10.01.2019

Medienqualität

Was lernen Journalisten vom Fall Relotius?

Ist der Fälscher beim «Spiegel» ein Einzelfall und wie betrifft er die Schweiz? Diese Woche diskutierten in Zürich Judith Wittwer, Francesco Benini, Daniel Puntas Bernet und Peter Hossli über solche Fragen. Das Interesse war ausserordentlich gross.
Medienqualität: Was lernen Journalisten vom Fall Relotius?
Am Dienstag, 8. Januar, am Ringier-Sitz in Zürich: Francesco Benini, Inland-Chef der «NZZ am Sonntag», und Daniel Puntas Bernet, Gründer «Reportagen». (Bilder: Blick/Thomas Meier)
von Edith Hollenstein

Der Saal im Ringier-Pressehaus ist für hundert Personen ausgelegt, so dass nur wenige stehen müssen, weil sie keinen Sitzplatz finden. Rund hundert Interessierte waren der Einladung von Ringier-Publizist Hannes Britschgi gefolgt. Er hatte über die Weihnachtsfeiertage die Podiumsgäste zusammengetrommelt und moderierte die Diskussion.

«Mist, auch wir sind betroffen», das seien seine ersten Gedanken gewesen, als Francesco Benini von Claas Relotius’ Tricksereien erfuhr. Er ist Inland-Chef der «NZZ am Sonntag», dem Blatt, das zusammen mit dem «NZZ Folio» und der «Weltwoche» ebenfalls vom Fall Relotius betroffen ist, da es vier Texte von ihm gedruckt hatte (persoenlich.com berichtete). Benini glaubt nicht, dass solche Fälle künftig verhindert werden können. «Blender gibt es überall: in der Wirtschaft, in der Politik. Warum soll es sich im Journalismus nicht geben?», fragte er, ohne die Antwort darauf zu erwarten.


Judith Wittwer, Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers», zeigte sich selbstkritisch. Auch wenn der Tagi nie Relotius-Texte gedruckt hatte, sei die Redaktion involviert, denn «der gesamte Journalismus ist betroffen», so Wittwer. Im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern, wo vor allem Fakten grossen Wert beigemessen werde, seien bei uns im deutschen Sprachraum Erzählweise und Stil viel wichtiger. «Wir geben dem Starschreiber sehr grosses Gewicht. Uns sind Stil und Storytelling wichtig, aber Faktentreue müsste eigentlich über dem stehen», so Wittwer. Dennoch solle man nicht ins trockene «Agentur-Zeitalter» zurückfallen, sondern leserfreundlich schreiben. «Wir brauchen gutes Storytelling, basierend auf Fakten.»

Teure Faktenchecker

Wie Wittwer ist auch Daniel Puntas Bernet der Meinung, dass es sich bei Relotius um einen Einzelfall handelt. Puntas Bernet ist Gründer und Chefredaktor von «Reportagen». Dort wurden fünf Relotius-Texte abgedruckt. So ist er denn «einfach irgendwann froh, wenn der Relotius-Schlammasel vorbei ist und wir wieder arbeiten können», wie Puntas Bernet sagt. Seine Redaktion habe Relotius-Texte geliebt und habe sehr betroffen zur Kenntnis genommen, dass er ein Fälscher sei. Er müsse zugeben, dass er und seine Redaktion bei Relotius zu wenige Fakten-Checks gemacht hätten. Doch er könne sich aus wirtschaftlichen Gründen keine Fakten-Check-Abteilung leisten. Das sei auch beim «Tages-Anzeiger» nicht möglich, sagt Chefredaktorin Wittwer. Sie ist der Meinung, dass die Redaktionen interne Prozesse optimieren müssen, etwa das kritische Gegenlesen – oder Redaktoren sollten sich gegenseitig fragen, mit wem sie es bei der Recherche zu tun gehabt hatten.

Puntas Bernet ist der Meinung, dass dieser Fall künftig besseren Reportagen führen wird: «Es wird zu einem Post-Relotius-Reportagen-Boom kommen», prognostiziert Puntas Bernet am Rande der Veranstaltung im Video-Interview gegenüber Ringier:

 

Benini wirft ein, dass Redaktionen nicht alles prüfen könnten, sondern die Verpflichtung von Autoren «am Schluss ein Geschäft mit dem Vertrauen» ist. «Relotius hatte einen Namen, einen sehr guten Ruf, deshalb hatten auch wir Texte von ihm im Blatt.» Beninis Meinung nach ist der «Spiegel» kein Nachrichtenmagazin mehr, wie sich das Blatt laut Eigendeklaration sieht. Benini zufolge sind Enthüllungen nicht mehr so zentral wie früher, stattdessen gehe es vor allem um aufwendige Reportagen und Storytelling. «Es gibt viele von diesen Reportagen, bei denen Politiker wochenlang von Journalisten begleitet werden – da öffnet sich das Feld für Fiktion», so Benini. Es bringe wenig, wenn die «NZZ am Sonntag» nun alle Relotius-Texte minutiös auf Fehler abklopft. «Wir können doch nicht an alle Schauplätze reisen. Und die Leser wollen das auch gar nicht lesen.» Vielmehr sollte der Informationsfluss verbessert werden. «Dass Relotius seit 2014 nicht mehr fürs ‹NZZ Folio› schreiben durfte, nachdem dort in einem Text Faktenfehler aufgetaucht waren, wussten wir nicht.»

Fake News und die Medien zusammengebracht

Um das Vertrauen der Leser wieder zu gewinnen, sei es wichtig, besser zu erklären, wie Journalisten arbeiten. «Sozusagen in einem Making-of müssen wir die Umstände und Hintergründe, also die Entstehungsgeschichte transparent machen», sagt Judith Wittwer.

Peter Hossli, freier Journalist und Buchautor, ist «wütend». Auch, «weil jetzt eine Diskussion entbrannt ist, ob Journalisten überhaupt noch schön schreiben sollten». Das Problem bei Relotius sei, dass er nicht nur Geschichten erfunden habe, sondern teilweise eine Gesinnung bedient habe. Relotius' Geschichten bedienten den «Spiegel»-typischen Anti-Amerikanismus. Problematisch ist laut Hossli auch, dass Claas Relotius die Meinung derjenigen Leute bestätige, die an Lügenpresse, respektive Fake News glauben und so das Image der ganzen Branche beschmutzt, so Hossli im Video (siehe oben).

 

 

 

 

 



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Kommentare

  • Victor Brunner, 11.01.2019 09:40 Uhr
    keine Fakten-Check-Abteilung leisten. Das sei auch beim «Tages-Anzeiger» nicht möglich, sagt Chefredaktorin Wittwer. Das ist das Grounding des Journalismus wenn "Fakten" nicht mehr geprüft werden können. Frau Wittwer ist sich der Verantwortung der sogenannten 4. Gewalt nicht bewusst! Da stellt sich die Frage ob ich noch eine abonnierte Zeitung brauche von der ich mehr erwarte als Gratisblättli oder gratis Onlineportalen!
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