03.12.2019

50:50-Initiativen

Wie Schweizer Medien Frauen sichtbarer machen wollen

Mehr Expertinnen sollen zu Wort kommen: Ringier, Rasch und SRF haben dazu Projekte lanciert. Was tun die anderen? Die NZZ passt die Stelleninserate an und «Watson» hat eigene «effizientere Massnahmen». Die «Republik» auch, sie kritisiert jedoch die Konkurrenz.
von Michèle Widmer

Im Rahmen der Debatte um die Gleichbehandlung von Mann und Frau beschliessen immer mehr Medien in der Schweiz konkrete Massnahmen. Letzte Woche haben Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz die Equal-Voice-Initiative lanciert. Indem die Medientitel der Verlage mehr Frauen zu Wort kommen lassen, soll für eine ausgewogenere Berichterstattung gesorgt werden. Eine Quote gebe es nicht, sagt Ringier-Finanzchefin und Initiantin des Projekts, Annabella Bassler, im Interview mit persoenlich.com. «Jede Redaktion treibt die Initiative – und zwar so, wie es titelspezifisch zu ihr passt», sagt sie. Laut Bassler stehen «alle Chefredaktionen dahinter» und sie würden dem Thema eine hohe Bedeutung zumessen.

Auch SRF ist vor kurzem mit einem vergleichbaren Projekt gestartet. «Chance50:50» heisst die im November unternehmensübergreifend lancierte Initiative, wie SRF-Sprecher Andrea Di Meo auf Anfrage sagt. SRF strebe damit die Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern bei Gästen und Expertinnen und Experten an. Die Teilnahme sei freiwillig, so Di Meo weiter. Redaktionen und Teams, die mitmachen wollen, bestimmen eine verantwortliche Person, die jeden Monat die jeweiligen Daten sammelt. Die Leitung des Projekts hat Patrizia Laeri inne.

Vorbild «50:50 Project» von BBC

Ringier, Rasch sowie SRF orientieren sich bei ihren Gleichstellungs-Initiativen an einem Projekt der britischen TV-Station BBC. Das «50:50-Project» wurde im April 2018 lanciert. Ein Jahr später kamen in 72 Prozent der BBC-Sendungen zur Hälfte Frauen zu Wort. Davor lag dieser Prozentsatz bei 27. Als Grundsätze gelten: Der tägliche Aufwand beläuft sich auf maximal zwei bis drei Minuten pro Redaktion. Und es gibt keine Kompromisse bei der Qualität. Zu Wort kommt die Person mit der besten Expertise, unabhängig vom Geschlecht.

Wie beurteilen andere Verlage und Medientitel in der Schweiz solche Initiativen? Und wie machen sie sich für die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien stark? persoenlich.com hat bei Tamedia, NZZ, CH Media, «Weltwoche», WOZ, «Republik» und «Watson» nachgefragt:



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«Wir setzen uns seit längerem mit unserer Berichterstattung über Frauen und Männer auseinander und dem Bild, das unsere Medien vermitteln. Im vergangenen Jahr haben wir unter anderem 700'000 Online-Kommentare ausgewertet, in diesem Jahr haben wir die Berichterstattung über alle gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf Bundes- und Kantonsebene untersuchen lassen, dies auch im Vergleich mit anderen Medien. In den nächsten Monaten sind weitere Schritte geplant. Wir sind davon überzeugt, dass wir als Medien die Aufgabe haben, einen Beitrag zu einer
ausgewogeneren Berichterstattung zu leisten und wollen auch ein Bewusstsein dafür schaffen.»







 

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«Eine grössere Sichtbarkeit von Frauen in ihren Medientiteln wie auch die Gewinnung von mehr Abonnentinnen gehören zu den strategischen Top-Prioritäten der NZZ-Mediengruppe. Diesbezüglich haben wir vor einiger Zeit eine langfristige, unternehmensweite Initiative mit zahlreichen Massnahmen angestossen, deren Resultate wir regelmässig messen. Eine Auswahl:

  • Seit einiger Zeit führt die NZZ regelmässig eine Blatt- und Online-Kritik mit profilierten Exponentinnen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft durch, deren Rückmeldungen in die redaktionelle Arbeit einfliessen.

  • Ende Oktober haben wir das neue «NZZ am Sonntag Magazin» lanciert, in dem auch neue, prägnante Stimmen von Frauen zu Wort kommen. Das Magazin wendet sich in erster Linie an ein jüngeres und weibliches Publikum.

  • Um die Sichtbarkeit von Frauen in Wort und Bild bei der der NZZ zu erhöhen, werden systematisch und Ressort-übergreifend mehr Porträts von Frauen bzw. Interviews mit Frauen realisiert.

