17.05.2015

Hinter den Kulissen mit...

...SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck in Brüssel

Brexit, Flüchlingsdramen, die Griechenland-Krise sowie das stetige Gefeilsche um die Bilateralen: Seit neun Monaten berichtet Sebastian Ramspeck für das Schweizer Fernsehen aus der belgischen Hauptstadt. persoenlich.com hat den 40-Jährigen im Medienzentrum direkt neben der EU-Kommission besucht. Im Interview spricht er über Einsamkeit, direkte Fragen an Angela Merkel oder Jean-Claude Juncker, belgisches Starkbier und den gefährlichen Brüsseler Verkehr.
Hinter den Kulissen mit...: ...SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck in Brüssel

Strahlend blau ist der Himmel und die Temperaturen sind für einen Tag im Mai auffallend hoch - Brüssel zeigt sich für persoenlich.com von seiner schönsten Seite. Hier treffen wir denn Mann, der seit neun Monaten für das Schweizer Fernsehen über die EU, die Nato und die Benelux-Staaten berichtet. Sebastian Ramspeck empfängt uns im Journalistenhaus am Boulevard Charlemagne 1 - nur wenige Meter entfernt von den Türen der EU-Kommission. Vor dem bekannten Berlaymont-Gebäude herrscht für einmal Ruhe. Es ist Sonntag vier Uhr nachmittags. Wir treten ein.


Hier arbeiten Journalisten aus aller Welt: Das Medienzentrum am Boulevard Charlemagne in Brüssel.

Herr Ramspeck, Sie sind seit neun Monaten hier in Brüssel. Haben Sie sich gut eingelebt?
Wenn man als Korrespondent in eine Stadt kommt ist alles neu - die Kollegen, das Büro, die Abläufe und vieles mehr. Mittlerweile bin ich angekommen und fühle mich sehr wohl hier.

Kannten Sie Brüssel vorher?
Ja, ich war mehrere Male hier, immer beruflich. Klar, Brüssel ist nicht der Ort, an den man geht, wenn man in der coolsten Stadt der Welt Korrespondent sein will. Aber Brüssel hat viel zu bieten, die Stadt ist sehr lebending und international.

Korrespondenten beklagen oft, dass sie sich beruflich einsam fühlen. Wie ist das bei Ihnen?
In Brüssel ist es anders, als wenn man in Mexiko oder China sitzt. Der Job hier ist wohl am ehesten vergleichbar mit dem eines Bundeshaus-Korrespondenten. Ich arbeite in einem Medienzentrum mit vielen anderen Journalisten. Gleich nebenan sind die Kollegen vom 'Economist' und von der DPA. Auch die NZZ-Korrespondenten haben ihr Büro im Haus. Zudem setzt sich das SRG-Team hier aus sechs Personen zusammen. Wir funktionieren oft wie eine kleine Redaktion.

Inwiefern arbeiten Sie mit den Westschweizer Kollegen zusammen?
Grundsätzlich macht jeder sein Ding. Aber gerade bei wichtigen und aktuellen Themen ist es üblich, dass wir Informationen austauschen. Ich verwende manchmal auch Material, das meine Westschweizer Kollegin oder mein Tessiner Kollege gedreht haben.

Wie sieht der Alltag eines TV-Korrespondenten in Brüssel aus?
Meine Tage verlaufen unterschiedlich. Ich bin so zwischen acht und neun Uhr im Büro, meist bis gegen acht Uhr abends. Je nachdem mache ich einen Beitrag oder stehe bereit, wenn die 'Tagesschau’ oder das '10vor10' live nach Brüssel schalten. Ein Fixpunkt ist die Medienkonferenz der EU-Kommission, die jeden Tag um 12 Uhr stattfindet. Die Kommission ist meines Wissens die einzige Organisation - nebst dem Weissen Haus - die täglich ein Pressebriefing veranstaltet.

Wie läuft diese Medienkonferenz ab?
Es gibt offizielle Ankündigungen. Der spannende Teil beginnt allerdings erst danach, wenn die Journalisten Fragen stellen können. Ein gutes Dutzend Pressesprecher sind vor Ort und derjenige mit dem entsprechenden Dossier nimmt sich dem Anliegen des Journalisten an. Im Prinzip kann man da jeden Tag jede beliebige Frage zur EU stellen.


Für die SRG sind fünf Personen in Brüssel: RSI, RTR, RTS und SRF steht auf der Tür zum Büro.

Wie stehen Sie in Kontakt mit den Kollegen im Leutschenbach?
Wir telefonieren natürlich - mehr oder weniger häufig, je nachdem, welches Thema auf der EU-Agenda steht. Jeweils am Donnerstag schicke ich eine Planung für die nächsten Tage nach Zürich und liefere dann meine Beiträge oder bereite mich die Liveschaltungen vor. Daneben übernehme ich hier als SRF-Mann in Brüssel auch andere Arbeiten. Ich hole Quotes ab für Beiträge, die in Zürich realisiert werden, oder stehe für Fragen allgemein zur EU und den Themen hier in Brüssel zur Verfügung. Zu guter Letzt bin ich als Chef des SRG-Büros in Brüssel auch für alles Administrative hier verantworlich.

Ist man nach neun Monaten noch nervös vor solchen Liveschaltungen?
Das hat sich gebessert. Mittlerweile gehört es einfach dazu. Ich kann mich ja darauf vorbereiten. Allerdings ist zu viel Routine bei Liveschaltungen gefährlich, das sagen auch Kollegen, die das seit zehn Jahren täglich machen. Denn man beginnt, das Ganze etwas lockerer zu nehmen – aber eine Liveschaltung erfordert immer höchste Konzentration. Besonders anspruchsvoll sind Schaltungen zu topaktuellen Beschlüssen. Dann berichte ich zum Beispiel live aus dem Medienzentrum eines EU-Gipfels. Manchmal bleiben nur wenige Minuten, um die verkündeten Informationen zu bündeln, zu analysieren und in ein Statement zu verpacken.

