18.01.2021

Homeoffice-Pflicht

So organisieren sich die Redaktionen

Letztes Jahr war Homeoffice noch eine Empfehlung, nun wird sie Pflicht. Wobei die Formulierung der neuen Regelung grossen Interpretationsspielraum zulässt. Eine persoenlich.com-Umfrage zeigt: Die Medienhäuser nutzen dies grosszügig aus.
Homeoffice-Pflicht: So organisieren sich die Redaktionen
Viele Arbeitsplätze blieben am Montag auf den Redaktionen verwaist. Bei keinem einzigen angefragten Medium musste jedoch die komplette Belegschaft von zuhause arbeiten. (Bild: Keystone/Gaetan Bally)
von Loric Lehmann

Seit Montag gilt sie: die Homeoffice-Pflicht. Für die persoenlich.com-Redaktion bedeutet das: nichts Neues. Wir arbeiten schon seit März fast ausschliesslich von Zuhause. Flexibilität und kleine Organisation machen es möglich. Doch nicht bei allen Medien in der Deutschschweiz ist die Situation gleich. Zwar schicken nun alle angefragten Medienhäuser einen Grossteil der Belegschaft nach Hause, die Spannweite der immer noch vom Büro aus agierenden Mitarbeitenden reicht aber von zehn Prozent bis zu einem Drittel.

Doch dies widerspricht auch nicht der neuen Regelung. Bei genauerer Betrachtung dieser neuen Homeoffice-Pflicht zeigt sich: Der Bundesrat und die Kantone haben einen immensen Spielraum gelassen, um die neue Regelung praktisch auszulegen. Die einschlägige Formulierung lautet: «Wo dies aufgrund der Art der Aktivität möglich und mit verhältnismässigem Aufwand umsetzbar ist, sorgen die Arbeitgeber dafür, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeitsverpflichtungen von zuhause aus erfüllen.»

Im Oktober fragten wir die Medienhäuser, wie sie sich im Rahmen der Homeoffice-Empfehlung aufgestellt hatten. Nun wollten wir wissen, wie die Organisation aktuell gestaltet wird, welche Herausforderungen sich dabei zeigen und wie viele Leute zahlenmässig zuhause bzw. im Büro sind.

Fast 90 Prozent im Homeoffice bei Tamedia

Bei Tamedia wird die neue Regelung folgendermassen umgesetzt: Arthur Rutishauser, Chefredaktor der Tamedia-Redaktion, sagt, man versuche, die Anzahl der Mitarbeitenden, die in den Büros arbeiten, so gering wie möglich zu halten: «Fast 90 Prozent der Tamedia-Redaktion arbeiten im Homeoffice. Nur die Leiter der Dienstpulte der aktuellen Ressorts und die Tagesleiter sind vor Ort.»

Gleiches gilt beim Onlineportal Nau.ch. Am Montag arbeiteten nur noch Chefredaktion, Newsleitung, ein Cutter und später die Abendleitung auf der Redaktion. «Bei uns sieht es ziemlich leer aus», sagt Chefredaktor Micha Zbinden. Er schätzt, dass mehr als 80 Prozent der Journalisten von zuhause aus arbeiten.

Dabei könne man sich auch auf die Erfahrungen vom Frühjahr abstützen, wie Zbinden weiter sagt: «Wir haben aus dem letzten Lockdown viel gelernt, die Umstellung läuft unaufgeregt und problemlos.» Ärgerlich sei nur, wenn das externe Kommunikationstool Teams technische Probleme habe. Da habe man am Montag auf WhatsApp ausweichen müssen.

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Leicht anders sieht es beim Konkurrenten Watson aus: Zwar sind laut Chefredaktor Maurice Thiriet Angehörige von Risikogruppen ständig im Homeoffice. Jedoch arbeiteten RessortleiterInnen newsnaher Ressorts mit der jeweils kleineren Hälfte der Teams im Büro, während newsferne Teams bis auf einzelne Tage ganz im Home-Office seien. Konkret heisst das, dass auf der Watson-Redaktion immer noch etwa ein Drittel der Belegschaft im Büro ist. In der ganzen Firma hingegen nur etwa ein Viertel.

Hinsichtlich Abläufen und Prozessen gebe es keine besonderen Herausforderungen, da sei alles eingespielt, sagt Thiriet. «Langfristig ist die Herausforderung, die Unité de Doctrine in der grundsätzlichen Einschätzung der Situation und der Berichterstattung aufrechtzuerhalten.»

«Der Journalismus vor Ort leidet»

Bei der Wochenzeitung WOZ arbeiten alle RedaktorInnen im Homeoffice. Nur ein Produktionsteam ist gemäss Redaktionsleiter Kaspar Surber aus technischen Gründen vor Ort anwesend. Infolge der wöchentlichen Erscheinung variiere die Anzahl Leute auf der Redaktion von Tag zu Tag. Grob geschätzt sei ein Drittel der MitarbeiterInnen vor Ort, zwei Drittel im Homeoffice. Die Maskenpflicht und andere Sicherheitsmassnahmen habe man schon im Herbst eingeführt.

Die grösste Herausforderung bei der WOZ sei die redaktionelle Diskussion: Organisatorische Fragen seien in den Videokonferenzen einfacher zu klären als inhaltliche Differenzen. Surber: «Mittlerweile sind wir aber doch alle recht geübt, um Missverständnisse zu vermeiden. Vielen fehlt allerdings der persönliche Austausch, das Gespräch an der Kaffeemaschine, das Bier am Feierabend. Das ist ja meist ergiebiger als manche Sitzung.» Was insgesamt leide, sei der Journalismus vor Ort. Reportagen und Porträts seien derzeit schwieriger zu realisieren.

