28.01.2018

WEF 2018

So nah waren Schweizer Journalisten an Trump

Davos im Ausnahmezustand: Der US-Präsident war am Donnerstag und Freitag am Weltwirtschaftsforum. Wie haben Medienschaffende Donald Trumps Anwesenheit erlebt? Print-, TV- und Radiojournalisten – unter anderem von Ringier, NZZ, AZ und SRF – schildern ihre Eindrücke.
WEF 2018: So nah waren Schweizer Journalisten an Trump
Einige Schweizer Medienschaffende, wie hier SRF-Journalist Marcel Anderwert (rechts), kamen US-Präsident Donald Trump am WEF sehr nahe. (Bild: Linda Shepard/EDA)
von Christian Beck und Michèle Widmer


US-Präsident Donald Trump hat das WEF in Davos geprägt wie kein anderer. Der Auflauf am Freitag war immens, als er seine Rede hielt (persoenlich.com berichtete). Hunderte Medienschaffende berichteten in den letzten Tagen für in- und ausländische Medien über das Geschehen aus Davos. Trump ist mittlerweile längst wieder abgereist, geblieben sind die Erinnerungen. Sechs Journalisten von Print, Fernsehen und Radio, die in Davos zugegen waren, schildern exklusiv für persoenlich.com ihre Eindrücke:

Peter Hossli, freischaffender Reporter für die Blick-Gruppe

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«Der US-Präsident hat dem Weltwirtschaftsforum die Luft entzogen, man könnte sagen: er hat den Geist von Davos vertrieben. Dialog und intellektuelle Debatte bestimmen das WEF. Trump brachte den Monolog und die Egomanie ins Landwasser. Alles drehte sich in den letzten beiden Tagen nur noch um ihn. Ob Modi, Macron, May oder Merkel – was sie sagten, verpuffte. Dabei hat Trumps Rede inhaltlich nichts gebracht, es fehlten die Ideen, die Anstösse, die Provokationen. Bei einem Fakten-Check schneidet sie schlecht ab. Nähe zu Politikern ist für Journalisten gefährlich, daher bevorzuge ich eine kritische Distanz zu allen Amtsträgern. Am diesjährigen WEF war ich als Teil des White House Traveling Presscorps akkreditiert, was mich nicht näher zu Trump brachte, aber den Zugang zu einigen Veranstaltungen erleichterte, an denen er teilnahm. Es war ein Zirkus und somit nicht möglich, ihm echte Fragen zu stellen. Beeindruckt hat mich, dass noch mehr lokale Ladenbesitzer ihre Lokalitäten auf der Promenade an ausländische Firmen vermieteten. Seit Jahren kaufe ich jeweils am WEF zwei Gläser Bündner Honig in einem Käseladen in der Nähe des Hotels Steigenberger. Heuer war das Lokal vermietet, der Käseladen bereits im Herbst an einen Ort gezogen, den ich nicht fand. Leider musste ich Davos ohne Honig verlassen.»



Patrik Müller, Chefredaktor «az Nordwestschweiz»

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«Aufschlussreich fand ich, wie unterschiedlich die WEF-Teilnehmer auf die Auftritte von Macron und Trump reagiert haben. Macron hatte auf die Davoser Gemeinde eine hypnotische oder gar messianische Wirkung, nach seiner 60-minütigen Rede bekam er eine Standing Ovation. Diese kollektive Schwärmerei von VIPs – oder besser: VVIPs – im Saal hatte etwas Irritierendes. Umgekehrt bei Trump: Sein nur halb so langer Auftritt löste demonstrativ verhaltenen Applaus aus. Vielleicht war das auch eine Trotzreaktion auf die etwas zu überschwänglich geratene Begrüssung Trumps durch Klaus Schwab. Aus journalistischer Sicht hätte ich mir gewünscht, dass Schwab nach der Rede dem US-Präsidenten noch eine Frage zu den Strafzöllen gestellt hätte. Als Journalist kam man zwar nahe an Trump heran, inhaltliche Fragen zu stellen war aber unmöglich.»



Michael Ferber, Wirtschaftsredaktor NZZ

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«Ich war schon mehrere Male am WEF, und dort sind ja sehr viele berühmte Leute, aber so einen Hype habe ich noch nie erlebt. Aus meiner Sicht entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie – schliesslich gilt das WEF ja als Hort der Globalisierer, während Trump mit seiner ‹America-First›-Politik protektionistische und nationalistische Standpunkte vertritt. Jedenfalls kletterten gestandene Unternehmenschefs und Schweizer Politikerinnen neben mir plötzlich auf Tische, um einen Blick auf den US-Präsidenten zu erhaschen und mit dem Handy Fotos zu machen. Als Trump eine Treppe zu den Sitzungssälen hinaufging, war er kurz direkt über mir und winkte in die Menge. Ich habe natürlich auch ein paar Bilder gemacht, richtig gut sind sie aber nicht geworden. Am Freitagmorgen fiel meinen Kollegen und mir dann auf, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Davos nach der Ankunft von Trump noch mehr verschärft worden waren. So mussten wir beim Weg von unserer Unterkunft zum Kongresszentrum einen Umweg machen. Der Weg, den wir bis dahin genommen hatten, war kurz vor der Bergbahn Parsenn von schwer bewaffneten Polizistinnen und Polizisten versperrt. Über Davos dröhnten ausserdem mehrere Helikopter. Zudem schaute das Sicherheitspersonal noch genauer auf die WEF-Ausweise, so kam es mir zumindest vor.»



