicht an mir, dazu etwas zu sagen. Mein Nachfolger Dominique Strebel wird zu gegebener Zeit sicher gerne Auskunft geben. Nur so viel: Der Beobachter ist sehr gut aufgestellt, wie eine Baum-Landmarke. Und jedes Jahr spriessen neue Triebe aus.

Sie waren in den verschiedensten Medien tätig, unter anderem in der Piratenzeit bei Radio 24, später lange bei der SonntagsZeitung, jetzt zuletzt beim Beobachter. Was waren die prägendsten Erfahrungen in Karriere?
Natürlich der Start-up-Groove bei Roger Schawinskis Radio 24, prägend und lehrreich. Aber dann auch die Reporterjahre in der SonntagsZeitung. Zum Beispiel das: Mit Fotograf Bruno Schlatter im Taxi von Amman nach Bagdad, kurz nach dem Golfkrieg, als es noch fast unmöglich war, nach Bagdad einzureisen. Nächtliche Fahrt durch die Wüste, Fastunfall, weil der Fahrer eingeschlafen war. Durchfall als Begleiter. Noch keine Smartphones und immer leise Panik, man könne am Ende den Text nicht übermitteln via Telefonfax. Reportertage wie aus einem Drehbuch.

Rückblickend gesehen, würden Sie heute immer noch Journalist werden?
Es gibt keinen spannenderen Beruf für einen wie mich. Er fordert dich heraus, dauernd neue Themen zu beackern, stets Neues zu lernen. Du lernst spannende Menschen und deren Sicht auf die Welt kennen. Ich glaube, Journalist sein zu können, ist ein Privileg. Das Sendungsbewusstsein dazu haben viele, das zeigt sich in den sozialen Medien, nicht nur positiv. Aber eben genauso in spannenden und klugen Blogs. All das macht den Wettbewerb härter, was sich im Effekt leider darin zeigt, dass sich Journalisten heute mit schwierigeren Perspektiven abfinden müssen als früher. Dennoch: Wenn man brennt dafür, ist es das Richtige.

Nochmals ein Wort zu Ihrem Essay «Der grosse Neuanfang»: Wie sieht dieser bei Ihnen persönlich nach dem Beobachter aus?
Ich habe in den vergangenen Jahren vieles beiseite- und aufgeschoben. Es gibt also erstmal Nachholbedarf und das in vielen Bereichen. Danach nehme ich es wie immer: Der Weg ist das Ziel.



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