23.09.2004

"Peter Hartmeier, wollten Sie die Zürichsee-Zeitung bestrafen?"

Der Tages-Anzeiger hat am Donnerstag die von "persoenlich.com" bereits vor zwei Monaten enthüllte Lancierung eines Regionalsplits für das linke Zürichsee-Ufer bestätigt. Wie wird der Bund aussehen? Warum gerade die "Pfnüselküste"? Und ist Winterthur die nächste Station in der Expansionsstrategie? "persoenlich.com" hat mit "Tagi"-Chefredaktor Peter Hartmeier (Bild) gesprochen. Das Interview:
"Peter Hartmeier, wollten Sie die Zürichsee-Zeitung bestrafen?"

Der "Tagi" geht an die "Pfnüselküste". Wie wird der neue Lokalsplit im Hauptblatt integriert?

Es wird entweder einen Tabloid- oder einen Broadsheet-Bund geben. Wie das im Detail aussehen wird, kann ich noch nicht sagen. Der Tages-Anzeiger muss jedenfalls seine lokalen Wurzeln stärken, ohne dabei provinziell zu werden. Daher muss der Split so geplant sein, dass er kein Fremdkörper ist. Wir haben dazu verschiedene Varianten ausgearbeitet, der Entscheid darüber fällt bald, damit wir rechtzeitig erscheinen können. Die Vorarbeiten von Daniela Decurtins und ihrem Team sind inzwischen so weit gediehen, dass wir loslegen können, sobald wir die entsprechenden Leute eingestellt haben.

Wieviele Leute werden Sie zusätzlich beschäftigen?

Diese Zahl steht noch nicht genau fest.

Welche Zahl steht in Ihrem Businessplan in der Rubrik "Auflage"?

Diese Zahl kenne ich nicht. Wir gehen aber nicht davon aus, dass sich die Auflage in kürzester Zeit nach oben bewegt. Wir reden hier vielmehr von einem langfristigen Prozess mit fünf bis zehn Jahren Dauer. In dieser Zeit soll die Komplettzeitung durch eine tiefe Verwurzelung in ihrem direkten Umfeld einen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen Konkurrenten erhalten. Wir können uns eine qualitative politische Tageszeitung mit nationaler Ausrichtung nur leisten, wenn wir wachsen, und dieses Wachstum kann nur aus dem Lokalen kommen. Darum müssen wir hier einen echten Mehrwert bieten.

Und in der Rubrik "Anzeigenerlöse"? Anders gefragt: Wie sollen die Investitionen zurückfliessen?

Ein Lokalsplit ist allein nie rentabel, daher hat man den Schritt bei Tamedia auch so lange gescheut. Wir gehen aber von anderen Überlegungen aus: Der Rüschliker, Thalwiler oder Wädenswiler interessiert sich für die lokale Schulpolitik und die Gemeindeversammlungen. Gleichzeitig ist er als gebildeter Mensch beispielsweise an Wissenschaft interessiert. Unsere Komplettzeitung, die ihm als einzige sowohl regionale Informationen liefert als auch die grosse Welt erklärt, wird mit Sicherheit im höchsten Mass konkurrenzfähig sein.

Werden Split-AbonnentInnen mehr bezahlen als StadtzürcherInnen, die doch weniger Zeitung erhalten?

Nein, das Abo kostet für alle gleich viel. Abstufungen gibt es hingegen bei den Insertionstarifen.

Eine regionale Expansion der Tages-Anzeigers wurde schon vor längerem angekündigt. Warum beginnt man ausgerechnet mit dem linken Zürichsee-Ufer?

Das Besondere ist, dass unser Marktanteil in diesem Gebiet ohnehin schon fast fünfzig Prozent beträgt. Wir befinden uns also auf heimischem Terrain, kommen aber nicht arrogant, wissend oder überheblich daher -- denn hier geht es um eine andere Art von Lokaljournalismus. Diesen müssen wir erlernen, um unsere Gesamtstrategie eines Wachstums im Millionen-Zürich umsetzen zu können. Das ist nun ein erster Schritt.

Sie machen die "Pfnüselküste" also zu Ihrem Versuchslabor?

Das kann man so sagen.

In diesem Gebiet ist bereits die Zürichsee-Zeitung tätig, die dort neben ihrer Ausgabe für das linke See-Ufer auch den Sihltaler sowie die March Höfe-Zeitung herausgibt. Strafen Sie den Verlag für seine Beteiligung am "NZZ-Publigroupe-Deal"?

Unternehmerische Entscheide sind immer falsch, wenn man mit Begriffen wie "Strafaktion" hantiert. Vielmehr vergrössern wir die Pressevielfalt, wir wollen mit der führenden Zeitung im Millionen-Zürich den Heimmarkt entwickeln. Denn wer den Heimmarkt mit Innovationen stärkt, hat Erfolg -- das zeigt uns der Blick auf andere Branchen. Für die Schweize Presselandschaft ist es matchentscheidend, dass wir Komplettzeitungen haben, die sich beispielsweise ein Korrespondentennetz oder eine Wissenschafts-Redaktion leisten können.

