22.02.2023

Indiskretionsaffäre

Wie gross der Skandal wirklich ist

Der Austausch zwischen Bersets Ex-Kommunikationschef Peter Lauener und Ringier-CEO Marc Walder hat hohe Wellen geschlagen. Zu Recht? Einschätzungen von bekannten Journalistinnen und Journalisten, die sich teils schon früher mit Bundespräsident Berset beschäftigt haben.

Susan Boos

Präsidentin Schweizer Presserat

«Marc Walder, CEO und Mitbesitzer von Ringier, liebt den Dunstkreis der Macht. Das ist kein Primeur. Er kuddelmuddelt schon länger mit dem Bundeshaus und fand das wohl normal. In der Bundeshausmaschine war man offenkundig ebenfalls überzeugt, man könne sich über ihn positive Berichterstattung erschmeicheln. Der Verlag darf sich aber nie in die Berichterstattung der Redaktion einmischen, so lautet ein hehres Gesetz des unabhängigen Journalismus. Allein schon der Verdacht, dass dies der Fall ist, wirkt verheerend: für das Haus Ringier und vor allem für den Ruf seiner Journalistinnen und Journalisten. Das Haus hat nun reagiert. Walder darf der Redaktion nichts mehr sagen. Jetzt hat Verleger und Verwaltungsratspräsident Michael Ringier die ‹publizistische Oberleitung› übernommen. Ein nachvollziehbarer Zug, aber noch nicht die Lösung des Problems.»


Christoph Mörgeli

Redaktor Weltwoche, ehemaliger SVP-Nationalrat, publizierte die erste Enthüllungsgeschichte über Alain Bersets Geliebte

«Ich meine, Rücktrittsforderungen sollten nicht zur Kernkompetenz von Journalisten werden. Aber Anlass zu Sorgen gibt das Amtsgebaren von Bundespräsident Alain Berset durchaus. Er beantwortet alles Heikle und Dunkle mit Schweigen, wo doch Antworten unumgänglich sind, verwickelt sich in Widersprüche und wandelt auf hauchdünnem Eis. Vor allem aber ist Berset im Begriff, das Wertesystem der Schweiz massiv nach unten zu verschieben und damit das Ansehen der Landesregierung dauerhaft zu beschädigen. Wenn Korruption, Mischeln, Verwedeln und Abstreiten zum Charakterkorsett im Bundesstaat und zum festen Bestandteil unserer politischen Kultur werden, unterscheidet die Eidgenossenschaft nichts mehr von den viel kritisierten Oligarchien. Da taugen die Ablenkungsversuche und Opferinszenierungen linker Medien wenig. Wer bei Covid eben noch die Verschwörungstheoretiker verdammt hat, entblödet sich jetzt nicht, bei der Berset-Ringier-Affäre eine SVP-Verschwörung zu konstruieren.»


Felix E. Müller

Ex-Chefredaktor NZZ am Sonntag, veröffentlichte das Buch «Wie ich die Krise erlebe – Bundesrat Alain Berset im Gespräch mit Felix E. Müller»

«Es gibt ohne Zweifel grössere Skandale als die Berset-Ringier-Standleitung. Das grosse Echo, das diese Affäre gefunden hat, zeigt aber, dass sie einen Nerv getroffen hat. Dies aus zwei Gründen:

  1. Indiskretionen. Im Bundeshaus gibt es seit Längerem Bemühungen, diese zu unterbinden. Die Standleitung aus dem Bundeshaus an die Dufourstrasse scheint die Bestätigung zu sein, wie übel es in dieser Hinsicht bestellt ist.
  2. Kungelei zwischen Politik und Medien: Trump hat dem Eindruck Vorschub geleistet, dass es eine (linke) Kollaboration von Journalisten und Exekutivpolitikern gegen das Volk gebe. In der Schweiz wurde dieser Vorwurf während und nach Corona von Coronaskeptikern und Impfgegnern häufig erhoben.

