14.08.2014

Hinter den Kulissen

Kurt Reichenbach, 50, Fotograf der "Schweizer Illustrierten"

Er fotografiert Simonetta Sommaruga im Garten oder Christoph Blocher am Swimmingpool: Seit 26 Jahren lichtet Kurt Reichenbach als Fotograf der "Schweizer Illustrierten" Polit- und Wirtschaftsgrössen der Schweiz ab. Schämt er sich manchmal für seine Protagonisten? Persoenlich.com hat ihn am Thunersee besucht – für eine Homestory vom Homestory-Fotografen sozusagen.
Hinter den Kulissen: Kurt Reichenbach, 50, Fotograf der "Schweizer Illustrierten"

Über dem Thunersee mit bilderbuchtauglichem Ausblick auf Stockhorn, Niesen und Blüemlisalp-Gebirge wohnt er also: Kurt Reichenbach, der Homestory- und People-Fotograf, beschäftigt sich gerne mit Fragen des schönen Wohnens. Neben seinen Aufträgen für die "Schweizer Illustrierte" bleibt ihm ausreichend Zeit für weitere Leidenschaften, das Handwerken zum Beispiel. Fast alle Möbel in seiner 6-Zimmer-Terrassenwohnung hat er selbst gebaut. Der zweifache Familienvater (Ehefrau Margret 49, Flavio, 22 und Manon, 20) zimmert, schleift und schweisst. "Sogar im Nähen habe ich mich schon versucht!", erklärt er im Berner-Oberländer-Dialekt, während er mit einer weiten Geste zum Ecksofa zeigt.

Eigentlich freut er sich nicht besonders über den Besuch von persoenlich.com. "Ich hasse Interviews", nörgelt er gleich zu Beginn. Schliesslich sei er ja nicht ohne Grund Fotograf statt Autor geworden. Wahrscheinlich hat Reichenbach nur eingewilligt, weil dieses Gespräch auf die Ausstellung von 100 Fotos der "Schweizer Illustrierten" hinweisen soll. Veranstalter und SI-Besitzer Ringier ist bereits seit 26 Jahren sein Arbeitgeber. "Ich darf es fast nicht sagen, aber: Direkt nach der Kunstgewerbeschule mit 24 Jahren wurde ich vom damaligen Chefredaktor Peter Rothenbühler zu 100 Prozent bei der SI fest angestellt". Sein Pensum absolviert Reichenbach von zu Hause aus. Von Oberhofen am Thunersee reist er nach Bern oder Zermatt, um Bundesrätin Sommaruga im Garten oder Ski-Star Didier Cuche beim Gletscher-Training zu fotografieren. Auf der Redaktion im Zürcher Seefeld lasse er sich höchstens einmal im Monat blicken, wie er mit spitzbübischem Lachen erzählt.

Wir setzen uns an den langen Holztisch auf der Terrasse. Reichenbach serviert Wasser und beginnt von der Ausstellung in der Zürcher Photobastei zu erzählen. 100 Fotografien seien da zu sehen. Wie viele davon von ihm stammen, wisse er nicht. Etwa die Hälfte sind es, wie eine Nachfrage bei Ringier ergibt. Darunter das Bild von Peter Bichsel in seiner Schreibstube oder dasjenige, das Christoph Blocher im Bademantel am halbleeren Schwimmbassin zeigt.

Herr Reichenbach, Homestorys sind per se stark voyeuristisch. Ist es Ihnen nie unangenehm, Leute in intimen Situationen zu fotografieren?
Das kommt vor, denn Homestory-Fotos sind immer grenzwertig. Wenn mich Situationen peinlich berühren, fotografiere ich nicht.

Erzählen Sie an einem Beispiel: Wie genau entstand das Blocher-Bademantel-Bild?
Christoph Blocher hat uns an jenem Morgen in seiner Villa in Herrliberg logischerweise nicht im Bademantel, sondern im Anzug empfangen. Weil ich mich an die Poolszene im Film "L'Expérience Blocher" erinnerte, wollte ich ihn beim Schwimmen fotografieren. Doch Christoph Blocher winkte ab, denn er habe gerade an jenem Tag das Poolwasser abgelassen.  Dies aufgrund einer kantonalen Vorschrift, die besagt, dass man nur bis zu einem gewissen Wintertag einen geheizten Aussenpool betreiben darf. Ich schlug als Alternative vor, dass Blocher den Bademantel über seine Kleider anziehen könne. Das passte aber seiner Frau Silvia gar nicht. "Das machst du nicht, Christoph!", befahl sie. Blocher aber entschied sich anders. Mit den Worten "für Herrn Reichenbach mache ich das", schlüpfte er in den weissen EMS-Bademantel. Dieses Bild ist teilweise gestellt und teilweise zufällig entstanden. Blochers Geste, bei der er nach seiner Brille greift, ist reiner Zufall.

Homestory-Fotografie ist also eine Mischung aus kreativem Arrangement und Zufall.
Ja. Manchmal gelingt es. Meistens nicht.

