18.01.2023

Indiskretionsaffäre

Der Schatten ist grösser als der Skandal selbst

Die Berset-Ringier-Affäre ist mittlerweile zum landesweiten Thema geworden. Der Gesundheitsminister wird die Sache wohl aussitzen können. Für Ringier ist die Sache schwieriger. Es kann einen Moment dauern, bis die Reputation wiederhergestellt ist. Ein Kommentar.
Indiskretionsaffäre: Der Schatten ist grösser als der Skandal selbst
«Nüchtern betrachtet kann man einem Pressehaus nicht vorwerfen, dass es gute Kontakte nach Bundesbern hat», schreibt Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor von persönlich, über den Blick-Verlag Ringier. (Bild: zVg/Keystone)
von Matthias Ackeret

Die Berset-Ringier-Affäre hat sich in den letzten Tagen zum medialen Flächenbrand ausgebreitet. Was erstaunt – liegt die Pandemie doch weit zurück, und Alain Berset gilt immer noch als populärster Bundesrat. Dies zeigte sich auch vor wenigen Tagen, als er bei seinem Besuch am Lauberhornrennen für unzählige Selfies mit den angereisten Fans posierte.

Damals – am Samstag – schien die aktuelle Krise noch weit weg, obwohl Schweiz am Wochenende auf drei (!) Seiten, den ganzen Mailverkehr zwischen Ringier-CEO Marc Walder und dem ehemaligen Berset-Sprecher Peter Lauener ausbreitete (persoenlich.com berichtete). Die einzige «investigative» Frage kam vom Schweizer Fernsehen, als sich Sportreporter Paddy Kälin nach den magistralen Selfies erkundete. Im Verlauf des späteren Nachmittags enervierte sich Berset gegenüber dem welschen Radio über die Publikation der E-Mails. Mehr nicht.

Heute – wenige Tage später – hat sich die Situation grundlegend geändert. Die Affäre ist mittlerweile zum landesweiten Thema geworden. Bundespräsident Berset hat zwar – wie gewohnt eloquent – das WEF in Davos eröffnet, trotzdem interessiert die Schweiz die E-Mail-Handhabung seines Ex-Sprechers mittlerweile mehr als seine globalen Exkurse. Was wiederum erstaunt, ahnte doch die ganze Branche, dass der Ringier-Verlag während der Coronazeit medial bevorzugt worden war und die unzähligen Primeurs vor den Bundesratssitzungen nicht ausschliesslich das Resultat harter Recherchen waren.

Trotzdem glaubt der Schreibende, dass Alain Berset, dieser Anti-Harry – der mit seiner Geschwätzigkeit seine Reputation und diejenige des englischen Königshauses beschädigt –, mit seiner Strategie (nichts sagen, nichts kommentieren und vor allem nichts wissen) durchkommen wird. Dass sich Berset – gemäss Schweiz am Wochenende – bei den Befragungen auch noch als Nicht-Zeitungsleser outet, macht ihn ähnlicher mit Ex-Bundesrat Ueli Maurer, als er vielleicht möchte. 

Berset, ganz cool, verweist – wie zuletzt im «10 vor 10» vom Dienstag – auf die Ausnahmesituation, die während Corona geherrscht habe. Getreu der Devise «Wo gearbeitet wird, geschehen auch Fehler». Für einen Grossteil der Bevölkerung dürfte dieses Argument nachvollziehbar sein, ob es der gerichtlichen oder juristischen Prüfung standhält, ist offen. Doch der Bundespräsident gibt sich staatsmännisch und legt – verbal jedenfalls – sein ganzes Vertrauen in die Justiz. Das macht Eindruck und erzielt mehr Wirkung als ein wütender Manniac. O-Ton Berset: «Ich bin mir Druck gewohnt». Elisabeth Kopp ist vor 34 Jahren wegen eines Telefonanrufes an ihrem Mann zurückgetreten. Dass ihr Berset wegen einer Salve von E-Mails an den Ringier-Verlag nachfolgen wird, ist praktisch ausgeschlossen.

Für den Ringier-Verlag ist die Sache schwieriger. Gerade die Borer-Affäre, die mittlerweile 20 Jahre zurückliegt, zeigt doch, dass es manchmal relativ lange dauern kann, bis die Reputation wiederhergestellt ist. Nüchtern betrachtet kann man ja einem Pressehaus beim besten Willen nicht vorwerfen, dass es gute Kontakte nach Bundesbern hat. Und dass Lauener ausgerechnet den Blick als Adressaten seiner Botschaften auswählte, spricht nicht gegen das Boulevardblatt und die Bedeutung, die ihm zugeschrieben wird.

