28.11.2019

Jubiläum Radio 24

Mein Damaskuserlebnis

Am 28. November 1979, also heute vor 40 Jahren, ging Roger Schawinskis Radio 24 erstmals auf Sendung. «Dieser Moment hatte mein Leben verändert», erinnert sich Matthias Ackeret.
Jubiläum Radio 24: Mein Damaskuserlebnis
Roger Schawinski im Jahr 1980 vor der Sendeanlage auf dem Pizzo Groppera. (Bild: Keystone/Str)
von Matthias Ackeret

Ich mag mich noch gut erinnern, als ich zum erstmals Radio 24 hörte. Das war genau vor vierzig Jahren, kurz vor oder am 28. November 1979. Ich war 16, besuchte die Kantonsschule in Schaffhausen und trug eine Hornbrille. Ich drehte an der Kurbel eines überdimensionierten Radiogerätes, als aus dem radiophonen Nichts plötzlich Musik erklang. Zuerst ganz leise, drehte man die Antenne aber Richtung Süden, so nahm das Rauschen ab und der Sound wurde lauter. Sogar den Titel, der damals gespielt wurde, kenne ich noch: «Video killed the radio star» von den Buggles. Das finde ich heute noch absurd, da in dieser Sekunde in der Schweiz ein neuer Beruf erfunden wurde: derjenige des Radio-Stars. Nach wenigen Sekunden wieder ein Rauschen, dann ertönte die samtene Stimme von Christian Heeb: «Sie hören eine Testsendung von Radio 24 aus unserem Studio in Como». Kurze Zeit später ging es definitiv los.








Dieser Moment hatte – ohne allzu pathetisch zu werden – mein Leben verändert. Es war sozusagen mein Damaskuserlebnis und der Entscheid, Journalist zu werden, war geboren. Radio 24 war meine Offenbarung, meine seelische Erschütterung. Und Zürich – für einen kleinen Bub aus dem Zürcher Weinland – das, was es für die meisten ausserhalb von Zürich immer noch ist: eine richtige Weltstadt mit einem richtigen Radio.

Die damalige Euphorie einem zu erklären, der nicht dabei war, ist unmöglich. Die Vorstellung, dass man eine Monsterantenne auf einen 3000 Meter hohen Grenzberg stellen musste, um das Mediensystem zu knacken, wirkt in einer Zeit, in der jeder mit seinem eigenen iPhone sein eigener Sender ist, unvorstellbar, ja absurd. Gäbe es den Kistenpass, diese Lücke in den Bündner Bergen nicht, wäre das Sendesignal vom Groppera gar nie in Zürich angekommen. Die späte Gnade der Geologie.

«So grausam war die Medienrealität damals»

Mit einem kleinen Kassettengerät zeichnete ich die Sendungen von Christian Heeb, Christoph Grenacher, Frank Baumann, Ursi Spaltenstein, Daniel Ambühl, Röbi Koller, Cyril Meier, Jürg Hofer, Clem Dalton, Valeria oder Walti Lutz auf. Die meisten von ihnen lernte ich später persönlich kennen. Ich klopfte ganz schüchtern bei der Zürcher Redaktion von Radio 24 an, die sich in einem kleinen Hinterhof an der Limmatstrasse befand, und durfte zuschauen, wie Markus Gilli einen Fax nach Italien sendete, das Telefon klingelte und sich der Moderator im fernen Italien beklagte, dass der Fax nicht eingetroffen sei. «Unsere Telefonleitungen sind von den Fans permanent überlastet», erklärte Gilli in einem für Ostschweizer Ohren arrogant tönenden Züri-Dialekt und versuchte es ein zweites Mal. Ich beobachtete ehrfürchtig den schwarzen Kasten, in welchem das Papier verschwand. Den Fax habe ich nachher eingepackt, als Reliquie.

Im kalten Dezember 1979 fuhr ich mit meinem Rennvelo durch das Zürcher Weinland und das Klettgau und sammelte Unterschriften für den neuen Sender. Dass ihn die meisten gar noch nie gehört hatten, war unwichtig. Ich litt mit Roger Schawinski vor meinem Radiogerät, als die italienische Polizei auf Begehren des Schweizer Bundesrates wieder einmal den Sender schliessen musste. Vielleicht war dies nach Marignano das einzige Mal, als die Schweizer Regierung im Ausland intervenierte. Schawinski himself spielte kurz nach 13 Uhr mit dem untrügerischen Gefühl für Dramatik im Sendestudio in Como «Viva l’Italia» von Francesco De Gregori, während italienische Carabinieri den Pizzo Groppera stürmten. Ein paar Sätze später, dann ertönte aus dem Radio nur noch Rauschen. Das musste im Winter 1980 gewesen sein, als man mit aller Brutalität in eine Zeit zurückkatapultiert wurde, in der es nur Radio Beromünster gab. Ich trocknete meine Augen und verpasste die Biologiestunde an der Schaffhauser Kantonsschule. So grausam war die Medienrealität damals.

