25.02.2004

"Peter Hartmeier, warum sollte die Konkurrenz kooperieren wollen?"

In Bälde wird der Tages-Anzeiger mit einer neuen Blattarchitektur erscheinen, zu der schon einiges kommuniziert wurde. Unklar ist hingegen weiterhin, wie sich der "Tagi" künftig im Regionalmarkt durchsetzen will. "persoenlich.com" hat bei Chefredaktor Peter Hartmeier (Bild) nachgefragt. Das Interview:

Wie lebt es sich als "Schaffhauser Joggeli, der seine Ziegen durch die Zürcher Bahnhofstrasse treibt"?

Ich möchte dieses Zitat eines frühpensionierten Redaktors nicht kommentieren.

Wenn man emotionale Aspekte beiseite lässt, könnte ja vielleicht auch folgende Frage gemeint sein: Wie kann man die Sorgen der Stadtbevölkerung spüren, wenn man auswärts wohnt?

Das Millionen-Zürich besteht einerseits aus den Kernbewohnern der Altstadt und der Agglomeration, andererseits aus Pendlern, die etwa aus St. Gallen, Uri, Chur oder Bern nach Zürich zur Arbeit kommen. Dabei erlebt jeder die Stadt anders, gemeinsam bilden aber alle das Gesamtkunstwerk Zürich und damit unsere Leserschaft. Dazu zähle auch ich.

Als Zeitungsmacher sollten Sie aber über Zürich Bescheid wissen, bevor es im "Tagi" steht...

Mein Informationsstand ergibt sich aus dem dichten Netzwerk, das ich in den vergangenen 25 Jahren in dieser Stadt aufgebaut habe. Zudem habe ich zehn Jahre lang hier gewohnt. -- Ich gebe aber zu, dass ich mir ein gewisses provinzielles Lächeln nicht verkneifen kann über den Vorwurf: "Der wohnt nicht im Dorf, also kann er auch dessen Zeitung nicht machen."

Als Pendler reisen Sie hoffentlich 1. Klasse, so dass Sie zur Lektüre eines Broadsheet genügend Platz haben. Warum aber soll der "Tagi" für Zweitklassfahrer nicht als Tabloid erscheinen?

Das bestehende Schweizer Format halte ich für eine Regionalzeitung für das denkbar beste, denn man kann es am Tisch, im Fauteuil, in der Badewanne oder im Bett lesen.

In Badewanne und Bett? Das würden Sie kaum sagen, wenn Sie es ausprobiert hätten!

(Lacht) Nun ja, es ist natürlich nicht alles gleich bequem. Dennoch: Am attraktivsten können Informationen von Tageszeitungen mit genau dem bestehenden Format präsentiert werden. Ich bin aber glücklich, dass sich unsere Branche nicht auf ein einziges Format beschränkt. Für ein Pendlerblatt aus dem Zeitungskasten ist Tabloid das einzig Richtige, beim SonntagsBlick ist es ein Teil des Erfolgs, und Cash hat damit auch an Profil gewonnen. Das Schlimmste ist doch, wenn eine Zeitung zu kopieren beginnt. Es wäre daher eine falsche Entwicklung, wenn eine Qualitätszeitung wie der Tages-Anzeiger auf Tabloid umstellen würde.

Worin unterscheidet sich die Qualitätszeitung "Tagi" denn von den britischen Titeln Times oder Independent, die mit einer zusätzlichen Tabloid-Version enorm Leser gewonnen haben?

Die Idee einer ergänzenden Tabloid-Ausgabe finde ich äusserst originell. Einen solchen Schritt kann ich auch für uns nicht ausschliessen. Ebensowenig kann ich ausschliessen, das es beim Tages-Anzeiger vermehrt Beilagen im Tabloid-Format gibt.

Ist diesbezüglich schon etwas in Vorbereitung?

Es ist kein Geheimnis, dass eine Arbeitsgruppe der Tamedia daran ist, die lokale Verankerung und die regionale Weiterentwicklung des Tages-Anzeigers zu studieren.

Ein mögliches Szenario der Regionalmarktstrategie beinhaltet eine Zusammenarbeit mit den Lokalzeitungen. Warum sollten diese stark verankerten Titel mit dem "Tagi" kooperieren wollen?

Bevor man eine Kooperation anbieten kann, muss man selber stark sein und ganz genau wissen, wer man ist und was man im Markt und publizistisch erreichen will. Der Tages-Anzeiger will eine Komplettzeitung sein, die täglich eigene Geschichten bringt, zur Meinungsbildung beiträgt und einen Nachrichtenspiegel der vergangenen 24 Stunden darstellt. Wenn wir dieses Ziel erreichen und uns damit im Millionen-Zürich stärker verwurzeln, dann sind wir in der grössten Schweizer Agglomeration so stark, dass eine Zusammenarbeit interessant ist. Und auf diesem Weg sind wir jetzt. Schliesslich kann man eine Kooperation nur anbieten, wenn man stabil ist.

Die Verwurzelung etwa des Zürcher Oberländer ist in 125 Jahren gewachsen. Wie viel Zeit geben Sie sich?