Fast wöchentlich treffen sich die Vertreter der EU-Staaten in Brüssel. Wie nah kommen Sie an sie heran?
Das ist das Spannende hier. Nach Gipfeltreffen geben die meisten Staats- und Regierungschefs eine Pressekonferenz. Als Korrespondent hat man Zutritt zu allen, kann sich in die vorderen Reihen setzen und Angela Merkel, Matteo Renzi oder Jean-Claude Juncker direkt eine Frage stellen. In Washington ist das undenkbar, meines Wissens richtet kein Schweizer Journalist seine Frage persönlich an Barack Obama. Und viele Minister aus EU-Staaten stehen den Journalisten auch in vertraulichen Hintergrundgesprächen Red’ und Antwort, da plaudern sie dann aus dem Nähkästchen. Ab und zu wird man als Schweizer Journalist auch in solche Runden eingeladen.


BBC News, dpa, NZZ und die SRG: Eine digitale Tafel beim Empfang zeigt, wo welches Medium im Haus zu finden ist.

Im Pressezentrum am Boulevard Charlemagne arbeiten rund hundert Journalisten. Ist man mehr Arbeitskollege oder Konkurrent?
Klar, jeder Journalist profiliert sich gerne mit einem Primeur. Aber das Verhältnis hier im Haus ist gut, man hilft sich. Habe ich eine Frage zu Deutschland-Geschäften, klopfe ich gegenüber bei der DPA an. Und umgekehrt habe ich DPA-Kollegen auch schon die Probleme bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative erklärt.

Und wie ist das mit den Schweizer Kollegen?
Aus der Schweiz sitzen etwa ein Dutzend Journalisten hier in Brüssel. Wir treffen uns regelmässig zu Hintergrundgesprächen mit dem Schweizer Botschafter und sehen uns auch sonst bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Ich pflege zu allen ein gutes Verhältnis.

Zu einem anderen Thema: Brüssel gilt als Dschihad-City, weil überdurchschnittlich viele Dschihadisten in Syrien und im Irak von hier kommen. Haben Sie ab und zu ein mulmiges Gefühl, wenn Sie durch die Gassen spazieren?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, in Brüssel ist das Risiko bei einem Verkehrsunfall tödlich zu verunglücken grösser, als bei einem Bombenanschlag ums Leben zu kommen. Der Verkehr hier ist sehr chaotisch und die wohl grösste Gefahr (lacht).

Wie bewegen Sie sich von A nach B in der Stadt?
Ich fahre mit dem Velo zur Arbeit oder nehme den Bus. Wenns mal brennt, steige ich in ein Taxi. Ein eigenes Auto habe ich hier nicht.

Nebst EU-Themen fallen auch Geschichten zur Nato, zu Belgien, Luxemburg und Holland in Ihren Aufgabenbereich. Wie viel macht das aus?
Ich war bislang einmal in Holland um zu drehen und ein weiteres mal in Luxemburg für einen Beitrag über das Land. Aber ich muss zugeben: Bisher habe ich zu über 90 Prozent EU-Themen bearbeitet. Jetzt, wo ich hier gut eingearbeitet bin, möchte ich dies aber ändern. Ich hoffe im Sommer, wenn es etwas ruhiger wird, mal für Reportagen nach Holland reisen zu können.


Aussicht auf die bekannten EU-Fahnen: Das Medienhaus liegt direkt neben dem Gebäude der EU-Kommission.

Brüssel ist bekannt für Schokolade, Bier und Comics. Was gefällt Ihnen am besten an der Stadt?
Die Menschen. Sie sind im Allgemeinen sehr entspannt, fröhlich und freundlich. Vieles hier funktioniert nicht einwandfrei, aber die Leute bleiben gelassen und nehmen alles so, wie es kommt. Zudem hat die Stadt etwas Südländisches. Wenn man abends weggeht, sitze viele draussen in den Restaurants und Bars.

In Belgien gibt es über 500 verschiedene Bierarten. Welches ist Ihr Lieblingsbier?
Am Anfang war ich hochbegeistert von den vielen speziellen Starkbieren, für die Belgien ja berühmt ist. Mittlerweile bestelle ich wieder häufiger ein einfaches Pils, die Starkbiere sind mir manchmal zu wuchtig. In Belgien gilt Bier als vollwertiges Getränk. Wer in ein gehobenes Restaurant geht, kann sich manchmal zu jedem Gang das passende Bier servieren lassen. In der Schweiz kennt man das nur mit Wein.

Zum Schluss: Wie lange wollen Sie noch hier in Brüssel bleiben?
Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Ein Korrespondent bleibt üblicherweise vier bis sechs Jahre an einem Ort. Sechs Jahre kann ich mir gut vorstellen. Nach neun Monaten habe ich noch lange nicht alles gesehen und gemacht, was ich sehen und machen will. Für mich persönlich, ganz subjektiv, ist der Brüssel-Job die interessanteste aller Korrespondenten-Stellen. Allerdings könnte ich mir grundsätzlich auch vorstellen, einmal an einen Ort zu gehen, wo mir Kultur und Sprache fremder sind - nach China oder Russland zum Beispiel.

Interview und Bilder: Michèle Widmer


Für persoenlich.com öffnet Sebastian Ramspeck sein Brüssel-Fotoalbum. In der Bildergalerie finden Sie Impressionen aus dem Alltag des 40-Jährigen:


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