Medienkompetenz für Jugendliche – ein Thema, das längst nicht vom Tisch ist. Am Freitag fand zum zweiten Mal die «nationale Nachrichtenkompetenz-Tagung auf Sekundarstufe I und II» an der ZHAW in Winterthur statt. Organisiert wurde diese vom Verein UseTheNews. Ziel der Tagung war es laut den Veranstaltenden, Lehrpersonen und Vertretenden aus den Bereichen Medien und Wissenschaft eine Möglichkeit zu bieten, sich über praxisorientierte Themen auszutauschen.
Das 5C-Modell
Nach einer kurzen Einführung durch Markus Spillmann, Geschäftsführer von UseTheNews, stellte Dozentin Fiona Fehlmann das Konzept der «Nachrichtenkompetenz» anhand des sogenannten 5C-Modells vor. Dieses umfasst fünf zentrale Pfeiler zur Erschliessung des Konzepts. Der erste Pfeiler, «Context», beinhaltet die Klassifizierung verschiedener Nachrichtenquellen sowie die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat finanzierten Medien. Der zweite Pfeiler, «Creation», bezieht sich auf das Wissen über journalistische Strukturen wie publizistische Leitlinien.
Auch «Content» stellt einen wichtigen Aspekt der Nachrichtenkompetenz dar, welcher die Differenzierung zwischen verschiedenen Textsorten sowie die Trennung von Meinung und Fakten umfasst. Der vierte Pfeiler, «Circulation», beschreibt die Nachrichtenverbreitung und das Bewusstsein darüber, dass neben offiziellen Medienhäusern auch Algorithmen an der Verbreitung beteiligt sind. «Consumption» schliesslich fordert eine Selbstreflexion über die eigenen Kompetenzen im Umgang mit Nachrichten.
Von Medienvermittlung und der Rolle als Lehrperson
Weiter ging es mit einer Podiumsdiskussion, in der besonders die Themen der Nachrichtenkompetenz der Jugendlichen und die Medienvermittlung an Schulen debattiert wurden. Kaspar Vogel, Sekundarschullehrer der Stufen B und C in Veltheim, fasste das Verhalten seiner Schülerinnen und Schüler folgendermassen zusammen: «Nachrichtenschauen auf Blick? Nein. 20 Minuten? Vielleicht. Vielmehr aber auf TikTok, Instagram und Snapchat.» Dies seien die zentralen Informationsquellen zu Themen wie etwa der amerikanischen Präsidentschaftswahl oder dem Krieg in Gaza. Dass die Jugendlichen auf solchen Plattformen oft auf islamfreundliche Inhalte stossen und sehr einseitig über diese Thematiken informiert werden, erachte er als Gefahr.
Eine kritische Hinterfragung fände nämlich nicht statt. Die Frage, ob die Fakten stimmen, spiele keine Rolle, vielmehr, ob es «Lust mache», diese Videos anzusehen. Die Nachrichten bräuchten einen reisserischen Charakter, um die Jugendlichen zu unterhalten. Ein Lehrer aus dem Publikum stimmt dem Phänomen zu. Letztens hätte ihn ein Schüler auf ein Video angesprochen, in dem eine Katze über eine Bibel gelaufen sei, nicht aber über einen Koran. Deswegen läge es an der Lehrperson, solche Aussagen zu verifizieren – in seinem Fall mit einem wissenschaftlichen Experiment, in dem die Situation nachgestellt wurde.
In den Klassenzimmern von Lea Thalmann, Deutschlehrerin an der Kantonsschule Wil, oder Georg Berger, Direktor des Berufsbildungszentrums Olten, sieht die Situation etwas anders aus. Dort lesen vereinzelte Jugendliche den Blick oder sehen auch ab und an die «Tagesschau» mit den Eltern, auch wenn diese Berichtserstattung oft als «zu langsam» empfunden werde. Nichtsdestotrotz nehmen auch die beiden wahr, dass eine Aktualität der Themen zentral ist, um die Jugendlichen zu erreichen.
Zum Thema Medienangebote kritisierte Kaspar Vogel eine deutliche Lücke zwischen Nachrichten für Kinder und Erwachseneninformationen. Er plädierte für mehr Tiefe in der Berichterstattung, während gleichzeitig ein gewisser Unterhaltungswert bewahrt werden sollte. Aber auch hier werde es die Schule als zentrale Vermittlerin sein, da er nicht glaube, dass Jugendliche selbstständig Medienkompetenz erlangen könnten.
«Wir alle sitzen im gleichen Boot»
Im Anschluss zur Podiumsdiskussion widmete Journalist und Jugendexperte Thomas Feibel seinen Vortrag dem Thema «Lesefähigkeit» und wofür wir diese brauchen. Laut Feibel bergen sich in der heutigen, digitalisierten Gesellschaft Gefahren, die früher nicht existierten. Kinder werden nicht mehr mit Süssigkeiten in ein Auto gelockt, sondern beim Fortnite-Spielen von Pädophilen aufgefordert, die eigene Adresse oder gar ein Foto von sich zu teilen.
Auf Feibels Frage «Was sind überhaupt soziale Netzwerke?» reagierte das Publikum vorhersehbar mit Nennungen wie Instagram und TikTok. Feibel korrigierte: Soziale Netzwerke seien Freunde. Die Grundidee, Menschen mit Menschen zu vernetzen, sei im Kern eine positive. Bloss seien wir heute in den sozialen Medien mit Leuten befreundet, die wir nicht kennen, mit denen wir vielleicht gar nicht wirklich befreundet sein wollen.
Weitere Problematiken, die die Medienerziehung erschweren: Deep-Fake-Videos, Datenschutzprobleme, Fake News. Dies seien alles Themen und Gefahren, die Kindern nähergebracht, vor denen sie gewarnt werden sollen. «Doch warum reden wir über Fake News, wenn wir nicht über News reden?», so Feibel. «Warum interessiert das Kind nicht, wenn ein Auto in eine Menschenmenge fährt? Einfach. Weil es Angst macht.»
Natürlich sei Feibel ein grosser Befürworter des UseTheNews-Vereins. Er bestärkt, dass Jugendlichen Medienkompetenz bereits schon viel früher beigebracht werden sollte. Nichtsdestotrotz sei ein Punkt zentral: «Zum ersten Mal in der Geschichte der Medien wollen wir Kinder vor etwas schützen, von dem wir selbst nicht wissen, wie’s geht. Wir sitzen alle im gleichen Boot.» Wie soll einem Kind beigebracht werden, sich vor Manipulation zu schützen, wenn wir das selbst nicht könnten? Er schloss mit der Frage nach der Vermittlungsverantwortung – Eltern, Schule oder die oft vergessene öffentliche Bibliothek?
Während am Nachmittag die Teilnehmenden in verschiedenen Breakout-Sessions, einem Panel zur demokratischen Relevanz von Nachrichtenkompetenz sowie einem Auftritt des Lehrers und TikTok-Stars Jodok Cello wertvolle Impulse erhielten, bleibt die zentrale Erkenntnis des Vormittags bestehen: Im digitalen Zeitalter sitzen Lehrpersonen, Medienschaffende und Eltern gemeinsam im Boot der Medienerziehung – mit Herausforderungen, die für alle gleichermassen neu sind.