03.04.2022

Diaspora TV

«Wir leisten einen gesellschaftlichen Auftrag»

Seit einer Woche informiert Diaspora TV Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrer Muttersprache über das Leben in der Schweiz. Der Gründer und Chefredaktor des Senders, Mark Bamidele-Emmanuel, spricht im Interview über Tabuthemen, den Blick und SRG-Gebühren.
Diaspora TV: «Wir leisten einen gesellschaftlichen Auftrag»
Gründete 2018 den Websender Diaspora TV, der heute in 17 Sprachen sendet: Mark Bamidele-Emmanuel. (Bild: zVg)
Herr Bamidele, Diaspora TV sendet neu auch auf Ukrainisch (persoenlich.com berichtete). Was war Ihre Motivation?
Seit Ausbruch des Krieges kommen täglich Ukrainerinnen und Ukrainer in die Schweiz. Uns wurde schnell klar, dass diese Menschen Informationen brauchen, um sich in der Schweiz zurechtzufinden. Die Herausforderungen, vor denen Flüchtlinge stehen, sind immer dieselben. Wir konnten also von unserer bisherigen Erfahrung profitieren und das Programm innerhalb kurzer Zeit auf die Beine stellen.
 
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) informiert auf seiner Website auch auf Ukrainisch. Reicht das nicht?
Das Problem ist, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht wissen, dass sie dort Informationen finden. Wir bereiten die Informationen, die das SEM zur Verfügung stellt, in einem Videoformat auf und verbreiten sie auf ukrainischen Plattformen. Wir helfen den ukrainischen Flüchtlingen auch, wichtige Informationen untereinander weiterzugeben und sich mit jenen Ukrainerinnen und Ukrainern zu vernetzen, die schon länger in der Schweiz leben.
 
Worüber wollen Sie die neu angekommenen Menschen aus der Ukraine informieren?
Wir wollen sie über das Leben in der Schweiz informieren. Das Wichtigste ist, dass die Menschen wissen, was in der Schweiz läuft, welche Massnahmen der Bundesrat plant, wie sie Arbeit finden oder wie sie mit dem in der Ukraine begonnenen Studium in der Schweiz weitermachen können. Wir planen auch Talkshows zu gesellschaftlichen Themen, die für Ukrainerinnen und Ukrainer interessant sein könnten.
 
Zum Beispiel?
Was wir sicher thematisieren werden, ist häusliche Gewalt. Im Moment kommen fast nur Frauen und Kinder in die Schweiz. Wenn ihre Ehemänner und Väter irgendwann nachziehen, könnte es passieren, dass es in manchen dieser Familien zu Gewalt kommt. Wir wollen die ukrainische Community deshalb jetzt schon darauf sensibilisieren. Wir arbeiten daran zusammen mit dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung von Mann und Frau.
 
Wird der Krieg auch ein Thema sein?
Politik und Religion sind bei uns absolute No-Gos. Über diese Themen sprechen wir nie. Wir werden deshalb nicht darüber berichten, was in der Ukraine gerade passiert.
«Politik und Religion sind bei uns absolute No-Gos»
Das ukrainische Programm ging mit einer Gesprächsrunde an den Start. Wie waren die Reaktionen darauf?
Das Interesse war gross. Auf Facebook und YouTube haben etwa 1700 Menschen die Talkshow live mitverfolgt. Nach der Sendung haben uns Menschen angerufen und gefragt, wie sie helfen können.
 
Wer gehört zum Team im ukrainischen Programm?
Es sind Ukrainerinnen und Ukrainer mit journalistischer Erfahrung. Die meisten von ihnen sind erst kürzlich in die Schweiz gezogen. Olesia Tarasenko zum Beispiel war TV-Moderatorin in Kiew.
 
Wie haben Sie diese Journalistinnen und Journalisten gefunden?
Über das ukrainische Netzwerk in der Schweiz.
 
Und wie gross soll das ukrainische Redaktionsteam werden?
Wir haben sechs bis zehn Personen in jedem Sprachteam. So kann das, was an einem Tag aufgenommen wird, bis zum Folgetag produziert werden.

«Der Blick ist keine Konkurrenz für uns»

Auch der Blick hat vor einer Woche ein Programm auf Ukrainisch gestartet. Nimmt er Diaspora TV die Zuschauer weg?
Der Blick ist für uns keine Konkurrenz. Es ist kein Wettkampf, in dem wir mit anderen Medien um Zuschauer und Klicks ringen. Uns geht es um Solidarität mit den Menschen, nicht um Gewinn. Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich. Ausserdem berichtet der Blick über andere Themen als wir.
 