SRF-Mitarbeitenden arbeiten produktiver

Seit Montag gilt für alle SRF-Mitarbeitenden, welche die Möglichkeit dazu haben, obligatorisches Homeoffice, sagt Mediensprecher Andrea di Meo. Ausgenommen davon seien nur die Mitarbeitenden, «deren Funktionen die zwingende Präsenz vor Ort erfordern».

Seit Mitte Dezember seien knapp 30 Prozent der SRF-Mitarbeitenden vor Ort tätig, der Rest im Homeoffice. Der Homeoffice-Anteil werde sich infolge des Obligatoriums jedoch leicht erhöhen. Das Minimum der zwingend vor Ort tätigen SRF-Mitarbeitenden betrage aber 20 bis 25 Prozent.

SRF hat laut di Meo während der gesamten Pandemiezeit den eigenen Leistungsauftrag jederzeit vollumfänglich erfüllen können. Wie viele andere Unternehmen sah sich aber auch SRF in der ersten Welle der Pandemie mit neuen – insbesondere technischen – Herausforderungen konfrontiert. In der Zwischenzeit seien viele der neuen Prozesse so gut eingespielt, dass diese genauso reibungslos funktionieren wie vor Corona. Und es gebe viele Rückmeldungen von Mitarbeitenden, dass man im Homeoffice sogar produktiver arbeite, so der SRF-Sprecher.

Spontaner Austausch fehlt

Karin Heim, stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der Neuen Zürcher Zeitung, verweist auf das wie bei allen Redaktionen vorherrschende strenge Schutzkonzept. «Bereits vor der aktuell gültigen Homeoffice-Pflicht waren rund 70 bis 80 Prozent unserer Redaktions-Mitarbeitenden im Homeoffice. Seit heute sind nur noch jene Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die ihre Arbeit aus produktionstechnischen Gründen nicht von zuhause ausüben können. Vor Ort gelten die bekannten Verhaltens- und Hygieneregeln und eine absolute Maskenpflicht», so Heim.

Auch die NZZ-Redaktion habe sich im vergangenen Frühling sehr schnell und gut an die Situation angepasst und «wo notwendig», die Arbeitsprozesse für die Arbeit aus dem Homeoffice optimiert. Die Homeoffice-Pflicht ist laut der Sprecherin deshalb gut umsetzbar. Die Redaktion erbringe trotz Distanz «jeden Tag Höchstleistungen». Der spontane Austausch über den Schreibtisch hinweg oder auf dem Gang, aus dem oftmals viel Kreatives entsteht, fehle dennoch.

Videocalls als Ersatz für Gespräche

Die Kommunikationsverantwortliche von 20 Minuten, Eliane Loum-Gräser, bezeichnet ebenfalls den fehlenden Austausch zwischen den Mitarbeitenden als Herausforderung. Man versuche, dies durch regelmässige Videocalls so gut es gehe zu ersetzen und prüfe auch den Einsatz neuer Tools.

Auf der Redaktion werden konsequent Maske getragen und die Abstände eingehalten. Loum-Gräser vergleicht die Situation mit derjenigen im letzten Frühjahr. «Das heisst, dass grundsätzlich alle, bei denen Homeoffice möglich ist, von Zuhause aus arbeiten.» Es gebe einige Mitarbeitende, die zeitweise im Büro seien – etwa zehn Prozent. Das gelte beispielsweise – aufgrund des technischen Equipments – für das Video-News-Team sowie den Newsdesk.

Bei Blick sehnt man sich nach Normalität

Alina Bolz, Mediensprecherin bei Ringier, sagt ebenfalls, man habe viele Rückmeldungen von Mitarbeitenden bekommen, die den persönlichen Austausch im Newsroom vermissen und sich nach Normalität im Newsroom sehnen. Aufgrund der Homeoffice-Phasen 2020 habe die Blick-Gruppe aber bereits viel Erfahrung gesammelt; die Redaktion sei gut eingespielt. «Die Kommunikation mit den Mitarbeitenden im Homeoffice funktioniert einwandfrei. Dank des Kernteams vor Ort sind schnelle Absprachen gewährleistet. Praktisch das gesamte Print-Layout wird jetzt von zuhause aus gemacht – etwas, das wir früher nie für möglich gehalten hätten», so Bolz.

Generell hat Ringier laut der Sprecherin sehr vorausschauend gehandelt und den Schutz aller Mitarbeitenden in den Vordergrund gestellt. So gelte bereits seit März 2020, dass alle Mitarbeitenden von zuhause aus arbeiten und nur diejenigen vor Ort sind, die aus produktionstechnischen Gründen da sein müssen.

Keine Maskenpflicht vor der Kamera

Im Blick-Newsroom sei von der Redaktion für jede Schicht genau definiert worden, ob diese von zuhause aus, von den Reporterinnen und Reporter unterwegs oder aus dem Büro ausgeführt werde. Bei Print und Online sei auch nur noch ein kleines Kernteam vor Ort tätig. Bei Blick TV gelte die Homeoffice-Pflicht dort, wo dies aufgrund der Art der Aktivität möglich sei; aus produktionstechnischen Gründen müssten die meisten Abläufe jedoch im Newsroom erledigt werden.

«Die Maximalbelegung im Blick-Newsroom beträgt 10 Prozent. Donnerstags und freitags, wenn auch der SonntagsBlick produziert wird, sind rund 12 Prozent der Newsroom-Mitarbeitenden vor Ort», sagt Bolz.

Und schliesslich gelte im gesamten Unternehmen grossflächig Maskenpflicht – mit Ausnahme der Moderatorinnen und Redner vor der Kamera, wie vom BAG bewilligt (persoenlich.com berichtete). Dort werden seit November 2020 Trennwände als Schutzmassnahme eingesetzt.



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