Mit dem "NZZ-‚P’-Deal" hat Ihre Expansion also gar nichts zu tun?

Selbstverständlich hat uns das aggressive Vorgehen von NZZ und Publigroupe in unseren Schritten beschleunigt. Angesichts der neuen Voraussetzungen mussten wir zur Sicherung unserer Zukunft eine neue Basis legen.

Noch ist dieser Deal ja auch nicht über die Bühne. Theodor Gut besitzt als Mehrheitsaktionär der Zürichsee-Zeitung ein Vorkaufsrecht an den Anteilen, welche die "P" der NZZ andient. Hier könnte Tamedia doch einspringen, und Theo Gut gleichsam als "Bank" für die Übernahme aller Aktien dienen. Eine Option?

Ich kann nur über die Strategie von Tamedia sprechen. Hierzu haben Hans-Heinrich Coninx und Martin Kall gesagt, dass der Tages-Anzeiger und seine Weiterentwicklung im Zentrum stehen. Beide vertreten die Meinung, dass keine andere Zeitung bei Tamedia ein solches Wachstumspotential besitzt. Diese Aussage, welche die Basis für unsere Strategie legt, ist für uns natürlich eine herausfordernde und höchst motivierende Rahmenbedingung.

Es zeichnet sich jedenfalls ein Zweikampf NZZ - Tamedia ab. Wie erleben Sie heute das Verhältnis zwischen den beiden Häusern? Redet man überhaupt noch miteinander?

Selbstverständlich! Das ist auch eine Frage des journalistischen Respekts: Als Schweizer bin ich stolz, in unserem Land ein Eliteblatt wie die Neue Zürcher Zeitung zu lesen. Zudem habe ich bei der NZZ einige Freunde, und zwar auf allen Etagen. Dennoch sind wir im Millionen-Zürich natürlich Konkurrenten, was für Marktwirtschafter, zu denen ich mich zähle, wunderbare berufliche Herausforderungen bietet. Und auch die Redaktion hat den Wunsch, mit dem "Tagi" vorwärts zu gehen. Hier hat ein grosser Mentalitätswandel stattgefunden.

Bisher galt Tamedia unter anderem wegen ihrer Grösse als "bad guy", währenddem die NZZ eher "die Guten" waren. Der Deal mit der "P" könnte nun zu einem Rollentausch führen. Wie kooperationswillig ist Tamedia heute?

Wichtig ist nicht, ob einen die Kollegen als "bad guy" sehen. Wichtig ist, bei den Lesern und Inserenten der "good guy" zu sein. Als Chefredaktor des Tages-Anzeiger, dem die Leser im Tram regelmässig Ratschläge geben, der täglich die Leserbriefe sieht und der die Reichweitenentwicklung kennt, muss ich sagen: Es ist eine Mär, dass der "Tagi" ein ungeliebtes Kind sein soll. Und auch die Inserenten im Millionen-Zürich kommen an unserem Blatt nicht vorbei. Hier schaffen wir mit unserem Split nun neue Anzeigenmöglichkeiten für das Gewerbe, dem der Tages-Anzeiger bisher zu teuer war -- was eine Investition in die lokale Wirtschaft ist und von unserem Verantwortungsbewusstsein zeugt.

Wie lautet die nächste Station der "Tagi"-Expansion?

Zuerst müssen wir uns jetzt in einem neuen journalistischen Gebiet bewähren, in dem es sehr gute Konkurrenten gibt. Wenn wir das gut machen, können wir uns einen nächsten Schritt überlegen -- was natürlich nicht fünf Jahre dauern wird, dafür sind wir zu ehrgeizig und zu motiviert.

Nehmen wir zum Beispiel Winterthur, wo der Tages-Anzeiger eine Auflage von 10'000 hat, der Landbote -- nach der jüngsten Korrektur -- demgegenüber auch "nur" 38'000. Bestehen hier Pläne?

Ein Winterthurer Split ist nicht geplant, die Chancen wären in Winterthur aber hervorragend. Es kommen nämlich immer mehr WinterthurerInnen auf uns zu und sagen, wir sollten doch noch mehr über ihre Stadt berichten. Tatsache ist, dass wir mit drei lokalen Redaktoren in Winterthur bereits heute einen massgeblichen Journalismus machen. Selbstverständlich ist aber der Landbote mit seiner grossen Lokalredaktion auch nach der Auflagenbereinigung immer noch Nummer eins.

Man könnte sich auch eine Kooperation oder Übernahme vorstellen. Laufen schon Verhandlungen mit der Besitzerfamilie des Landboten?

Da fragen Sie den Falschen, ich bin nur ein kleiner Angestellter.


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