15.10.2016

Ringier

«Man versucht, Grausamkeiten netter darzustellen»

Das muss weh tun: Zuerst eine Ohrfeige vom Medienqualitätsrating und jetzt die Schlappe bei den Wemf-Zahlen. Wie verdaut der «Blick» so grosses Ungemach? Wird es im Newsroom zu weiteren Entlassungen kommen? persoenlich.com hat Alexander Theobald, den Geschäftsführer a. i. der Blick-Gruppe, zum Gespräch getroffen.
Ringier: «Man versucht, Grausamkeiten netter darzustellen»
Alexander Theobald am Mittwoch, 12. Oktober im Ringier-Pressehaus Zürich vor dem Bild «Mining» von Nicole Eisenman. (Bild: Ringier/Sabine Wunderlin)

Herr Theobald, als Ad-Interims-Chef machen Sie den Job doch nicht mit der gleichen Leidenschaft und Konsequenz, wie wenn Sie ihn fix hätten…
…vielleicht aber mache ich ihn gerade deshalb mit mehr Leidenschaft und Konsequenz, weil ich ihn nur vorübergehend habe! Ich werde diese Blick-Geschäftsführung nicht ewig machen, sondern gehe von rund 12 Monaten aus. Schliesslich entscheide aber selbstverständlich nicht ich, sondern Marc Walder.

Sollte Marc Walder Ihnen die Stelle fix anbieten: Würden Sie zusagen?
Nein.

Was ist mit Ihren Mitarbeitern: Nehmen sie einen Interims-Chef überhaupt ernst?
Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Mitarbeitenden hinter meinem Rücken über mich lachen.

Sie waren vorher in Kaderfunktionen bei Valora und Tamedia. Wie unterscheiden sich die Kulturen dieser Unternehmen?
Bei Ringier ist es weitaus am Schönsten. Hier gibt es ein unwahrscheinliches Gefühl der Offenheit. Eine sehr partizipative Art der Führung und ein grosses Vertrauen. Bei börsennotierten Unternehmen dagegen herrscht teilweise ein sehr ruppiges Klima. Natürlich hatte ich da aber auch viele sehr positive Erfahrungen machen können.

Was gibt in Ihrer neuen Funktion als «Blick»-Geschäftsführer am meisten zu tun?
Weil ich an den Themen, die den «Blick» betreffen, vorher schon sehr nah dran gewesen bin, war es für mich einfach, in diese neue Funktion hineinzufinden. Schwierig, weil zeitintensiv, ist eher, dass ich momentan zwei Jobs habe – ich bin ja weiterhin COO Ringier Schweiz.

Können Sie ein Projekt nennen, das Sie derzeit intensiv fordert?
Ein Hauptthema ist weiterhin die Transformation und Digitalisierung der Marke Blick. Dazu gehört auch der Newsroom, der sich laufend weiterentwickelt.

Also auch die Mitarbeiter.
Ja, der Newsroom an und für sich. Das ist ein permanent atmendes Gebilde, welches sich dauernd neuen Anforderungen anpassen muss. Wolfgang Büchner hat die Konvergenz konsequenter umgesetzt. Dieses stärker kanalübergreifende Arbeiten in der angepassten Struktur führen wir jetzt weiter.

Was genau meinen Sie mit: «Führen wir jetzt weiter»?
Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass in einigen Monaten nicht bereits wieder ein nächster grosser Schritt ansteht. Vieles ist im Fluss, wir müssen uns laufend anpassen. Zum Beispiel bauen wir den Bereich Video weiter aus. Video ist bereits jetzt ein Erfolg für die Blick-Gruppe.  

Können Sie hierzu Zahlen nennen?
Wir haben in den letzten Jahren eine stetig steigende Zahl Views erzielt. Während wir im ersten Semester 2015 noch 70 Millionen Views verzeichneten, waren es im ersten Halbjahr 2016 bereits 170 Millionen. Video wächst stark.

Sie meinen aber nicht nur selbstproduzierte Videos.
Nein, natürlich nicht. Wir haben neben journalistischen Videos kommerzielle und aggregierte Videos. Die oben genannten Zahlen beziehen sich auf alle in den Blick-Kanälen veröffentlichten Videos.

Ihr Chef, CEO Marc Walder, sagte in Luzern, der Journalismus sei kein gesichertes Geschäftsmodell mehr. Was bedeutet diese Aussage für Sie als Blick-Geschäftsführer?
Ich habe mit Marc Walder nie direkt über diese Aussage gesprochen. Aber erstmal: Wir verdienen immer noch viel Geld mit Journalismus. Natürlich ist dieser Betrag kleiner geworden in den letzten Jahren. Dass dieses Geschäftsmodell nicht mehr gesichert sein soll, interpretiere ich dahingehend, dass der Journalismus als solcher sich permanent verändern muss.

