22.09.2019

Wahlen 2019

Medienvielfalt fehlt, Dossierwissen noch mehr

Wie steht es um den Schweizer Politjournalismus? Genau vier Wochen vor den nationalen Wahlen haben CVP-Präsident Gerhard Pfister, Ringier-Lobbyistin Verena Vonarburg und Radio-SRF-Inlandredaktorin Priscilla Imboden am Reporter-Forum darüber diskutiert.
Wahlen 2019: Medienvielfalt fehlt, Dossierwissen noch mehr
Auf dem Panel «Wenn in Bern die Lichter ausgehen»: Christoph Lenz (Moderation), Verena Vonarburg (Ringier-Lobbyistin), Priscilla Imboden (Radio-SRF-Bundeshausjournalistin) und Gerhard Pfister (CVP-Präsident). (Bild: Ruben Sprich)
von Michèle Widmer

In vier Wochen wählen die Schweizerinnen und Schweizer ihr Parlament. Schaffen es die Medien, ihnen die nötigen Informationen für die Wahl zu liefern? Welche Folgen hat die Medienkonzentration im Wahljahr? Diese Themen kamen am Freitag am Reporter-Forum im Zürcher Volkshaus auf den Tisch. Etwa 20 Stellen seien im Bundeshaus in den letzten vier Jahren überschlagsmässig kalt abgebaut worden, rechnet Christoph Lenz, Moderator des Panels und selbst Bundeshausredaktor bei der Redaktion Tamedia vor. Mit ihm diskutierten CVP-Präsident Gerhard Pfister, Priscilla Imboden, Bundeshausredaktorin bei Radio SRF und Verena Vonarburg, Cheflobbyistin für Ringier und früher selbst Politikjournalistin beim «Tages-Anzeiger».

Zu Beginn des Panels geht es um die kürzlich lancierte Google-Ads-Kampagne der CVP (persoenlich.com berichtete). Die Kampagne beleuchte Politiker und ihre Positionen kritisch, fragt Lenz in Richtung Pfister. «Haben Sie den Glauben daran, was die Medien tun, verloren?». «Sicher nicht», antwortet der CVP-Präsident, und fügt an: «Im Wahlkampf kann man sich nicht darauf verlassen, dass die Journalisten die Kampagne für einen machen.» Er sei nicht so ein Medienprofi, führt der Politiker aus. Aber, dass die Kampagne auf eine solche Resonanz stossen würde, habe ihn überrascht. 24 Stunden vor Start hätten sie noch überlegt, ob man die Kampagne bewerben müsste, weil sie sonst ja gar niemand bemerken könnte. Auf die Frage, warum die Wogen vor allem bei anderen Politikern so hoch gingen, hat Pfister eine Antwort parat: «Politiker haben es vor Wahlen nicht gern, wenn sie auf eine Position festgelegt werden.» Das sei bemerkenswert.

Nur noch drei Tageszeitungen lesen

Zurück beim eigentlichen Thema, der Medienvielfalt, sagt Pfister: «Als ich im Nationalrat begonnen habe (2003), mussten wir fünf Tageszeitungen lesen, um zu erfahren, was über die Inlandpolitik geschrieben wurde. Heute sind es noch drei, weil in allen Kopfblättern dasselbe steht.» So sehe man physisch, wie die Vielfalt abnehme. Diese Zentralisierung der Medien sei problematisch. Es sei etwas anderes von Bern aus über das Wallis zu berichten, als wenn man direkt aus dem Wallis schreibt.

