10.11.2016

US-Wahlen

So erlebten Schweizer Korrespondenten Trumps Wahl

Marcel Anderwert (SRF), Peter Hossli (Blick) und Sacha Batthyany (Tagi/Magazin) haben die US-Präsidentschaftswahl hautnah miterlebt. In persönlichen Beiträgen erzählen die Drei von Schlüsselmomenten, der liberalen Blase der Journalisten und den eigenen Fehlprognosen.

Sacha Batthyany, USA-Korrespondent «Tages-Anzeiger», «Magazin» und «Süddeutsche»

New York

Sacha Batthyany während der Wahlnacht in New York. (Bild: zVg., Klick für Grossansicht).

Ich hatte den Eindruck, die Menschen seien nach diesen ganzen Monaten müde vom Wahlkampf und erleichtert, dass es nun endlich vorbei ist. Aufgrund vieler Gespräche und der ganzen Umfragen war ich überzeugt, dass die Sache gelaufen sei. Was für ein Fehler!

Am Tag der Wahl war ich in New York und die ganze Nacht unterwegs. Aber vielleicht ist das ja ein Teil des Problems. Es wäre sicher besser gewesen, ich wäre nach Wisconsin oder Michigan oder raus aufs Land irgendwo nach Ohio. Das gibt einen anderen Blick. Aber die meisten Journalisten sind Rudeltiere und halten sich in derselben liberalen Blase auf. Weil alles immer so schnell gehen muss, ist die Gefahr gross, dass alle dieselben Geschichten machen und aus derselben Perspektive erzählen. Das ist kein neues Phänomen, und ich bin wahrlich nicht der erste, der das bemängelt. Aber ich habe das in diesen Wahlen nun einmal hautnah miterlebt und mache mir nun Vorwürfe.

Die New Yorker haben, wie viele Journalisten (mich natürlich immer eingeschlossen), gar nicht verstanden, wie ihnen geschieht. Die meisten haben die Trump-Fans, die mit ihren Schildern am Strassenrand demonstrierten, erst ignoriert. Die Reporter haben ihnen möglichst dumme Quotes aus der Nase gezogen. Ich habe gehört, wie New Yorker in hippen Cafés sich darüber unterhielten, ob Trump eine 80- oder 100-prozentige Siegchance habe. So gegen 22 Uhr war es auf einmal ganz still in dieser Stadt. Die Menschen schliefen nicht, sie standen unter Schock.

Trump wird ein US-Präsident mit viel Macht, weil die Republikaner auch die Mehrheit im Kongress stellen. Anders als Barack Obama muss er also, zumindest zu Beginn seiner Amtszeit, nicht damit rechnen, ständig blockiert zu werden. Sollte Trump nur einen Bruchteil seiner Forderungen, Versprechen und Massnahmen einhalten, dann stehen viele Veränderungen an. Wichtig ist die Besetzung des vakanten Stuhls im Obersten Gerichtshofs, der in den USA hohe Gestaltungsmacht geniesst. Trump hat angekündigt, Obamacare rückgängig zu machen, er will Waffenregulierungen lockern, Abtreibung bestrafen. Und dann ist da ja noch die Mauer. Mit der Immigration hat Trump die Wahlen gewonnen. Er will eine Mauer bauen lassen und – wie war das noch mal? Die Mexikaner dafür bezahlen lassen.


Peter Hossli, Chefautor Blick-Gruppe

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Peter Hossli in der Wahlnacht bei der Arbeit am Times Square in New York. (Bild: Stefan Falke, Klick für Grossansicht)

Während der Wahlnacht habe ich für Blick Online stündlich Video-Einschätzungen aufgenommen. Wir arbeiteten mit dem iPhone und publizierten Videos direkt über eine Ticker-App. Gedreht haben wir an der Party von Hillary Clinton in New York, später an Times und Herald Square, zuletzt beim Hilton, wo Donald Trump feierte.

Die Wahlnacht war für mich bloss Abschluss einer längeren Berichterstattung. Dazu gehörten die Parteikonvente und eine USA-Reise im Spätsommer mitsamt erstem TV-Duell. In den Tagen vor der Wahl besuchte ich eine Trump-Rally in Florida, eine Clinton-Rally in North Carolina, einen Swing-Bezirk in Pennsylvania. Klar wurde: die Sexismus-Vorwürfe prallen an Trump-Anhängern ab. Der 18-jährige Enzo Cespedes in Miami: «Trump ist eben ein echter Mann, der seine Männlichkeit nicht versteckt.» Mutter und Hausfrau Donna Thompson in Pennsylvania: «Würden die Männer nicht so denken wie Trump, gäbe es keine Babys mehr.» Erschreckend war in Miami, wie Trump Journalisten als «erbärmliche Menschen» beschimpfte. Seine Anhänger schrien uns regelrecht nieder.

Seit 2000 habe ich jede US-Wahl vor Ort verfolgt. Wobei mich die Beweggründe der Wähler besonders interessieren. Deshalb besuche ich Orte, die entscheidend sein können, thematisch wichtig sind. Wie dieses Jahr den Rostgürtel, die mexikanisch-amerikanische Grenze und Cincinnati, einer Stadt mit Waffengewalt. Je näher ein Reporter aber den Kandidaten kommt, desto weniger frei kann er sich bewegen. Echter Journalismus ist kaum mehr möglich. Schwierig waren dieses Jahr die erstaunlich ungenauen Daten der Meinungsforscher. Zwar ging ich lange vor einem Trump-Sieg aus. Ab Oktober aber sprachen die Umfragen deutlich für Clinton. Deshalb stellte ich am Tag vor der Wahl eine falsche Prognose auf.


Marcel Anderwert, SRF-Sonderkorrespondent US-Wahlen

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Marcel Anderwert am Morgen des Wahltags vor einem Wahllokal in West Miami. (Bild, zVg., Klick für Grossansicht)

Die Wahlen habe ich in Florida beobachtet, dem grössten der sogenannten Swing States. Überrascht hat mich hier vor allem das Engagement und die Begeisterung der Trump-Anhänger, darunter nicht zuletzt viele Kubaner und andere Latinos. Am frühen Abend am Wahltag war ich in Little Havanna, dem kubanischen Stadtteil von Miami. Später dann mehrheitlich an der «Watch Party» der Hillary Supporter, wie sie es nannten, in einer Hotel-Lobby in der Nähe des Flughafens. Die Stimmung wurde immer gedrückter, je länger der Abend dauerte. Und spätestens als die Manager der regionalen Hillary-Kampagne den Anlass fluchtartig verliessen, war klar, dass das Rennen gelaufen war.

Meine Schlüsselerlebnisse hatte ich vor der Wahl: Im Gespräch mit einer eingewanderten Brasilianerin, die mir nach einer Veranstaltung von Mike Pence ungefragt mit leuchtenden Augen von ihrer Begeisterung für Trump erzählte – und das mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten. Das hat mich überrascht. Ein Auftritt von Hillary hingegen, zu dem nur ein paar hundert Menschen kamen, war nach fünf Minuten schon wieder vorbei. Das war schon etwas kümmerlich, und hat mich auch überrascht.

Donald Trump zeigt ab und zu durchaus Selbstironie und Humor. Das ist nie schlecht, das beruhigt mich ein bisschen. Andererseits macht mir die Rückkehr zu Nationalismus und Isolationismus schon Sorgen, nicht nur in den USA. Damit haben wir im letzten Jahrhundert keine guten Erfahrungen gemacht. Aber lasst uns dem Neuen doch zuerst Mal eine Chance geben.


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