20.06.2002

TiVo bietet Werbung zum Reinzappen

In Amerika lassen Real Networks, das Abo-Netz des interaktiven TV-Dienstleisters TiVo und Sony Pictures Entertainment ein Programmformat debütieren, das TiVo selbst als "Schaufenster für einzigartigen Content" apostrophiert. Dem Zuschauer sollen darin Werbeinhalte präsentiert werden, die so attraktiv sind wie das übrige Programm. Vielleicht nimmt den Werbern die Furcht vor einer Technologie zum Auszappen von Commercials. Zwar zählt Real Networks noch nicht einmal eine halbe Million Subskribenten, aber der erste Schritt in eine neue Werberichtung könnte getan sein.
TiVo bietet Werbung zum Reinzappen

Warum läuft es den Werbern beim blossen Hören von Namen wie TiVo oder Replay Networks kalt den Rücken herunter? Weil das, was da langsam aber sicher im Entstehen begriffen ist, dem TV-Publikum nicht nur einen Vorwand zum Zappen liefert, sondern auch das mehr oder weniger vollautomatische Gerät dazu. Und dass es sich bei den ersten Gehversuchen dieser Technologie nicht einfach nur um Heissluftblasen handelte, wurde spätestens klar, als die mit dem UltimateTV-Service von Microsoft aufgewertete Settop-Box von RCA vor etwa anderthalb Jahren als Direktkonkurrent von TiVo und Replay Networks ihren Einstand am amerikanischen Markt gab.

Zurück zur aktuellen Situation: Sony Pictures Entertainment und TiVo bieten den rund 420'000 Real-Network-Abonnenten ab sofort also etwas, das von TiVo als ein Schaufenster mit einzigartigem Content bezeichnet wird. Was darunter zu verstehen ist, stellt sich im werblichen Kontext so dar: Werbetreibende können bei mindestens zehn digitalen Video- und Audio-Minuten via TiVo-Service ein Content-Paket schnüren, das meilenweit über die Möglichkeiten eines 30-Sekunden-Fernsehspots hinausgeht.

Advertainment

Das auch als "Advertainment" bekannte TiVo-Konzept, das Advertising und Entertainment -- Werbung und Unterhaltung also --, zur Synthese bringt, ist an sich nur die letzte einer ganzen Serie von seismischen Verschiebungen, die dabei sind, die Madison Avenue in die Umlaufbahn Hollywoods zu bringen. Was allerdings auch als Verschleierung der Tatsache interpretiert werden könnte, dass sich die Werbung per se in einer tiefen Identitätskrise befindet. Das verdeutlicht auch der schon seit langem erkennbare Versuch vieler Agenturen, für die Produkte und Dienstleistungen ihrer Kunden gute Platzierungsmöglichkeiten nicht im Werbeblock, sondern in der Filmhandlung oder im Programm selbst zu bekommen. Mit zum Teil aggressivem Vorgehen wird auch versucht, enge Beziehungen zu Content-Machern aufzubauen, weil allenthalben die Erkenntnis wächst, dass der traditionelle TV-Spot dabei ist, seine Schlagskraft zu verlieren.

Jim Nail, Senior Analyst des US-Werbe- und Medien-Forschungsdienstes Forrester Research, geht sogar soweit, dem Fernsehen, wie wir es heute kennen, für irgendwann in den nächsten fünf Jahren die Sterbeglocke zu läuten. Danach, so Nail, wird statt der Programmplanung der Sender die Programmnachfrage zur alles treibenden Kraft. Die Zuseher würden entweder zu einer Settop-Box von TiVo greifen oder denselben Service via Kabel oder Satellit erhalten. Mit dem Endeffekt, dass sie das sehen, was sie sehen wollen -- und wann sie es sehen wollen.

Das ist eine Verhaltensperspektive für die nahe Zukunft, durch die sich die Bezugsqualität zwischen Publikum und Werbung eindeutig ändern wird. Zwar möchten 420'000 Service-Abonnenten noch keinen Unterschied machen, so Nail abschliessend. Aber sofortiges Nachdenken über das Wesen der Werbung sei dennoch das dringende Gebot der Stunde. Sony bietet für den Anfang schon mal einen 90-Sekunden-Abspann für den am 28. Juni anlaufenden Film "Mr. Deeds" mit dem Star-Comedian Adam Sandler. Hinzu kommen noch drei weitere Film-Ausschnitte, so dass zusammen zehn Minuten für werbliche Content-Gestaltung resultieren.

Aus dem PVR Kapital schlagen

Aus entsprechenden Untersuchungen wisse man, was für eine wunderbar zwingende Applikationstechnik dem Verbraucher mit dem PVR (Personal Video Recorder) in die Hand gegeben werde, sagte Mitch Oscar, Vice President und Mediendirektor von Universal McCann. Die zu Interpublic gehörende Mediaagentur zählt auch Sony Pictures Entertainment zu ihren Kunden und macht kein Hehl daraus, dass eine Talent- und Content-Agentur ganz oben auf ihrer Akquisitions-Wunschliste steht.

Bei Real Networks wiederum geht es so ab, dass TiVo-Abonnenten ein Vorgeschmack auf das beim Real One Premium Service komplett angebotene Major-League-Baseball-Programm geliefert wird, wo es 20-Minuten-Zusammenschnitte aller wichtigen Spiele zu sehen gibt. TiVo-Seher erhalten einen 3-Minuten-Einblick und ein 14-Tage-Gratis-Probierabo auf Real One. Und als Teil dieses Schnupperpakets haben Werbetreibende wiederum zehn Minuten Zeit, sich mit dem Fernsehpublikum auszutauschen. "Da braucht man keinen Spot extra zu konzipieren, dass er sich garantiert von der Masse aller übrigen abheben muss, um nicht weggezappt zu werden," sagt TiVo-Produzent Jim Monroe, "die Zuschauer selbst optieren darauf, ihn zu sehen."


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