  • Auch ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis nicht nur in den Redaktionen, sondern über sämtliche Unternehmensbereiche hinweg – gerade auch bei Kaderstellen – erachten wir als massgeblich, um eine grössere Sichtbarkeit von Frauen in unseren Medien zu erreichen: Bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden wurden diverse Massnahmen getroffen, um bewusst Frauen anzusprechen. Dabei geht es unter anderem um die Formulierung der Stelleninserate sowie Look & Feel der Jobs-Website.







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«Unsere Berichterstattung orientiert sich am Tagesgeschehen und ist geleitetet von relevanten regionalen, nationalen und internationalen Ereignissen – und zwar geschlechterneutral. Eine hohe Sichtbarkeit von Frauen ist uns dabei natürlich ein Anliegen, was wir im Tagesgeschäft und nicht im Rahmen einer wie auch immer gearteten Sonderaktion verfolgen.»








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«Die ‹Weltwoche› schaut primär auf die Leistung und nicht auf die Hautfarbe, Konfession oder Geschlecht. Sehr sichtbar ist zum Beispiel, die eben mit dem Liberal Award der Jungfreisinnigen ausgezeichneten Tamara Wernli. Sie erhält bei uns mit ihren brillanten Aufsätzen jede Woche eine der wichtigsten Seiten im Blatt.»



 




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«Um die Sichtbarkeit der Frauen in den Medien zu erhöhen, müssen die Mitarbeitenden auf verschiedenen Ebenen sensibilisiert aktiv sein. Die WOZ verfolgt verschiedene Ansätze:

  • Es gibt bei der WOZ keinen Chef und auch keine Ressortleiter. Die Frauen erhalten durch die partizipative und dynamische Arbeitsorganisation gleichberechtigte Mitsprache und Beteiligung an Entscheidungen.

  • Bei der WOZ bestimmen etwa gleich viele Frauen und Männer darüber mit, welche Inhalte in der Zeitung erscheinen und von wem und in welcher Form sie bearbeitet werden. Frauen sind bei der WOZ als Schreibende ebenso sichtbar wie Männer. Das Geschlechterverhältnis spiegelt sich auch in der Auswahl der Themen und Texte wieder. Bei Stellenbesetzungen ist die ausgeglichene Geschlechterverteilung ein vorrangiges Entscheidkriterium.

  • Die Redaktion achtet bei der Berichterstattung sehr darauf, dass Frauen in allen Texten und Themenbereichen eine bedeutende Stimme haben. Diese Sichtbarkeit beschränkt sich nicht auf die Publikation von Porträts oder Interviews von und mit Frauen. Die WOZ-Redaktion stellt systematisch die Frage: Gibt es auch eine Politologin, eine Kernphysikerin, eine Netzaktivistin, eine Verkehrsexpertin, eine Statistikerin oder eine Medienexpertin, die in einem Artikel eine Aussage einordnen kann? Dies erfordert oft etwas mehr Rechercheaufwand, gelingt aber meistens.»






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«Im Gegensatz zu Ringier gründen wir nicht einen weiteren, den gefühlt 50. Verein mit Marc Walder als Präsident, während Redaktionen und Geschäftsleitung fest in Männerhand sind, sondern arbeiten konkret daran, dass sich die unhaltbare Situation der Frauen in der Schweizer Medienbranche ändert – insbesondere und gerade auch in den Führungsfunktionen.

  • Wir monitoren den Anteil Frauen als Autorinnen und als Protagonistinnen in Geschichten monatlich und legen jährlich öffentlich Rechenschaft über dieses Monitoring ab.
  • Und vor allem, und das ist am Wichtigsten: Wir setzen 50:50 wenn immer möglich längst konsequent um, auch wenn wir noch nicht überall am Ziel sind.






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«Watson ist an der Basis wesentlich weiblicher als Nachrichten-Redaktionen, wie etwa bei SRF oder Ringier, die aus der linearen Tradition kommen. Deren Organisations- und Ressortstrukturen sowie Management sind historisch gewachsen völlig männlich geprägt. Watson hingegen hat 25 Prozent Frauen in Chefredaktion, 50 Prozent Frauen bei den Ressortleiterinnen, 66-Prozent Frauen im Bereich Social Media und sehr profilierte Autorinnen und Reporterinnen. Das wirkt sich sowohl auf das redaktionelle Programm als auch auf dessen Darreichungsformen über die verschiedenen Kanäle und damit auch auf die User aus. Diese ist gemäss NetMetrix Profile ebenfalls weiblicher, als diejenige anderer Medien. Wir halten Projekte wie Equal Voice oder 50:50 für gute Initiativen. Aber es ist effizienter, die Organisations-Strukturen von Grund auf so anzulegen, dass möglichst alle Bevölkerungsgruppen Vertreter*innen in der Redaktion haben.»

 



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