Wer muss welche Konsequenzen ziehen?

  1. Was Indiskretion betrifft, gibt es keine einfachen Rezepte. So wie es Indiskretionen gibt, die klar abzulehnen sind (sie schaden etwa den nationalen Interessen der Schweiz, sie ruinieren die Existenz einer Person), so gibt es solche, die durchaus positiv sind, weil nur dadurch ein Skandal ans Tageslicht kommt. Das Prinzip der Pressefreiheit schafft aus diesen Gründen vorsätzlich eine Unschärfe dahingehend, was geht und was nicht geht. Die Frage der Legitimität von Indiskretionen lässt sich nur einzelfallweise beantworten. Grundsätzlich betrachtet, ringen das politische System und das Mediensystem gerade intensiv um die Frage, wer über die Informationshoheit im Bundeshaus verfügt.
  2. Schon immer gab es Bundesräte und Journalisten, die sich besonders nahestanden. Aber in diesem Fall ist speziell, dass der CEO eines ganzen Verlagshauses sich in intensivster Weise mit einem Departement austauschte und dann alle seine Medienprodukte auf einen bestimmten Kurs setzte. Marc Walder spielte die Rolle eines Coronagenerals, der Einfluss auf die Coronapolitik der Schweiz nehmen wollte. Berset nutzte diesen Drang geschickt für seine Zwecke aus. Doch Verleger sollten nicht Journalisten sein und Journalisten keine Aktivisten. Und Bundesräte müssen eine gewisse Ausgewogenheit in der Behandlung der Medien beachten. Sonst entsteht aus Beziehungskorruption gelegentlich wirkliche Korruption.»


Peter Rothenbühler

Langjähriger Chefredaktor Schweizer Illustrierte, SonntagsBlick und Le Temps

«Hätte sich nicht ein Staatsanwalt zufällig im Mailverkehr zwischen Peter Lauener und Marc Walder verheddert, wäre die ganze Sache nie zur Affäre geworden. Denn was ist passiert? Zweimal hatte der Blick Vorausinformationen zu kommenden Bundesratsentscheiden. Genau wie andere Verlage auch. Beschädigt wurde niemand. Der Bundesrat hat souverän entschieden. Klar ist, dass aufseiten des Ringier-Verlages nichts unternommen wurde, das auch nur annähernd strafwürdig wäre. Zeitungsverlage sind private Unternehmungen; wenn ihre Mitarbeiter exzellente Beziehungen zu wichtigen Personen unterhalten, umso besser. Aber: Der gute Journalist sollte sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache, hat der grosse Hanns Joachim Friedrichs mal gesagt. Das Haus Ringier hat sich über die Person von Frank A. Meyer und seinen Jüngern und neuerdings mit Marc Walder so eng mit Politikern angefreundet, dass es in den Ringier-Medien zu einer Art Selbstzensur, zur Beisshemmung gegenüber Politikern und Wirtschaftsführern führte, die mit den Oberen verbandelt sind. Das ist nicht gut. Entspricht aber dem Klima der letzten paar Jahre: Alle Medien sind – auch wegen der Covid-Krise – immer regierungstreuer geworden. Nur die Weltwoche ist ausgeschert und wurde dafür von den lieben Kollegen bös beschimpft. Jetzt muss abgeklärt und streng definiert werden, was ein Amtsgeheimnis überhaupt ist und wie es geschützt werden muss. Da gibt es einen künstlerischen ‹Flou›, wie wir Welschen sagen. Heute gilt viel zu viel als Geheimnis, und viel zu viele Menschen erfahren Geheimnisse intern. Wer unbedingt will, dass eines verbreitet wird, macht es wie Freunde unter sich: Gell, das ist aber sehr vertraulich, nichts weitersagen! So beginnt jeweils die Verbreitung eines Geheimnisses. Auch in Bern. Täglich. Die Kampagne gegen Berset, die Forderung nach Rücktritt – alles völlig überrissen. Wenn Berset gehen muss, dann könnte noch viel anderes an den Tag kommen. Denn er ist nicht das eine schwarze Schaf unter lauter weissen Lämmern.»