Ich bin sicher, dass beim "Tagi" und der Tamedia eine Zeit der Kontinuität begonnen hat.

Und wie lange dürfen die Wurzeln zum Ausschlagen haben?

Wenn der Tages-Anzeiger als beliebte, geschätzte und unverzichtbare Zeitung im Millionen-Zürcher-Markt Erfolg hat, wird er auch in neuen Märkten seine Chancen wahrnehmen können. Es ist im übrigen nur positiv für die Zeitungsbranche als Ganzes und für den gesellschaftlichen Pluralismus in der Schweiz und im Kanton Zürich, wenn Zeitungen um Leser und Inserate buhlen.

Nochmals: Wie viel Zeit geben Sie sich?

Es ist keine Frage eine bestimmten Zeitrahmens, sondern des Ziels. Aufgrund meiner Erfahrung weiss ich, wie wichtig es ist, dass Zeitungsmacher ein Vertrauenskapital erarbeiten. Wenn wir uns jetzt selber unter Zeitdruck setzen, dann werden wir scheitern. Ein Medium im Markt durchzusetzen, braucht Geduld und Argumente, das ist ein dauernder Prozess.

Ihre Argumentation ist nachvollziehbar, wenn auch nicht sehr unternehmerisch. Kann man es sich leisten, zehn Jahre zu warten?

Nachdem der Tages-Anzeiger in den letzten Jahren massiv Auflage verloren hat und zudem das Inseratevolumen kollabierte, mussten wir unsere betriebswirtschaftliche Basis neu definieren. Dieser Prozess war, wie man weiss, schmerzhaft. Heute haben wir ein Budget, mit dem wir eine betriebswirtschaftlich gesunde Zeitung produzieren können.

Der Tages-Anzeiger wird 2004 demnach Gewinn abwerfen?

Das Budget ist schwarz.

Zurück zur Regionalstrategie: Sie stossen bei den Landzeitungen auf wenig Interesse. Andererseits dürften zum Aufbau von genug grossen Lokalredaktionen die Mittel fehlen. Was bleibt?

Ich kann den Ergebnissen unserer Arbeitsgruppe nicht vorgreifen, wir werden aber mit Sicherheit eine Antwort finden. Es ist unser Wunsch, den "Tagi" stärker zu machen. Bereits heute ist er als regional verankerte Tageszeitung mit Sicherheit eines der bestgemachten und inhaltlich interessantesten Medien im deutschsprachigen Europa. Ich halte es für die Zukunft der Zeitungsbranche in der Schweiz für ganz entscheidend, dass der Titel sich weiterentwickeln kann. Denn wenn unsere Branche sich nur noch durch Abbau, Sparen und Rationalisierungen kennzeichnet; wenn Journalisten immer weniger Möglichkeiten zur Recherche und Weiterbildung haben und Aussenredaktionen zusammengestrichen werden; dann gefährdet das mit der Zeit nicht nur das Blatt, sondern die gesamte Gattung Tageszeitung. Unser Wachstum ist folglich nur schon aus strategischen Gründen wichtig.

Es könne nicht das Ziel sein, die Konkurrenz kaputt zu machen, haben Sie gesagt. Dieser Schmusekurs befremdet nach den Erfahrungen mit Express und 20 Minuten -- zumal Ihnen ja faktisch nur eine Volloffensive bleibt.

Kaputtmachen von Konkurrenten ist keine unternehmerische Leistung. Auf der anderen Seite will ich mit meinen Mitteln die bestmögliche Tageszeitung für Leser und Inserenten machen. Dabei gehe ich natürlich auch taktisch vor und schaue, was die Regionalblätter machen und wo ich allenfalls stärker bin. Ich entdecke so auch Gebiete, in denen ich die NZZ schlagen will. Dort, also im Inland-Teil, verstärke ich mich natürlich besonders.

Sie sagten auch, der "Tagi" dürfe von den übrigen Verlegern nicht als arrogant empfunden werden. Diese Einsicht kommt doch ein bisschen spät. Wie wollen Sie das Vertrauen zurückgewinnen?

In allen Umfragen, aber auch in den Briefen und Mails, die ich täglich erhalte, zeigt sich ein riesiges Vertrauen der Leserschaft. Dieses von meinen Vorgängern erschaffene Potential ist das allerwichtigste. Genau so bedeutend ist das Vertrauen, das die Inserenten trotz Krise dem Tages-Anzeiger gegenüber beweisen. Dass aber unsere Konkurrenz uns dabei mit Skepsis beobachtet und sich fragt, was wir wohl im Schilde führen, ist nur natürlich. Dabei kann ich nur sagen, dass einzelne Verleger sich in der Öffentlichkeit deutlich anders gebären als im vertraulichen Zwiegespräch.

Wer zum Beispiel?

Diskretion ist die Tugend des Gentleman.

Wann soll der Entscheid über die von der Arbeitsgruppe derzeit erarbeitete Lokalstrategie fallen?

Ich hoffe sehr, das sei in der ersten Hälfte 2004.


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