Sie sind seit 26 Jahren Fotograf bei der SI. Dabei haben Sie verschiedene Chefs erlebt: Peter Rothenbühler, Marc Walder, Urs Heller, Nik Niethammer oder Stefan Regez. Wie hat sich Ihr Geschäft in dieser Zeit verändert?
Die Homestory-Fotografie ist ein Zwischending zwischen Pressefotografie auf der einen Seite und Werbefotografie auf der anderen Seite. Bei der Pressefotografie wird die Situation ja so wenig wie möglich beeinflusst und möglichst echt abgebildet. Bei der Werbefotografie geht es darum, alles exakt kontrollieren und beeinflussen zu können. Homestory-Fotografie steht ungefähr in der Mitte. People-Fotografen wollen beeinflussen, doch es soll möglichst echt aussehen, so dass es die Leute nicht merken.

Was genau ist anders als früher?
Früher war die Devise: vorne hell, hinten hell und in der Mitte lacht es. Peter Rothenbühler wollte keine Kunst. Unsere Bilder sollten die Zeitschriften und Bücher in den Wohnzimmern der Porträtierten zeigen.

Und heute?
Heutzutage will man Homestorys nicht allzu plump machen, zurückhaltend sein, was arrangierte Situationen anbelangt. Bilder, bei denen Familienmitglieder in zwei Reihen aufgereiht aus dem Bild gaffen, würden wir heute nicht mehr machen.

Keine Missen-in-der-Badewanne also.
Ich habe Missen nie mit Cüpli in der Badewanne fotografiert. Ein einziges Mal habe ich ein Badewannen-Foto gemacht: mit einem 60-jährigen Künstler in Badehosen, der eine wunderschöne freistehende Badewanne in seinem Loft stehen hatte. 

Eindrücklich ist auch Ihr Bild von Ex-Bundespräsidenten Ueli Maurer im Hotelzimmer vor seiner Teilnahme am Wasalauf in Schweden. Haben Sie ihm geraten, in die Startnummer zu beissen?
Nein, natürlich nicht. Das hat er von sich aus gemacht. Ich habe nur gesagt, er solle sich auf das Bett setzen und seine Vorbereitungen weiterführen. Ich gab ihm einen Rahmen vor, so wie ich das immer mache. Was die Leute dann alles tun, erstaunt mich manchmal echt. Mit Ueli Maurer gab es noch viel absurdere Szenen, als diese mit der Startnummer im Mund: Er hat sich sogar die Handschuhe auf den Kopf gelegt. Doch diese Szene konnte ich nicht fotografieren, weil ich nicht genügend schnell war. 

Halten Sie die Begegnungen mit Promis auch für sich selber fest? Auf Ihrem Smartphone müssen sich zahlreiche Sefies mit Polit- oder Wirtschaftsgrössen befinden.
Nein, ich habe kein einziges Selfie gemacht. Mit wem sollte ich mich dann ablichten? Wo kämen wir da hin?! Mich interessieren diese Stars nicht als Stars, sondern als normale Menschen. Sie leisten etwas Besonderes, tun Aussergewöhnliches – etwas, was ich bewundern kann. Ich selber suche die Nähe zu den Prominenten nicht, denn ich weiss, dass sie sich nur für mich interessieren, weil ich SI-Fotograf bin. Viele Journalisten begehen mit der Zeit einen Fehler, wenn sie glauben, es ginge um sie. Sie werden nicht wegen ihrer Person eingeladen oder kontaktiert, sondern nur in ihrer Funktion als Repräsentant eines Mediums. 

Ausleuchten und Belichten: Haupttätigkeiten eines Profi-Fotografen.

Im Home Office gilt keine Clean-Desk-Policy.

Treppe, Sideboard und Esstisch hat Kurt Reichenbach selbst gebaut.

Der Fotograf in der Werkstatt: "Meine heimliche Leidenschaft."

Ausblick auf das Stockhorn.

Sogar die Terrasse ist selbstgezimmert.

Himbeeren, Tomaten, Feigen: "Meine Frau Marget ist diejenige mit dem Grünen Daumen".

Die Ausstellung "100 illustrierte Schweizer" ist vom 14. bis 31. August in der Photobastei Zürich zu sehen. www.photobastei.ch

Text und Bilder: Edith Hollenstein


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KOMMENTARE

George Oeschger
04.09.2016 20:30 Uhr
Das Eidgenössische in Estavayer war Spitze! Der Fotograf der Schweizer Illustrierte hatte super Aufnahmen geschossen. Schöne Momente die alle bewegen und die Festfreude vom Eidgenössischen Schwing und Älplerfest der ganzen Welt zeigen. Habe bereits aus New Zealand echos erhalten. Ich hätte noch Interesse den anderen Fotos von unserem Küchen- Biwak auf der Landepiste. Herzlichen Dank und beste Grüsse George ehemaliger Schwinger
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