Wenige Wochen später sendete Radio 24 wieder: Dank Schawinskis unendlichem Optimismus und italienischen Gerichten, von denen die Welt vorher gar nicht wusste, dass es diese gab. Während einige meiner Schulkollegen mit den Teilnehmern der Zürcher Unruhen sympathisierten, hoffte ich, dass die Staatsgewalt mit Radio 24 gnädig war. Überhaupt waren die 80er-Krawalle ein Glücksfall für den jungen Sender, man konnte sich journalistisch gegen die übermächtige SRG profilieren wie später TeleZüri mit ihrer Lettenberichterstattung oder Tele24 beim Swissair-Grounding und dem Tod des Kickboxers Andy Hug. Die beste Story war aber Radio 24 selbst: eine endlose Abfolge von Schliessungen, Petitionen, Wiederöffnungen, Demonstrationen und juristischem Geplänkel, bei dem man als Aussenstehender längst die Übersicht verloren hatte.

«Aes isch wägem Radio 24» sang Polo Hofer. «Come on to Como» war das Leitmotiv, eine mediale Revolution, die die linken Medienjournalisten Jürg Frischknecht und Walo von Büren leicht schnoddrig als «Kommerz oder Megahertz» abtaten. Ein Zürcher SP-Gemeinderat wehrte sich dagegen, dass der damals illegale Sender Wetterinformationen aus offiziellen Quellen beziehen konnte. Dies war sein Einstieg in die Medienpolitik. Später wurde er Medienminister.

«Ich gewann den ersten Preis: eine Reise ins Radio-Studio»

1983 gewann ich in Schaffhausen einen Radiowettbewerb, den der dortige Spitzenwerber Mäni Frei organsierte. Man musste – vor Publikum – Bernhard Russi und das TV-Schätzchen Marie-Therese Gwerder interviewen. In aller Bescheidenheit: Ich gewann. Es blieb auch der einzige Sieg in meinem Leben. Der erste Preis: eine Reise ins Radio-Studio nach Como. Für mich eine Fahrt ins Paradies, den Sehnsuchtsort schlechthin. Es war ein Samstag. Walti Lutz und Dani Ambühl zeigten uns das Studio. Meine Hornbrille lief an, ich war völlig blockiert und wunderte mich trotzdem, wie klein alles war. Am nächsten Morgen – es war Sonntag – fuhren wir mit dem gemieteten Lancia nochmals zu jenem schmucklosen Mehrfamilienhaus in Cernobbio, in dem Radio 24 einquartiert war. Schawinski moderierte live seine Karibiksendung.

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Wieder klopften wir, die langjährige Redaktionsassistentin Christa Meier öffnete, wir stellten uns vor und baten sie inständig dem grossen Pionier über die Schultern schauen zu können. Sie verschwand im Haus, kam nach kurzer Zeit zurück. Die Antwort war kurz und unmissverständlich: «Keine Chance, Herr Schawinski hat keine Zeit». Und wohl auch keine Lust. Damals – als pubertierender Kantischüler – fühlte ich wie ein Pilger in Rom, der weder den Papst noch seinen Vorgänger angetroffen hatte. Anschliessend aber trotzdem die Heimreise antrat. Mit Hornbrille zwar, aber voller Dankbarkeit.


Radio 24 feiert den 40. Geburtstag mit einem Moderationsmarathon (persoenlich.com berichtete)



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Kommentare

  • Hugo Engeler, 29.11.2019 15:03 Uhr
    Lieber Matthias. Das war doch ganz sicher nicht der einzige Sieg in deinem Leben. Der erste Preis ins Paradies nach Como. Dein Bericht ist eine Audienz an die Zeit der Mediengeburt freies Radio. Bravo! Hugo
  • Istvan Nagy, 28.11.2019 13:20 Uhr
    Oh, da kommen Erinnerungen auf... Auch wenn ich damals erst 12 oder 13 Jahre alt war, kann ich mich noch gut an diese Zeit mit Radio 24 erinnern. Vor allem an die vielen weissen "Fähnli" an den Antennen der Autos (ja damals brauchte jeder Autoradio noch eine laaaange Antenne). Ganz frech wie ich war, habe ich damals so ein weisses Stück Stoff an die Antenne des teuren BMWs meines Vaters montiert... Nach längeren Diskussionen mit dem Vater durfte dann das "Fähnli" einige Zeit am Fahrzeug wehen.
  • Aldrovandi Mario, 28.11.2019 07:42 Uhr
    Schöner Text.
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