Marcel Anderwert, SRF-Reporter «Tagesschau»

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«Mein Lieblingsprinzip im Journalismus ist ganz einfach: Hingehen, schauen und mit den Menschen reden. Kurz vor WEF-Beginn die Überraschung: Der umstrittene und polarisierende Präsident der USA kündigt kurzfristig seinen Besuch an. Meine Angst: Wir würden es wohl niemals schaffen, näher als fünf Meter an Donald Trump heranzukommen. Um die Chance einer Begegnung trotzdem wenigstens theoretisch zu wahren, schmiedete das SRF-Team am Vorabend von Trumps Anreise einen Plan. US-Korrespondent Peter Düggeli liess seine Kontakte in Washington spielen und organisierte einen detaillierten Reiseplan des Präsidenten. Und ich schrieb bis morgens um 3 Uhr einen Einsatzplan unter dem Arbeitstitel ‹Operation Opa›. Die ‹Operation Opa› lief wider Erwarten gut an: Als Trump das Kongresszentrum am Donnerstagmittag erstmals betrat, stand ich mit dem Smartphone zufällig richtig und stellte ihm als erster Journalist eine kurze – und zugegeben etwas harmlose – Frage.»

«Ob er es ironisch meinte oder nicht, war schwer abzuschätzen. Und schon noch erstaunlich: Seine erste Äusserung in Davos macht der Showman nicht in eine der grossen Kameras, sondern irgendeinem Nobody in die Handy-Kamera. Es war nicht das letzte Mal, dass ich Donald Trump aus nächster Nähe erleben sollte.»

«Auch das mag man wieder banal finden. Für mich zeigt es aber, dass er durchaus einen Sinn für Humor und Selbstironie hat. Ohne seine gelegentlich aufblitzenden charakterlichen Defizite, Boshaftigkeiten und Angriffsversuche auf die demokratische Gewaltenteilung verharmlosen zu wollen, komme ich zum Schluss: Die demokratischen Institutionen in den USA sind immer noch stark. Und Donald Trump hat sich Mühe gegeben, sich in Davos von seiner besten Seite zu zeigen. Ich werde wohl auch das nächste Mal wieder schauen gehen, wenn er in der Nähe ist.»



Matthias Steimer, Bundeshaus-Korrespondent TeleZüri, Tele M1 und TeleBärn

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«Seit ich als Kind Skifahren lernte, bin ich Stammgast im winterlichen Davos. Schon immer gehörte das WEF dazu – und damit der über die Jahre zunehmende Ausnahmezustand. Donald Trump setzte indes neue Massstäbe. Noch mehr Sicherheitskräfte, noch mehr Businessleute, noch mehr Limousinen prägten das Ortsbild. So viele TV-Teams aus aller Welt hatte Davos noch nie gesehen. Symptomatisch, dass mich ein Einheimischer in einem Sportgeschäft routiniert mit ‹good morning› begrüsste. Dann der grosse Moment an der Promenade. Ich schulterte die Kamera, drückte die Record-Taste. Die schweren schwarzen Wagen rollten an, in der Vertikalen begleitet von einem Helikopter. Niemand konnte wissen, in welcher Staatskarosse Trump sitzte. Alle versuchten, durch die verdunkelten Scheiben einen Blick auf den US-Präsidenten zu erhaschen. Vergebens. Man musste ihn freilich gar nicht sehen, um seine Präsenz zu spüren. Trumps Wichtigkeit als mächtigster Mann der Welt und sein Status als Showstar kreierten eine einzigartige Atmosphäre in Davos. Ich war gleichermassen fasziniert wie irritiert. Davos war Trump.»



Corina Heinzmann, Redaktorin Radio Zürisee und Bundeshaus-Radio

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«Ich habe Donald Trump persönlich nicht gesehen, stand aber daneben, als er mit seiner Eskorte am Freitagmorgen durch Davos fuhr. Über 20 Autos mit getönten Scheiben, eskortiert von der Polizei. Das war für mich als Schweizerin ein ungewöhnlicher Anblick, schliesslich sind wir uns von unseren Bundesräten nicht so ein Tamtam gewohnt. Am meisten beindruckt hat mich die internationale Atmosphäre in Davos und der viele Verkehr. Überall schwarze Limousinen mit getönten Scheiben und Männer in schwarzen Anzügen mit Badge um den Hals und Knöpfen im Ohr.»



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