23.12.2018

Spiegel

Manipulierte Geschichten auch in der NZZaS

Der Betrugsfall um Claas Relotius hat die Medienbranche aufgerüttelt. Die betroffenen Titel prüfen nun den Wahrheitsgehalt der publizierten Artikel, so auch die «NZZ am Sonntag». Die Recherche zeigt: Mindestens zwei Texte enthalten frei erfundene Protagonisten.
Spiegel: Manipulierte Geschichten auch in der NZZaS
Der mehrfach ausgezeichnete Reporter Claas Relotius hat zwischen 2012 und 2014 sechs Texte in der NZZaS publiziert. Dabei hat er einen norwegischen Häftling und einen Vertreter des nationalen Versöhnungskomitees in Albanien erfunden. (Bild: Keystone/EPA/Golejewski)

Während mehrerer Jahre hat «Spiegel»-Journalist Claas Relotius seine Leserinnen und Leser getäuscht. Unter anderen hat er Hauptdarsteller frei erfunden oder Handlungen aufgebauscht. Vergangene Woche hat das deutsche Nachrichtenmagazin den Betrugsfall publik gemacht (persoenlich.com berichtete). Die Medienbranche reagierte erschüttert.

Auch in der Schweiz veröffentlichte der 33-jährige deutsche Reporter seine Texte – so auch in der «Weltwoche» und der «NZZ am Sonntag». Wie die NZZaS am Mittwoch gegenüber persoenlich.com ankündigte, ist die Redaktion nun daran, die sechs Artikel einem Faktencheck zu unterziehen. Eine erste Überprüfung dieser Texte habe den Manipulationsverdacht bestätigt, schreibt die «NZZ am Sonntag». Mindestens zwei der sechs zwischen 2012 und 2014 erschienenen Texte würden fingierte Angaben enthalten.

In der Reportage «Gangster’s Paradise», erschienen am 8. April 2012, berichtete Relotius über die norwegische Gefängnisinsel Bastoy. Am Ende des Artikels beschrieb er den Gefangenen Per Kastaad, der um eine Verlegung in ein anderes Gefängnis ersuchte. Doch Per Kastaad ist reine Fiktion, wie die Recherche der NZZaS gezeigt hat. «In unseren Aufzeichnungen gibt es keinen Per Kastaad und keinen Gefangenen mit ähnlich klingendem Namen», teilte der Gefängnisdirektor Tom Eberhardt der Zeitung mit.

Unwahrheiten enthält auch die NZZaS-Reportage «Auge um Auge», ein Text über die Blutrache in Albanien, erschienen am 9. Dezember 2012. Auch in diesem Fall erfand der Reporter einen seiner Hauptdarsteller, den er angeblich bei der Arbeit begleitet hatte. Die Existenz der anderen Protagonisten in der Geschichte zu überprüfen, sei bis jetzt nicht gelungen. Und: «Vielleicht wird das nie gelingen», so die NZZaS.

28 Artikel in der «Weltwoche»

Auch in der «Weltwoche» hat Relotius etliche Artikel publiziert, laut «SonntagsZeitung» sind es insgesamt 27 Interviews und eine Reportage. «Ich weiss nicht, ob an den wenigen Artikeln, die bei uns erschienen sind, etwas faul war», sagte Verleger und Chefredaktor Roger Köppel am Mittwoch gegenüber persoenlich.com. «Es gab nie eine Beanstandung.»

Bei der Reportage, die am 25. Oktober 2012 unter dem Titel «Feuert Obama» erschien, habe die SoZ bei einer ersten Prüfung herausgefunden, dass Relotius darin «Passagen aufbauschte oder frei erfand» (Artikel kostenpflichtig). So sei die Ortschaft Beallsville kein «1000-Seelen-Dorf», wie vom preisgekrönten deutschen Reporter beschrieben, sondern habe nur 400 Einwohner.

Vor allem aber sei auch die Existenz der Hauptperson Steven Witter «sehr fraglich». Onlinesuchen hätten keinen einzigen Eintrag zu einer Person namens Witter aus Beallsville in Ohio ergeben, so die SoZ. Auch alteingesessene Einwohner konnten sich auf Anfrage der Zeitung nicht an diesen Mann erinnern.

Reaktion von Köppel

Der «Weltwoche»-Chefredaktor war gemäss «SonntagsZeitung» für eine Stellungnahme nicht erreichbar. «Köppel auf Tauchstation», heisst es gar auf der Frontseite. Am Sonntagmorgen hat Chefredaktor Köppel nun auf Facebook reagiert: «Die Nachricht von diesen Fälschungen erreichte die ‹Weltwoche› nach Beginn der redaktionellen Weihnachtsferien. Die ‹Weltwoche› nimmt diesen Fall ernst und ist seit Bekanntwerdung des Falls daran, die Relotius-Texte, soweit möglich, nachzuprüfen», so Köppel.

Dem beschuldigten Autor werde selbstverständlich Gehör eingeräumt, heisst es in der Medienmitteilung. (as)



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