31.08.2023

RadioGPT

«KI-Moderatoren sind echte Moderatoren»

In der Schweiz übernehmen schon bald künstliche Stimmen die Radiomikrofone. Diese Prognose wagt Daniel Anstandig, CEO des amerikanischen Medienunternehmens Futuri. Am SwissRadioDay vom Donnerstag zeigt er auf, wie neue Technologien das Radio verändern.
RadioGPT: «KI-Moderatoren sind echte Moderatoren»
«Ich bin ein Fan der Schweizer Radiobranche», so Daniel Anstandig, CEO und Gründer von Futuri Media. (Bild: zVg)

Herr Anstandig, wie viel ist bei Ihnen zu Hause automatisiert?
Bei mir zu Hause ist alles so automatisiert, dass sogar meine Pflanzen über Benachrichtigungen um Wasser bitten. Meine intelligenten Lautsprecher sind aufeinander abgestimmt, und die meisten meiner Geräte laufen mit einer perfekt getimten Symphonie der Automatisierung. Dennoch muss ich mich inmitten dieses digitalen Konzerts immer wieder daran erinnern, mich zu entspannen und die Harmonie zu geniessen.

Ebenfalls automatisiert funktioniert Ihr Sender RadioGPT. Sie überlassen die Moderation tatsächlich einer künstlichen Intelligenz (KI)?
Ja, das tun wir. RadioGPT ist ein komplettes End-to-End-System, das künstliche Intelligenz nutzt, um Themen zu identifizieren, die in einem bestimmten Gebiet aktuell sind. Ausserdem schreibt das System ein Skript, dieses wird von einem KI-gesteuerten On-Air-Moderator gelesen. Und das alles ist mit dem Automatisierungssystem eines Senders koordiniert. Futuri arbeitet bei der Einrichtung sehr eng mit allen RadioGPT-Partnern zusammen, um sicherzustellen, dass das System perfekt zum Stil des jeweiligen Senders passt. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, das System zu konfigurieren, um Persönlichkeiten und Inhalte anzupassen.

RadioGPT ist ein Demoprojekt Ihres Unternehmens Futuri. Das gleichnamige System dahinter verkaufen Sie interessierten Radiosendern. Was genau wollen Sie damit erreichen?
Futuri wurde 2009 unter der Leitfrage gegründet: «Was wäre, wenn Radio und Fernsehen nach dem Internet entstanden wären?» Sicherlich würden sie die Dinge ganz anders machen als damals. Wenn wir Futuri heute gründen würden, könnte die Frage lauten: «Was wäre, wenn Radio und Fernsehen erst nach ChatGPT entstanden wären?» Mit RadioGPT wollen wir Radiomacher dabei unterstützen, jede einzelne Minute ihres Programms so fesselnd, einzigartig und frisch wie möglich zu gestalten.

Die KI kann News und Verkehrsmeldungen vorlesen und Musiktitel anmoderieren. Ist sie auch witzig?
Ja, das kann sie sein. Unsere RadioGPT-Moderatoren haben alle spezifische Eigenschaften. Sie können ernst, zynisch, lebenslustig, skeptisch oder lustig sein. Oder eine Mischung aus allem. Die meisten Menschen haben eine Vielzahl von Eigenschaften, und unsere KI-Moderatoren haben das auch.

Und bei den seriösen Nachrichten: Wie stellen Sie sicher, dass die KI den richtigen Ton trifft?
Alle KI-Moderatoren von RadioGPT haben bestimmte Eigenschaften. Wir arbeiten mit unseren Radiopartnern zusammen, um diese Moderatoren so zu gestalten, dass sie den richtigen Ton für ihren Sender treffen. Ein Moderator, der regelmässig Nachrichten liest, wird also einen seriösen Ton haben.

Was kann die KI-Moderation sonst noch tun? Auch das Musikprogramm zusammenstellen?
RadioGPT kann Skripte erstellen, die interessante Fakten über die Musik enthalten, die im Programm gespielt wird. Der KI-Moderator kann diese Informationen einbringen. KI kann zwar Musik auswählen, aber wir stellen fest, dass unsere Radiopartner die Musik immer noch selbst auswählen möchten.

«Menschliche Moderatoren sind für das Radio absolut unverzichtbar»

Ist eine KI-Radiomoderation besser als eine echte?
Nun, KI-Moderatoren sind echte Moderatoren – sie sind nur keine Menschen. Und es ist nicht wirklich eine Frage, ob KI besser ist als Menschen; es ist etwas anderes. Menschliche Moderatoren sind für das Radio absolut unverzichtbar. Sie können viele Dinge tun, die eine KI nicht kann, wie zum Beispiel in ihre Community gehen, Hörer treffen und authentische Beziehungen zu ihnen aufbauen. Wenn ein Sender viele vorproduzierte Inhalte verwendet, wenn er keine Live-Moderatoren auf Sendung hat, ist RadioGPT eine Möglichkeit, die Inhalte zu diesen Zeiten frisch und aktuell zu halten, mit Informationen, die für ein lokales Publikum höchst relevant sind. Es ist eine grossartige Ergänzung zur Arbeit der menschlichen Moderatoren.