Sie haben Diaspora TV vor vier Jahren gegründet. Wie kam es dazu?
Es begann mit African Mirror TV. Ich habe den Sender gegründet, um Migrantinnen und Migranten aus Afrika auf Englisch und Französisch zu informieren. 2017 habe ich eine Medienkonferenz veranstaltet, zu der Medienschaffende mit einem Migrationshintergrund eingeladen waren. Dort habe ich meine Idee von einem Sender für eine grössere Migranten-Community vorgestellt. 2018 ging Diaspora TV an den Start.
 
Was hat sie dazu motiviert?
Meine persönliche Erfahrung. Als ich vor 20 Jahren aus Nigeria in die Schweiz kam, war es für mich schwierig, Informationen zu finden, die mir den Start in der Schweiz erleichtert hätten. Ich wusste: Wenn es mir so geht, muss es vielen anderen Migrantinnen und Migranten ähnlich gehen. Ich dachte mir, wenn es ein Problem gibt und ich keine Lösung finden kann – warum kann ich nicht selbst die Lösung sein?
 
Wie finanziert sich heute Diaspora TV?
Vor allem durch Aufträge von Dritten. Auch Privatpersonen und Stiftungen unterstützen uns finanziell.
 
Und der Bund?
Das Bundesamt für Gesundheit oder das Staatssekretariat für Migration unterstützen uns bei den jeweiligen Projekten. Wir bekommen aber keine Subventionen vom Bakom, obwohl wir einen gesellschaftlichen Auftrag leisten.
 
Inwiefern?
Ein Viertel der in der Schweiz lebenden Bevölkerung sind Ausländerinnen und Ausländer. Ein Teil von ihnen hat Mühe, die Nachrichten im Schweizer Fernsehen zu verstehen, weil sie fortgeschrittene Sprachkenntnisse erfordern. Diaspora TV bereitet wichtige Informationen einfach und verständlich auf. Das wäre ja eigentlich die Aufgabe des Staates – Informationen, die alle Bürgerinnen und Bürger betreffen, so zu vermitteln, dass sie auch tatsächlich alle verstehen.

«Ich wünsche mir, dass der Staat uns unterstützt»

Sollten Migrantinnen und Migranten nicht gerade Schweizer Medien nutzen, damit sie eine der Landesprachen lernen?
Sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund sehen regelmässig Fernsehprogramme in ihrer Muttersprache, obwohl sie Zugang zu Schweizer Medien haben. Der Unterschied zwischen den heimatsprachigen Sendern und Diaspora TV ist aber der, dass wir über das Leben in der Schweiz berichten. Die Sprache zu erlernen ist sehr wichtig, braucht aber Zeit. Informiert sein muss man aber vom ersten Tag an. Nur so können sich Menschen integrieren.
 
Was bedeutet es, integriert zu sein?
Integriert sein heisst vor allem, dass man versteht, wie der Staat funktioniert, die geltenden Gesetze und Regeln kennt und sie befolgt. Sprachkenntnisse sind sehr wichtig, aber sie sind nicht alles. Nicht alle Migrantinnen und Migranten, die die Landesprache beherrschen, sind integriert. Nehmen wir das Beispiel eines Kongolesen aus Genf. Er kann Französisch, schon bevor er nach Genf zieht. Ist er deswegen integriert? Die Sprache ist eben nur ein Element der Integration.
 
Anders als die fremdsprachigen Sender, die Sie angesprochen haben, läuft Diaspora TV nicht im Fernsehen. Warum?
Ich wollte, dass Diaspora TV auch im Fernsehen zu sehen ist, aber UPC, Swisscom und Salt haben bisher nicht auf unsere Anfrage reagiert.
 
Was denken Sie, weshalb?
Ehrlich gesagt, fällt es uns schwer zu verstehen, warum kein Interesse besteht. Aber wir machen einfach weiter und lassen uns nicht entmutigen. Wir sind überzeugt davon, dass wir gute Arbeit leisten. Wir legen grossen Wert darauf, dass die Informationen, die wir aufbereiten, verifiziert und für alle verständlich sind.
 
Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Diaspora TV?
Ich wünsche mir, dass der Staat versteht, dass wir einen wichtigen Beitrag zur Integration von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz leisten und uns in Zukunft unterstützt. Dann könnte das Team wachsen und wir könnten unser Angebot verbessern und ausbauen.

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