SRF-Radio-Journalistin Priscilla Imboden, die sich stark gegen den im letzten Frühjahr angekündigten Umzug der SRF-Radiostudios von Bern nach Zürich eingesetzt hat, bringt sich hier ein und sagt: «Die Verlegung der Redaktion nach Zürich hätte eine Angleichung der Themen und Perspektiven zur Folge», sagt sie und macht ein Beispiel: «Wenn wir über Landwirtschaft berichten, fahren wir von Bern aus ins Berner Oberland. Von Zürich aus ginge es dafür ins Zürcher Oberland. Das sei rein praktisch bedingt. Zudem, fügt sie an, sei es auch relevant, wo Journalisten ihre Freizeit verbringen würden, wo man vernetzt sei. Nach grossem Widerstand hat die SRG die Pläne diesen Sommer zum Teil revidiert und zügelt nur noch einen Teil des Radiostudios nach Zürich (persoenlich.com berichtete).

Auch Imboden spürt die abnehmende Medienvielfalt – konkret zum Beispiel dann, wenn sie an Pressekonferenzen nur auf einen oder zwei Kollegen von der SRG treffe, die restlichen Stühle aber leer bleiben. Die Journalistinnen und Journalisten der SRG seien stark mit ihrer Chronistenrolle beschäftigt. Für die Geschichten dahinter, hätten sie leider wenig Zeit. Früher seien die Zeitungen hier eingesprungen, hätten berichtet, wenn Parteien untereinander Abmachungen getroffen haben. Solche Geschichten aufzudecken, von denen Politiker kein Interesse hätten, dass sie aufgedeckt werden, dafür sei heute häufig zu wenig Zeit.  

Fehlende Tiefe in der Berichterstattung

Die Verarmung der Vielfalt sei nicht wegzudiskutieren, stimmt auch Ringier-Lobbyistin Verena Vonarburg in die Diskussion ein. Allerdings sei zu ihrer Zeit als Journalistin nicht alles besser gewesen. «Wir haben früher unsere Gärtchen gepflegt, seitenweise über Themen geschrieben, die wahrscheinlich zum Teil niemanden interessiert haben. Gemessen an den extrem knappen Ressourcen, sei das Niveau im Schweizer Politikjournalismus bemerkenswert hoch, adressiert sie die rund fünfzig zuschauenden Journalistinnen und Journalisten im Saal. Dennoch bemängelt Vonarburg die Tiefe in der Berichterstattung Es gebe Themen, bei denen sei Hintergrundwissen gefragt – was ist da vor fünf oder zehn Jahren dazu passiert? Dieses Wissen sei in vielen Redaktionen nicht mehr da. Die Redaktionen würden auf die grossen, publikumswirksamen Themen aufspringen und die anderen fallen weg. Das sei für eine Demokratie ein Problem.

Fehlendes Dossierwissen bei Politikjournalisten beklagt auch Pfister. «Früher wusste der Journalist häufig mehr als der Politiker», sagt der CVP-Präsident. Heute wisse er weniger oder habe zumindest zuwenig Zeit, die relevanten Fragen zu stellen. Das vereinfache es Politikern, ihre Thesen in die Zeitungen zu bringen. Gerade kürzlich habe ihm ein Journalist erzählt, dass sein Medium abends das Blatt mit jenen Inhalten fülle, die tagsüber meistgeklickt waren. Für einen Politiker sei das wie eine Droge. Er werde seine Politik genau auf diese Arbeitsweise ausrichten.

Ein Appell an die Verleger

Werden die Medien hierzulande ihren Anforderungen für das System Demokratie noch gerecht? «Je weniger von Journalisten kommt, desto mehr machen Politiker selber. Das halte ich für gefährlich», sagt Pfister auf diese Frage. Im Bewusstsein des «stürmischen Strukturwandels», den die Medien zurzeit durchleben, richtet der CVP-Chef einen Appell an die Verlage: «Wenn ihr wollt, dass eure Zeitungen gut sind, dann schafft Journalistenstellen und bezahlt sie anständig». Für die Demokratie sei es wichtig, dass dieses Berufsbild attraktiv gestaltet wird.

Von Lenz angesprochen auf seine wiederkehrende Kritik am Journalismus, sagte Pfister: «Kritik ist die innigste Form von Liebe. Was Sie interessiert, was Sie ernst nehmen, das kritisieren Sie.»



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