Blicken wir in die Vergangenheit: Frank A. Meyer, publizistisches Aushängeschild des Ringier-Verlags, pflegte während vieler Jahre sehr engen Kontakt zu diversen Bundesräten wie Willi Ritschard, Hans Hürlimann, Adolf Ogi oder Flavio Cotti. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass der Schatten, den der ganze Skandal auf Ringier wirft, wie bei einem Salvador-Dalí-Bild am Ende grösser ist als der eigentliche Skandal selbst. Deswegen tönt der Titel des Tamedia-Kommentars «Was uns vom Blick unterscheidet» doch gar selbstgerecht. Es wäre in diesem Zusammenhang interessant, wer die wahren Quellen für die unzähligen Primeurs von Tamedia während der Pandemie waren.

Gerade bei der Crypto-Affäre, Ausgangspunkt der Ermittlungen des Sonderermittlers Peter Marti, wurden vornehmlich Tamedia-Journalisten befragt. Für Ringier-CEO Marc Walder ist die aktuelle Woche ein Déjà-vu: Genau ein Jahr nach Publikation des mittlerweile «weltberühmten» «Das-bleibt-unter-uns»-Videos durch den Nebelspalter erlebt er die 2.0-Version oder – um bei seinem Bild zu bleiben – die Metaverse-Version der ganzen Vorwürfe. Wie erkannte schon Karl Marx: die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Vielleicht ist hier der Ablauf umgekehrt. 


Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von persönlich.



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Kommentare

  • Beat Hirt, 18.01.2023 20:10 Uhr
    Als Bersets Vertrauter Peter Lauener gehen musste, gar für kurze Zeit ins Gefängnis gesteckt wurde, war niemand im hellwachen Schweizer Presseladen neugierig genug, die konkreten Gründe für den ungewöhnlichen Abgang zu finden.
  • Hans-Peter Rohner, 18.01.2023 10:14 Uhr
    Bundesrat Alain Berset ist ein Kommunikationstalent. Das hat er in seinen 11Jahren als Bundesrat immer dann vor allem bewiesen, wenn er besonders unter Druck war wegen irgendeiner Affaire. Ob das diesmal auch so gelingt? Ich habe da meine Zweifel. Von aussen entsteht der Eindruck, dass er seine Bundesrats-Kollegen nicht transparent informiert oder allenfalls sogar angelogen hat. Sollte dies die Mehrheitsmeinung im Bundesrat sein, kann er sich nur noch durch einen Abgang am Ende des Präsidialjahr ins nächste Leben retten. Bleibt er, wird er im Bundesrat so isoliert, wie Maudet einst in der Genfer Regierung. Ce n'est pas une experience a vivre pour un "sunnyboy" de la politique suisse. Wir dürfen gespannt sein!
  • Victor Brunner, 18.01.2023 08:20 Uhr
    Gute und sachliche Einordnung von Ackeret. Viel gekünstelte Aufregung, Hässig dreht voll durch: IP "Fall Berset rüttelt an Grundfesten der Schweiz" beschwört TAmedia die nicht vorhandene journalistische Überlegenheit, CH Media trommelt sich auf die Brust, für einmal der Erste mit einem Primeur, während Dorer von BLICK zur Lachnummer der Nation mutiert. Aufregung mit Ablaufdatum, mit oder ohne Berset, nächste Woche rennt wieder eine andere Sau durchs Land.
  • René Grossenbacher , 18.01.2023 05:54 Uhr
    Das Peinlichste an dieser Affäre ist, mit welcher Unverschämtheit sich die Beteiligten reinzuwaschen versuchen. Die beiden Chefs wollen von allem nichts gewusst haben, und die Redaktion versteckt sich hinter der Heiligen Kuh „Recherche“, als ob gezielte behördliche Indiskretionen etwas mit journalistischer Leistung zu tun hätten. Damit erweisen die Protagonisten - allen voran die beiden Ahnungslosen an der Spitze - dem Ansehen der Institutionen Politik und Medien einen Bärendienst.
  • Niklaus Herzog, 17.01.2023 23:21 Uhr
    Matthias Ackeret schreibt in seinem Kommentar zur Berset-Ringier-Affäre: "Für Ringier ist die Sache schwieriger. Es kann einen Moment dauern,, bis die Reputation wiederhergestellt ist." Die Frage, die sich hier stellt: hatte Ringier überhaupt je eine Reputation. Die Frage ist rhetorischer Natur.
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