18.01.2023

Indiskretionsaffäre

«Schweigen hilft da auch nicht»

Der enge Austausch zwischen Innendepartement und Ringier beschäftigt auch die Journalismusforschung. Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss bezeichnet die Corona-Leaks als «exemplarischen Fall der gegenseitigen Abhängigkeit». CEO Marc Walder fordert er zur Stellungnahme auf.
Indiskretionsaffäre: «Schweigen hilft da auch nicht»
«Ein solcher institutionalisierter Kommunikationskanal kann weder für den Journalismus noch für ein Regierungskollektiv, geschweige denn für die Öffentlichkeit, funktional sein», sagt Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der ZHAW, hier am JournalismusTag 2022. (Bild: QuaJou/Raphael Hünerfauth)
von Christian Beck

Herr Wyss, seit Samstag überschlagen sich die Schlagzeilen zu den sogenannten Corona-Leaks. Das muss für Sie als Kommunikationswissenschaftler wie Weihnachten und Geburtstag zusammen sein …
Sie können sich offenbar als Medienjournalist gut in die Rolle des Medienwissenschaftlers hineinfühlen. In der Tat beschäftigt das symbiotische Verhältnis zwischen Polit-PR und Journalismus die Journalismusforschung seit den 1980er-Jahren. Und wenn dann quasi vor der Hochschultüre ein solcher exemplarischer Fall der gegenseitigen Abhängigkeit, Ermöglichung und Beeinflussung die Öffentlichkeit erreicht, dann kann das schon mal zu einem Adrenalinschub führen, ja.

Was verstehen Sie unter dem «symbiotischen Verhältnis zwischen Polit-PR und Journalismus»?
Der Fall zeigt doch vor allem, wie ein äusserst gefitzter Kommunikationschef als «Spindoctor» im Bundeshaus durch den Aufbau eines komplexen Beziehungsgeflechts zu einem Medienunternehmen einen Journalismus ermöglicht, der dann den Interessen seines Chefs wieder nützt. Symbiose bedeutet eben, dass in dieser wechselseitigen Ermöglichung sowohl der «Spindoctor» als auch der Journalist, die Journalistin etwas davon haben. Im Journalismus gibt es Primeurs, und im politischen Feld gibt es beabsichtigten öffentlichen Druck – mutmasslich bis in die Sitzung des Bundesrates. Wenn dann die Protagonisten auch noch politisch harmonieren, ist dieser Erfolg fast schon unverfroren.

«In diesem Fall handelt es sich um ein ziemlich robustes System»

Nennen wir Namen: Die Schweiz am Wochenende hatte am Samstag berichtet, Alain Bersets früherer Kommunikationschef Peter Lauener habe dem Ringier-Verlag wiederholt vertrauliche Informationen zu geplanten Covid-Massnahmen des Bundesrats übermittelt. Ist das verwerflich?
Das Zuspielen oder gar «Leaken» von möglicherweise geheimen Informationen gehört zum Alltag des Enthüllungsjournalismus, von dem ja der Journalismus immer wieder mal profitiert, wenn etwa so im öffentlichen Interesse Missstände aufgedeckt werden können. In diesem Fall handelt es sich aber um ein ziemlich robustes System, quasi um eine Standleitung zwischen dem Departement und dem CEO eines Medienunternehmens. Der ist ja dort nicht als Hobby in circa 180 Kommunikationsanlässe involviert, sondern will von der Ungleichbehandlung profitieren – ob publizistisch, politisch oder ökonomisch, ist schwer abzuschätzen. Ein solcher institutionalisierter Kommunikationskanal kann weder für den Journalismus noch für ein Regierungskollektiv, geschweige denn für die Öffentlichkeit, funktional sein. Genau darum ist dieser Teil der Geschichte, quasi die Walder-Affäre, mindestens genauso irritierend wie der Berset/Lauener-Teil und verdient ein genaues Hinschauen.

Die Blick-Redaktion entscheide autonom über Geschichten, schrieb Chefredaktor Christian Dorer am Dienstag auf der Front. Wie glaubwürdig ist dieses Dementi für Sie?
Ich finde es wichtig, dass sich Christian Dorer in der eigenen Publikation an seine Leserinnen und Leser beziehungsweise an die Öffentlichkeit wendet und Stellung zu unangenehmen offenen Fragen bezieht. Es ist auch wichtig, dass er sich auf den journalistischen Grundsatz der Unabhängigkeit bezieht und versucht, zu überzeugen, dass die Redaktion trotz der durch das Verhalten des CEOs drohenden Anscheinsgefahr autonom entscheidet. Nun müssen wir fair bleiben: Etwas zu beweisen, was nicht ist und nicht sein darf, ist schwierig. Ich muss Ihnen sagen: Ich kenne Christian Dorer aus einem anderen Umfeld und halte seine Stellungnahme sogar für glaubwürdig. Dennoch kann auch er natürlich Opfer struktureller Gewalt sein und quasi aus innerer publizistischer Überzeugung ähnlich ticken wie sein CEO. Genau deshalb darf es eben nie auch nur einen Anschein geben. Die etwas späte und reaktive Stellungnahme der Redaktion genügt aber nicht.

«Andere Medienunternehmen standen auch schon vor dieser Herausforderung»

Was fehlt dann noch?
In einer Krisensituation – und darin befindet sich meines Erachtens Ringier – will man immer die Spitze des Unternehmens hören. Das ist in Medienorganisationen komplex. Es genügt aber in dem Fall nicht, wenn man das Problem zu einem redaktionellen machen will. Der Stein des Anstosses wurde meines Erachtens ja auch von CEO Marc Walder ins Rollen gebracht, und zwar schon damals, als er in nicht-öffentlichem Kreis gesagt hat, er versuche, seine Redaktionen davon zu überzeugen, mit medialer Berichterstattung die Regierungen zu unterstützen. Ein No-Go, auch wenn es in dieser schwierigen Situation gut gemeint sein kann.

Was erwarten Sie?
Ich erwarte tatsächlich auch eine Stellungnahme von der Unternehmenskommunikation und von Marc Walder. Vom Chefredaktor wäre eine Erklärung zu der paradoxen Situation zu erwarten, warum die autonom agierende Blick-Gruppe bis am Mittwoch davon abgesehen hat, aufgrund eigener Recherchen über den doch politisch und publizistisch relevanten Fall Berset zu berichten. Das ist nicht einfach. Andere Medienunternehmen standen auch schon vor dieser Herausforderung. Man könnte zum Beispiel neben der Erklärung und Agenturberichten auch transparent externe, unabhängige Medienjournalisten Beiträge schreiben lassen. Vielleicht sind meine Vorschläge praxisfern, aber Schweigen hilft da auch nicht.

Wie werden die Corona-Leaks die Schweizer Medienlandschaft verändern?
Es ist gut, dass wieder einmal öffentlich über die Bedeutung eines unabhängigen Journalismus und über dessen symbiotisches Verhältnis mit der Politik debattiert wird. Es lässt sich zwar nicht vermeiden, dass der Fall Wasser auf die Mühlen der Medienskeptikerinnen und -skeptiker leitet. Die Skepsis ist ja offenbar durchaus berechtigt. Auch wenn es etwas heuchlerisch anmutet, dass sich nun plötzlich viele andere Medien metakommunikativ durch Stellungnahmen zum eigenen Umgang mit Primeurs während der Coronapandemie melden, so ist es vor allem wichtig, dass auch in der Öffentlichkeit ein andauernder Diskurs über die Bedeutung, Qualität und Leistungsfähigkeit des Journalismus geführt wird.



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