22.10.2019

SRF

Sieg der Humorpolizei oder nötiger Diskurs?

Der SRF-Ombudsmann hat Satiriker Michael Elsener wegen Sexismus in seiner Sendung «Late Update» gerügt. Diese Einschätzung sorgt unter Kabarettisten für viel Kritik. Doch nicht nur, wie eine persoenlich.com-Umfrage bei Schweizer Satirikern zeigt.
SRF: Sieg der Humorpolizei oder nötiger Diskurs?
Äussern sich zur Ombudsmann-Rüge an Michael Elsener (rechts): Dominic Deville, Peter Schneider und Gabriel Vetter. (Bild gross: SRF/Oscar Alessio)
von Christian Beck

Die SRG-Ombudsstelle hat die Beschwerde gegen den Beitrag «Froschmeier trifft Levrat und Zanetti» der Satiresendung «Late Update» von Michael Elsener unterstützt. Das Aussehen der Juso-Präsidentin Ronja Jansen sei ironisiert worden und damit sei sie auf ihr Äusseres reduziert und so diskriminiert worden, so Ombudsmann Roger Blum (persoenlich.com berichtete).


Elsener reagierte auf Twitter und antwortete der Beschwerdeführerin Jansen direkt:


Auch die Sonntagspresse widmete sich diesem Ombudsfall. So schreibt Rico Bandle, Autor und Textchef, in der «SonntagsZeitung»: «Man kann in einem solchen Fall nur für mehr Gelassenheit plädieren. Dafür, auch mal zu lachen, anstatt immer gleich ‹Diskriminierung› zu schreien. Sonst kann man die Satire gleich sein lassen.» Schauspieler Mike Müller hält in der «NZZ am Sonntag» die Begründung des Ombudsmanns zwar für stichhaltig – aber es werde über das Ziel hinausgeschossen. Und Frank Baumann meint in der NZZaS: «Ein Satiriker muss so gut wie alles dürfen. Es liegt am Publikum, es gut zu finden oder nicht.»

Was sagen andere Schweizer Satiriker dazu? persoenlich.com hat weitere Stimmen eingeholt:

Peter Schneider
Haus-Satiriker bei Radio SRF 3

peterschneider

«Witze werden meistens nicht lustiger, wenn man sie erklärt. Aber wenn es wegen einer Beschwerde beim SRF-Ombudsmann dazu kommt, dass eine satirische Pointe, die Verwendung von Parodie und Rollenprosa, der absichtliche Gebrauch von Klischees auf den Prüfstand geraten, dann ist das nicht der Sieg der Humorpolizei über die Freiheit der satirischen Kunst, sondern – wenn die Beteiligten nicht blöd sind (und das sind in diesem Fall weder Elsener noch Jansen noch Blum) – lediglich ein Anlass für eine selber nicht-komische, weil explizit argumentative Diskussion über die implizite argumentative Schlüssigkeit einer satirischen Produktion – ein retrogrades Making-of, sozusagen. Nicht mehr und nicht weniger.»