Andrea Masüger

Präsident Verlegerverband Schweizer Medien VSM

«Die Affäre hat eine Eigendynamik entwickelt, die die Bedeutung der Vorkommnisse überdreht. Das ist oft so bei medial getriebenen Ereignissen, die auch einen Einfluss auf die Politik haben. Im Wissen darum, dass Medien permanent Indiskretionen nutzen, dass diese zu unserem Informationssystem gehören, oft sogar notwendig sind und überdies vom Gesetzgeber geschützt werden, würde ich mir etwas mehr mediale Selbstkritik und weniger Pharisäertum wünschen. Dass Journalisten dies sehr gut einordnen können, zeigen mir vier kürzlich erschienene Texte: der Kommentar von Matthias Ackeret auf persoenlich.com (17.1.) und die Beiträge von Isabelle Jacobi im Bund (21.1.), Denis von Burg in der SonntagsZeitung (22.1.) und Nick Lüthi in der Werbewoche (25.1.). Über die Konsequenzen kann man erst sprechen, wenn alles auf dem Tisch liegt.»


Roger de Weck

Ex-Chefredaktor Tages-Anzeiger und Die Zeit, Autor von «Die Kraft der Demokratie»

«Während meiner bald fünf Jahrzehnte in der Branche fielen mir etwelche ‹Standleitungen› zwischen Medienhäusern und Zentralen der politischen und wirtschaftlichen Macht auf. Neu ist heute: Das eine oder andere Medienhaus kritisiert Standleitungen, obwohl es selbst ebenfalls Standleitungen hat. Zu dem Komplex ‹Bundeshaus/Sonderermittler/Ringier/CH Media› habe ich vorderhand eher Fragen als Meinungen. Bis die Fakten – die alle auf den Tisch müssen – feststehen, halte ich mich an die alte journalistische Weisheit: When you don’t know the facts, take the principles.  Und da gilt allemal:

a) Die Ungebundenheit und liberté d’esprit auch gegenüber wichtigen Informanten ist letztlich ein Teil der Medienfreiheit, egal ob mit oder ohne Standleitung.

b) Unwidersprochen bleibt der Spruch von FDP-Bundesrat Pascal Couchepin: «Machen wir uns weder zu Engeln noch zu Teufeln. Indiskretionen sind Teil des Systems.»

c) Ermittler in parteipolitisch relevanten Fällen sollten keine parteipolitische Färbung oder Vergangenheit haben. Und

d) ‹Standleitung› wird zum Schweizer Wort oder Unwort des Jahrs.»



Diese Umfrage erschien zuerst in der aktuellen persönlich-Printausgabe.


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KOMMENTARE

Michael Scharenberg
22.02.2023 10:01 Uhr
Es geht um die Dimension: hier haben Politik und ein Medienhaus zusammengespannt, um eine Pandemiestrategie unter die Menschen zu bringen, die Ärzte-Kodizes mit Füssen trat, indem Menschen zu fragwürdigen Eingriffen gedrängt wurden, teils erpresserisch (kein Job ohne Spritze), ungerechtfertigt Grundrechte aussetzte; die Gesellschaft spaltete; Kinder und Alte traumatisierte. Das ist die Dimension. Das haben diejenigen nicht verstanden, die schönredend jetzt davon sprechen, Indiskretionen habe es schon immer gegeben. Niemals sind durch solcherlei Lecks derart viele Menschen derart in Angst und Schrecken verserzt wirden wie jetzt. Darum geht es.
Raphael Imhof
22.02.2023 07:03 Uhr
Klar, dass Mörgeli ein populistisches parteipolitisches Statement draus machen muss ;).
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