Was heisst das für Ihre Leute im Newsroom?
Sie müssen sich anpassen. Wenn unsere Nutzer immer weniger Print lesen, müssen wir diesem neuen Bedürfnis Rechnung tragen. Die Newsroom-Journalisten müssen digital denken, auch fürs Online arbeiten und Social-Media-Kanäle sowie Video einsetzen. Vor drei Jahren hat noch niemand richtig darüber gesprochen, jetzt ist Video unheimlich stark geworden. Mittlerweile arbeiten rund 10 Prozent der Newsroom-Belegschaft im Bereich Video – das sind etwa 20 Leute.

Wolfgang Büchner hat Stellen abgebaut. Kommt es unter Ihnen zu weiteren Kündigungen?
Der Kostendruck bleibt enorm hoch. Momentan sind keine Kündigungen vorgesehen. Aber wir prüfen natürlich laufend quer durch alle Ressorts, wie viele Leute es braucht und ob es sich bei Abgängen lohnt, die Stellen wiederzubesetzen. Wir versuchen den Abschmelzungsprozess so kontrolliert wie möglich zu gestalten.

So ist es bei allen Verlagen. Auch Tamedia und die NZZ  bauen stillschweigend Leute ab, in dem sie freie Stellen nicht mehr besetzen.
Ja. «Kosten-Allokation» ist ein unschönes Wort. Man versucht so, Grausamkeiten netter darzustellen. Aber man darf nicht vergessen, dass nicht nur ab-, sondern an anderer Stelle auch aufgebaut wird.

In letzter Zeit gab es gleich mehrfach Bad News für den «Blick»: Zuerst das schlechte Abschneiden beim Medienqualitätsrating. «Blick» war ganz am Schluss, sogar hinter «20 Minuten».
Ich hatte intensive Diskussionen mit den Herren dieses Medienqualitätsrankings; mit Vinzenz Wyss, Andreas Durisch und Tobias Trevisan. Fakt ist, dass diese Studie den Boulevardmedien nicht gerecht wird. Da frage ich mich: Wieso soll ein Unternehmen, das etwas ganz anderes macht als diese Studie untersucht, überhaut daran teilnehmen?

Der «Blick» soll also gar nicht mehr berücksichtigt werden, wenn es um Medienqualität geht?
Nein, wir sträuben uns nicht gegen diese Analyse. Aber was die Qualitätsforscher untersuchen und was wir mit der Marke «Blick» machen, passt einfach überhaupt nicht zusammen.

Das könnte umgekehrt bedeuten, dass das was Sie mit der Marke «Blick» machen, einfach nichts mehr mit Medienqualität zu tun hat.
Was Sie als qualitativ wertvoll bezeichnen, überlasse ich Ihnen.

Sprechen wir über die Wemf-Zahlen. Auch da gab es eine Schlappe: «Blick» (-12,04), «Blick am Abend» (-7,29), «Sonntagsblick» (-6,69). Das muss weh tun.
Natürlich, die aktuellen Leserschaftszahlen sind keine schönen News. Erklären lassen sie sich durch den überproportional hohen Einzelverkaufsanteil, welchen unsere Titel erreichen. Kioskexdemplare erreichen mehr Leser pro Exemplar als Abonnements, auch deshalb verlieren «Blick» und «Sonntagsblick» Leser.  Ein weiterer Grund ist die regionale Verankerung und stärkere Abo-Orientierung anderer Zeitungen, was auf unsere nationalen Publikationen nicht zutrifft. Aber: «Blick» hat mit dem Print- und Onlineangebot noch nie eine so grosse Anzahl Personen erreicht, wie die Total-Audience-Zahlen der Wemf-Studie zeigen.

Haben Sie einen Plan, wie Sie diese Entwicklung stoppen können?
Wir können unsere Leser ja nicht umerziehen, diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Wenn uns viele lieber online lesen wie die Wemf-Total-Audience-Studie zeigt, müssen wir dort präsent sein und noch stärker werden. Print wird jedoch immer wichtig bleiben, da bin ich überzeugt

Ist eine Paywall definitiv vom Tisch?
Eine Paywall ist bei Blick.ch kein Thema. Unsere Qualitätszeitung «Le Temps» hat als einziges Ringier-Produkt eine Paywall. Bei den Blick-Produkten glauben wir nicht daran, dass die Leute bereit sein werden, online dafür zu zahlen.


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