Gabriel Vetter

Schriftsteller und Kabarettist

gabrielvetter

«Ich schätze die Institution Ombudsstelle im Generellen und Herrn Prof. Blum (als ehemaliger Student von ihm, notabene!) sehr; ich bin eigentlich auch froh, dass ich sein Urteil nicht teile, denn endlich diskutieren wir mal über Humor, anstatt ihn einfach als Geschmackssache abzutun. Ich sage und schreibe seit Jahren, dass wir einen richtigen ernsthaften Humordiskurs brauchen. Blums aktuelles Urteil kann ich nachvollziehen, aber ich bin anderer Meinung. Wenn Blum von ‹fehlender Typenkonformität› spricht, stellt er ja quasi ästhetische Regeln auf für klassische Formen der Satire – und das widerspricht nun mal der Kunstfreiheit. Das macht Blum übrigens nicht zum ersten Mal, und ich habe – als Satiriker, der auch für die SRG arbeitet – schon mehrfach beim SRF nachgehakt, dass wir über die Ombudsentscheide reden müssen, beziehungsweise wollte ich wissen, wie wir damit umgehen, eben weil die Ombudsstelle etwas ist, das ich schätze und drum nicht einfach als Nonsens abtun will. Gerade in Zeiten, in denen die SRF-Kader über der Redaktion und zum Teil auch die Redaktion selber seltsam Schiss davor hat, jemandem auf die Füsse zu treten, mach ich mir schon Sorgen, was so ein Entscheid an Auswirkungen haben kann in Sachen vorauseilendem Gehorsam. Natürlich: Sexistische Inhalte sind auch auf SRF omnipräsent. Ohne in Whataboutismus zu verfallen: Jede ‹Landfrauechuchi›, jede SRF-Sportsendung, jede G&G-Ausgabe ist im klassischen Sinne – vom Framing, der Gewichtung und der Ausgestalt her – sexistischer als Elseners bewusst eingesetzter Witz. Ich denke auch, dass so ein Missverständnis wie jenes zwischen Elsener und Jansen sicher auch damit zu tun hat, dass alle Autorenteams von Comedysendungen zu 95 Prozent aus Männern bestehen. Wenn wir anfangen, mal darüber zu diskutieren, hat Ronja Jansen etwa sehr Gutes angestossen.»



Dominic Deville
Moderator der SRF-Late-Night-Show «Deville»

deville

«Viel interessanter als die leidliche Frage ‹Wo hört Satire auf?› finde ich die Umkehrung davon: ‹Wo beginnt Satire?› Denn aus dieser Überlegung heraus kommt man unweigerlich auf den Kern einer Nummer oder Pointe zu sprechen. Und somit auf die Qualität. ‹War das lustig genug?› und ‹Wer hat gelacht? Und warum?› Und anstatt immer nur darüber zu diskutieren, ob man dieses oder jenes darf oder man eventuell zu weit geht, wäre es doch viel spannender, hin und wieder sich zu fragen: ‹Hat es diese Pointe gebraucht?› Aber wie auch immer: Das Urteil des Ombudsmannes, den wir bei ‹Deville› übrigens so sehr schätzen und lieb haben, dass er sogar in unserem neuen Sendungsintro (ab 17. November auf SRF 1) verewigt wurde, hat uns Folgendes in Satire gelehrt: 1. Obacht! Nur Figuren mit einer Harry Haslerischen Brust und Gesichtsbehaarung sowie obligatorischen Goldkettenbehang dürfen sich satirisch-sexistisch äussern! 2. Erstaunlich! Auch Politikerinnen und Politiker sind nur Menschen und können beleidigt reagieren.»



Bei der Umfrage abgesagt haben (meist aus zeitlichen Gründen): Hazel Brugger, Stéphanie Berger, Güzin Kar, Claudio Zuccolini und Victor Giacobbo.



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Kommentare

  • mike derungs, 22.10.2019 11:08 Uhr
    Nun haben wie es Schwarz auf Weiss, die CH ist antlich humorlos und Satirefrei. Nun verglichen mit dem Ausland sind wir das ja schon lange, und wenn ich zB Ylvis auf dem Norwegischen staatsfernsehen mit G und M verglichen have, dann kommen mircschon die Tränen beim betrachten, angesichts unseres verstaubten Humorverständnisses. Nun, denn, so sind wir halt, mit amtlichem Ombudsman Prüfsiegel 100% Humorlos.
  • Victor Brunner, 22.10.2019 09:46 Uhr
    Satire passt nicht zur Schweiz, darum geht jeder Versuch in die Hose. Ausnahmen waren G+M, die konnten das. Alle Nachfolgesendungen waren versuchte Satire, quälender Humor. Elsener macht jetzt einfach spätabends ein Volontariat. Irgendwann hat er soviel Humor dass er an der OLMA mit Erfolg Küchenraffeln verkaufen kann und davon leben!
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