Und man kann auch Personalkosten sparen.
Wir sehen das nicht wirklich als eine Möglichkeit, Personalkosten zu sparen. Echte, lebende Moderatoren, die ihren Job gut machen und wirklich daran arbeiten, eine authentische, emotionale Beziehung zu ihrem Publikum aufzubauen – das sind die Menschen, die das Radio ausmachen. Aber KI kann eingesetzt werden, um die menschliche Interaktion in der Sendung zu ergänzen und zu erweitern. Sie kann den Moderatoren einen Einblick in die aktuellen Themen geben, die ihr Publikum am meisten interessiert. Sie kann erste Entwürfe von Gesprächsthemen erstellen, die in der Sendung verwendet werden sollen. Es kann für sie Social Posts und Blogartikel erstellen. Wir haben sogar ein System namens «Post», das mithilfe von künstlicher Intelligenz die On-Air-Audiosignale aufnimmt und schnell als Podcast zur Verfügung stellt.

Und wo liegen die Grenzen der KI-Moderation?
KI kann einem Zuhörer nicht in die Augen schauen und eine Verbindung zu ihm aufbauen, wenn er auf einer Veranstaltung wie einem Konzert ist. Sie kann sich nicht mit einem Werbetreibenden zusammensetzen, um Ideen für eine Werbekampagne zu entwickeln. Und derzeit kann sie nicht authentisch etwas erkennen und kommentieren, das ein menschlicher Moderator auf dem Weg ins Studio gesehen hat und für die Zuhörer interessant sein könnte, zum Beispiel einen Streit, den er in der Strassenbahn mitbekommen hat.

Seit Anfang April wird das Wetter auf dem Westschweizer Privatkanal M Le Média von einem Avatar moderiert. Kommuniziert hat dies der Sender nicht – und prompt bemerkten das die Zuschauer auch nicht. Ist das nicht etwas problematisch?
Ich bin der Meinung, dass immer dann, wenn KI so intensiv eingesetzt wird, dass eine Bindung zum Publikum entstehen kann, offengelegt werden sollte, dass es sich um KI handelt. Wenn es sich um einen Radiosender handelt, der eine synthetische Persönlichkeit für eine kurze Verkehrsmeldung einsetzt, oder wenn Sie einen Sprachklon verwenden, um einen kurzen Hinweis auf eine Werbung zu lesen, ist eine Offenlegung vielleicht nicht notwendig. Aber wenn Sie eine vollständige Persönlichkeit erschaffen, die eine Beziehung zum Publikum aufbaut, dann sollte das meiner Meinung nach offengelegt werden. Lokale Medien haben sich das Vertrauen ihrer Hörer verdient, und die Offenlegung des Einsatzes von KI ist wichtig, um dieses Vertrauen zu erhalten.

«Menschen werden nicht durch KI ersetzt – Menschen werden durch andere Menschen ersetzt, die KI nutzen»

Wie ist Ihre Prognose: Wird dies immer so bleiben – oder wird sich menschliche und künstliche Intelligenz vermischen, ohne dass dies noch deklariert wird?
Wir sehen bereits, dass sich menschliche und künstliche Intelligenz vermischen. Einer der Sender, mit denen wir in den USA zusammenarbeiten, Live 95.5 von Alpha Media in Portland, hat eine KI-Version einer bestehenden Persönlichkeit, Ashley. Immer wenn Ashley die KI-Version von sich in der Sendung einsetzt, wird darauf hingewiesen, dass die Hörer die KI-Ashley hören. Die Hörer lieben es übrigens. Ich glaube fest daran, dass Menschen nicht durch KI ersetzt werden – Menschen werden durch andere Menschen ersetzt, die KI nutzen.

Sie bieten verschiedene Stimmen an – sowohl männliche als auch weibliche. Wie das Beispiel Ashley zeigt, können also auch bestehende Stimmen imitiert werden …
Genau. Zusätzlich zu den Hunderten von Stimmen, die wir in unserer «Voice Choice Library» zur Verfügung haben, können wir menschliche Stimmen klonen und tun dies auch. Stimmenklone sind auch unglaublich hilfreich für Moderatoren, die eine grosse Menge an sich wiederholenden Inhalten einsprechen müssen, wie zum Beispiel Tags in der Werbung. Sie gewinnen dadurch Zeit und schonen ihre Stimme, sodass sie sich auf das konzentrieren können, was sie am besten können.

Dann könnten Moderatoren ja ausschlafen und das Programm der KI überlassen …
Nun, das könnten sie, aber ich würde ihnen das sicher nicht regelmässig empfehlen. Aber bedenken Sie: Toby Knapp, ein bekannter Moderator in den USA, lag vor einiger Zeit im Krankenhaus – zum Glück geht es ihm jetzt wieder gut. Er sagte zu mir: «Wäre es nicht toll, wenn ich meine Sendung von einem Stimmenklon hätte machen lassen können, als ich im Krankenhaus nicht verfügbar war?»

Sie werden am Donnerstag am SwissRadioDay auftreten. Was kann die Schweizer Radioszene von der amerikanischen lernen?
Ich bin ein Fan der Schweizer Radiobranche und davon, wie der SwissRadioDay kontinuierlich ein tolles Programm für diese Community entwickelt hat. Ich freue mich darauf, selbst von der Schweizer Radioszene zu lernen. Was die Schweizer Radioszene von der amerikanischen lernen kann: Die Schweizer sind sehr fähig, wenn es um Technologie geht, und ich werde einige Einblicke und Beispiele von amerikanischen Anwendungen künstlicher Intelligenz geben, von denen ich hoffe, dass sie unsere Schweizer Pendants zu weiteren Innovationen inspirieren.

Wann wird der erste KI-Radiomoderator in der Schweiz das Programm übernehmen?
Sehr bald. Bleiben Sie dran.



Die 24. Ausgabe des Branchentreffens SwissRadioDay findet am Donnerstag im Kaufleuten Zürich statt. Daniel Anstandig tritt als einer der Hauptredner auf, dies nebst zahlreichen anderen Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland.


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