01.06.2023

SRF

So verlief das umstrittene Webinar

Mitläufer-Effekt, Confirmation Bias oder Selbstüberschätzung: Sozialwissenschaftler Marko Ković sensibilisierte in einem Webinar für Verzerrungen im Journalismus. Der Kurs sorgte im Vorfeld für Wirbel. Rund 50 interne und externe Medienschaffende bekamen konkrete Alltagstipps.
SRF: So verlief das umstrittene Webinar
Hielten den Onlinekurs ab: Referent Marco Ković und Gabriela Brönimann (Leiterin Personalentwicklung & Ausbildung SRF). (Bild: SRF)

Rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich beim Webinar von SRF am Donnerstagnachmittag eingewählt. Das Thema: «Politisch objektiv berichten». Womöglich sorgte die mediale Vorgeschichte der Veranstaltung für zusätzliches Interesse. 

Vor knapp zwei Wochen wurde SRF für diese Veranstaltung in der SonntagsZeitung kritisiert. Nicht das Thema, sondern vielmehr der Kursleiter, der Sozialwissenschaftler Marko Ković, gab Anlass dafür. Wenn jemand, der sich öffentlich als Sozialist bezeichne, einen solchen Kurs leite, mache SRF den Bock zum Gärtner, lautete der Tenor. SRF muss sich immer wieder den Vorwurf der Linkslastigkeit anhören. Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat TV-Chefredaktor Tristan Brenn schliesslich auch externe Medienschaffende zur Veranstaltung eingeladen (persoenlich.com berichtete).

Unter den 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren also nebst SRF-Mitarbeitenden auch mehrere externe Journalistinnen und Journalisten. Die Diskussion war öffentlich. Die Kursleitung stellte im Nachgang Bildmaterial für die Berichterstattung zur Verfügung. Ton- und Bildaufnahmen hingegen waren nicht erlaubt. 

«Das Ziel der Veranstaltung ist es zu sensibilisieren und euch Instrumente für den Alltag an die Hand zu geben, um Biases zu erkennen und sie womöglich zu vermeiden», sagte Marko Ković zum Start. Im ersten Teil des einstündigen Webinars machte der Sozialwissenschaftler die Teilnehmenden auf verschiedene Verzerrungseffekte aufmerksam. Konkret geht es um unbewusste, subtile Denkfehler, die jeder von uns mache. Denn, so seine Hauptbotschaft zum Start: Jeder Mensch sei systematisch irrational, auch wenn er noch so vom Gegenteil überzeugt sei. 

Da gibt es den Confirmation Bias (die Tendenz, Informationen so zu wählen, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen), den Mitläufer-Effekt (die Tendenz, diejenige Option zu wählen, für die sich bereits andere entschieden haben), Groupthink (die Tendenz, sich innerhalb einer Gruppe der Meinung der Mehrheit anschliessen), Overconfidence (die Tendenz, eigene Urteile für präziser halten, als sie es tatsächlich sind), den Halo-Effekt (die Tendenz, von einer bekannten Eigenschaft einer Person auf eine unbekannte zu schliessen) oder den Status Quo Bias (die Bevorzugung, dass alles so bleibt, wie es ist, obwohl dies nicht logisch begründet werden kann).

In kleineren Gruppen galt es für die Teilnehmenden nachfolgend, Situationen im journalistischen Alltag zu erarbeiten, die besonders anfällig für solche Verzerrungen sind. Hier brachte Ković sieben sogenannte Debiasing-Techniken ein.

  • Consider the Opposite: Ziehe immer auch das Gegenteil in Betracht
  • Überzeugungen quantifizieren: Wie sicher bin ich mir (von 0 bis 100)
  • Principle of Charity: Unterstelle positive Motive
  • Verlangsamung: Bremse die Entscheidung bewusst ab
  • konkurrenzierende Hypothesen: Ziehe alternative Erklärungen in Betracht
  • Advocatus Diaboli: Kritisiere die Konsensmeinung aktiv
  • Premortem: Plane vor Projektstart, was schiefgehen könnte

Zum Schluss empfahl Ković den Teilnehmenden, im journalistischen Prozess Checklisten einzusetzen, um die oben erwähnten Verzerrungen aktiv zu vermeiden. Bei der Themenwahl zum Beispiel: Warum ist das Thema wichtig? Beim narrativen Fokus: Welche Geschichte erzähle ich? Was spricht dagegen? Bei der Abgabe: Habe ich mir genug Zeit genommen? Hier nahm der Kursleiter vor allem Produzentinnen und Produzenten in die Pflicht.

Kurz vor Schluss waren noch immer 45 Leute im Webinar mit dabei. Der Wirbel um die Veranstaltung im Vorfeld hatte für SRF also auch etwas Gutes. Und wenn die teilnehmenden Journalistinnen und Journalisten das Gelernte anwenden, profitiert die ganze Gesellschaft.


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