27.04.2021

Muschgs Auschwitz-Aussage

SRF-Moderator Yves Bossart entschuldigt sich

Adolf Muschg hingegen will sich nicht entschuldigen. Der Schweizer Schriftsteller hatte in «Sternstunde Philosophie» einen sehr umstrittenen, fragwürdigen Vergleich angestellt.
Muschgs Auschwitz-Aussage: SRF-Moderator Yves Bossart entschuldigt sich
Der 86-jährige Schriftsteller und Intellektuelle Adolf Muschg war am Sonntag, 25. April, Gast bei «Sternstunde»-Moderator Yves Bossart. (Bild: Videostill)

Im Anschluss an die Sendung «Sternstunde Philosophie» kommt es am Wochenende zu einer hitzigen Debatte auf Social Media. Auslöser ist ein Vergleich, den der Schriftsteller Adolf Muschg gezogen hat: «Die Canceling Culture, die wir heute haben, (...) das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Auf Twitter wurden SRF und Moderator Yves Bossart kritisiert: «Wo liegen die Grenzen Ihres Neutralitätsprinzips, wenn nicht hier? Wie definieren Sie ‹journalistische Verantwortung›?», heisst es, und Geschichtsprofessor Philipp Sarasin schreibt: «Herr Muschg sollte sich in Grund und Boden schämen – und es ist absolut unverständlich, warum der Moderator das unwidersprochen einfach stehenlässt.

SRF bedauert und Bossart entschuldigt sich

Das sieht auch SRF so. Via Twitter bedauert das Unternehmen den Verlauf des Gesprächs: «Der Sternstunden-Moderator hätte einhaken müssen. Das bedauern SRF und Moderator Yves Bossart sehr.»

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Bossart selber entschuldigt sich. Ebenfalls via Twitter schreibt er: «Leider macht Adolf Muschg einen absurden Vergleich der so genannten Cancel Culture mit Auschwitz. Ich kritisiere zwar seine Haltung, habe aber verpasst, den absurden Vergleich zu thematisieren.»

 

«Auschwitz» besser nicht gebraucht

Adolf Muschg selber sieht keinen Grund, seine Äusserung zurückzunehmen. Gegenüber SRF gibt der Schriftsteller zu, dass er das Wort Auschwitz besser nicht gebraucht hätte. Entschuldigen werde er sich nicht für seine Äusserungen, die er im Fernsehen gemacht habe, sagt er zu SRF und auch gegenüber CH Media. Es sei «der Kurzatmigkeit der Medien» geschuldet, dass diese nur eine Passage eines fast einstündigen Gesprächs herauspicken, ohne das Gespräch als Ganzes zur Kenntnis zu nehmen. «Es geht mir ja nicht darum, Inkorrektheit mit Auschwitz gleichzusetzen», so Muschg bei CH Media.

Er habe nämlich keinen Vergleich gemacht, sondern in Frage gestellt: «Wo führt dieser Weg hin? Wie viel Gespräch mit der anderen Seite ist möglich?» Cancel Culture schliesse Menschen aus dem humanen Diskurs aus – ob es weisse alte Männer sind oder Schwarze oder Männer oder Frauen. «Man zeichnet sie», beklagt er. «Und dieses Zeichnen von Menschen hatten wir im Krieg mit dem Judenstern, wir hatten es in der Schweiz mit dem J, das man den Juden in den Ausweis stempelte. Wenn wir Leute vom Diskurs ausschliessen, dann eliminieren wir sie aus der eigenen Welt und bauen uns eine ganz eigene. Das ist ein fürchterliches Fantasma wie Hitlers Rassenkunde.»

Aus Ausschnitt wird «medialer Aufreger»

Dass daraus ein medialer Aufreger geworden sei, habe eigentlich nichts mit dem Gespräch in der Sendung zu tun. In der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» sagte Muschg nach dem oben erwähnten Zitat: «Nehmen Sie die Cancel Culture, die wir heute haben. Dass man abgeschrieben wird, wenn man bestimmte Zeichen von sich gibt. Das sehen wir bei feministischen Diskursen ebenso wie bei anti-rassistischen. Ein falsches Wort und du hast den Stempel. Das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Was er an dieser Praxis entsetzlich finde, sei nicht einmal das Inhumane: «Es ist das Interesselose an den eigenen Widersprüchen. Das ist doch der ganze Spass des Lebens, dass ich lerne, dass miteinander völlig unvereinbare Dinge zusammengehen. Dass diese Widersprüche in meinem Kopf oder in meiner Kultur sind.» Gegen solche «schrecklichen Vereinfachungen» wehre er sich. «Dahinter ist immer ein redlicher Impuls. Man will Leute disqualifizieren, die Schwarze disqualifizieren. Das ist sehr ehrenwert. Aber diese Disqualifikation gerät ins genau gleiche faschistoide Fahrwasser des Ausschliessens der Anderen. Nur sind es jetzt andere Andere.»

Das sehen die jüdischen Verbände der Schweiz anders. Ihr Entsetzen ist gross. «Zuerst waren wir irritiert, doch nun sind wir schockiert». Bei CH Media wird der Schweizerische Israelitische Gemeindebund zitiert: Muschgs fehlende Einsicht zeuge von «einer Haltung, die wir von einem Intellektuellen nicht erwartet hätten.» (eh)

 


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KOMMENTARE

Alfred Preisig
28.04.2021 10:26 Uhr
Also, das ist ja wohl ordli gschämig für den Herrn Ursprung, wenn er sich so scheinheilig aufplustern tut: Geschichtsprofessor Philipp Sarasin schreibt: «Herr Muschg sollte sich in Grund und Boden schämen – und es ist absolut unverständlich, warum der Moderator das unwidersprochen einfach stehenlässt. – Auch er hat dabei den eigentlichen Skandalsatz übersehen, der gleich darauf folgt mit den «eigentlichen Opfern» der Odenwaldschule. Aber dahin hat ihn der lame duck-Interviewer gelotst, der sich jetzt so bireweich entschuldigt. Wow, wie aufmerksam doch zugehört wird in der Schublade der Gaga-Cancelling-Unculture.
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