26.08.2018

Hochparterre

«Wir tanzen vergnügt in die kälteren Tage»

Feierlaune bei der Zeitschrift für Architektur und Design: Chefredaktor und Verleger Köbi Gantenbein blickt zufrieden auf die letzten 30 Jahre zurück. Ein Gespräch über flache Hierarchien, Tränen der Architektur und seine persönlichen Zukunftspläne.
Hochparterre: «Wir tanzen vergnügt in die kälteren Tage»
Der Verlag Hochparterre halte den sinkenden Werbeeinnahmen Fantasie entgegen und «tanze vergnügt in die kälteren Tage», sagt Gründer Köbi Gantenbein. (Bild: zVg.)
von Anna Sterchi

Herr Gantenbein*, herzliche Gratulation zum 30. Geburtstag von «Hochparterre». Wie feiern Sie das Jubiläum?
Ich habe kein eigenes Programm. Ich bin voll Karacho Teil des Festprogramms von «Hochparterre», das über das Jahr dauert. Es gab einen Tag der offenen Türe, der aus allen Nähten platzte. Das letzte Ereignis war das Redesign unserer Tageszeitung im Internet hochparterre.ch, die nun seit zwei Wochen läuft. Das nächste ist das Jubelfest in unserem Innenhof an der Ausstellungsstrasse 25 in Zürich am 30. August. Kommen Sie alle, es wird heiter! Und im November gibt es ein Jubelheft.

Kappenköbi


Wie hat sich die Architektur seit den Anfängen von «Hochparterre» verändert?
Die Landschaft ist stark unter Druck geraten. Jede Sekunde verschwindet ein Quadratmeter. Es wird viel gebaut, denn der Anspruch auf Raum pro Kopf nimmt zu und wir sind mehr Menschen. Nebst zahlreichen Tränen der Architektur gibt es etliche Bauherren, die Gutes wollen und etliche Architektinnen, die Gutes können.

«In die Zeitung schreiben heisst, in den Fluss zu spucken»

Wie wird denn heute gebaut?
Markant verändert hat sich das Bewusstsein und Können, vernünftig mit Energie im Haus umzugehen. Doch was wir da einsparen, hat die forcierte Mobilität schon lange verbraucht. Wir kritisieren in «Hochparterre» all das laut und in eleganten Worten. Aber in die Zeitung schreiben heisst, in den Fluss zu spucken.

Seit den Anfängen hat Ihr Verlag das Sortiment stark erweitert. Wieso?
Von der Zeitschrift allein, unserem Herzblatt, konnten wir nicht leben. Wir suchten nach weiteren Einkünften. Daraus entstand ein Geflecht vom Büchermachen, über Themenhefte, Denkwerkstatt bis zur Buchhandlung. Wir haben damit nicht nur unser finanzielles Fundament gestärkt, sondern auch viel Lust und Freude gewonnen. Denn alle Unternehmen müssen uns gefallen, sinnvoll und intellektuell anregend sein.

Wer liest eigentlich «Hochparterre» – nur Architekten?
Wir haben treue Leserinnen und Leser. Im Kern sind das die Täterinnen und Täter von Architektur, Design und Planung. Das sind gut 60 Prozent. Um sie herum befinden sich ihre Komplizen – also Fabrikanten, Bauherrschaften, Auftraggeber, Gemeindebehörden. Das sind rund 25 Prozent. Und schliesslich wir alle, die Opfer von Architektur, Design und Planung, machen gut 15 Prozent aus.

Von Prozenten zu absoluten Zahlen. Wie sehen Ihre Leserzahlen konkret aus?
Die Zeitschrift hat in den letzten Jahren recht stabil rund 76’500 Leserinnen und Leser, hochparterre.ch besuchen gut 30’000 Unique Users. Wir tun viel dafür, dass junge Leute aus den Hochschulen mit von der Partie sind. Auf dem Netz, natürlich, aber erstaunlich viele wollen auch das Heft in der Hand halten.

Im kürzlich erschienenen Jubiläumsfilm sprechen Sie von «Gleicher Lohn für alle», den Sie vor geraumer Zeit in der Redaktion eingeführt haben. Existiert diese Vorgabe noch heute?
Jawohl. Egalité ist die zweite der drei bürgerlichen Tugenden, und «Hochparterre» hat viel von ihr profitiert. Liberté und solidarité sind die zwei anderen, ebenso wichtigen. Gleicher Lohn für alle ist politisch richtig und ein Erfolgsrezept für Betriebswirtschaftler.

«Es gibt keinen Grund, warum ein Chef mehr verdienen soll als die anderen»

Und wie hoch sind die Löhne der Leute von «Hochparterre» konkret?
Wer bei «Hochparterre» 100 Prozent arbeitet, erhält 13 Mal 6400 Franken. «Hochparterre» ist profitorientiert. Der Gewinn geht zu einem kleinen, vertraglich fixierten Teil an die zwölf Aktionäre, die alle bei «Hochparterre» arbeiten, und zu einem grossen Teil als «Bärenfell» an alle. Dieses machte in den letzten 15 Jahren einen Jahreslohn für 100 Prozent um die 110’000 Franken aus.

Haben auch Sie als Chefredaktor den gleichen Lohn?
Ja, es gibt keinen Grund, warum ein Chef mehr verdienen soll als die anderen. Von der jungen Kollegin bis zu mir, dem älter werdenden Verleger und Chefredaktor, erhalten alle gleich viel. Dazu kommen alle drei Jahre zwei Monate bezahlter Bildungsurlaub zu den fünf Ferienwochen.

«Wir haben uns immer wieder neu erfunden», halten Sie im Film fest. Welches war die wichtigste Neuerfindung in den letzten 30 Jahren?
Die Befestigung von Liberté, égalité et solidarité im Selbstbewusstsein, im Gedächtnis und in der Zuversicht der Firma war zentral. Dann: Wir begannen als Ledige ohne Kinder, heute haben Hochparterris über zwanzig Kinder – wir sind eine kinder- und familienfreundliche Firma geworden. Schliesslich: Wir lebten in den Tag hinein und haben erfunden, wie wir erfolgreich wirtschaften und guten Journalismus machen können. Das führte dazu, dass ich 2013 den Zürcher Journalistenpreis für Leben und Werk erhalten haben (persoenlich.com berichtete).

«Die Schwarmintelligenz ist eine schöne Intelligenz»

Wie wird sich «Hochparterre» in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Der Verlag Hochparterre wird als bodenständige, demokratisch verfasste und geldbesorgte Firma gut funktionieren, Konflikte bewältigen und nie die Fantasie als wichtigstes Produktionsmittel verlieren.

Im Film sprechen Sie und Mitgründer Loderer über Ihre «harmonische Ehe» und wie gut Sie beide zusammengearbeitet haben. Wie konnten Sie die Lücke nach Loderers Abgang 2010 füllen?
Ich blieb allein zurück. Zusammen mit den Hochparterris ist ein familiäres, gut und effizient funktionierendes Kollektiv entstanden, in dem ich ab und zu das letzte Wort führe. Und oft gebe ich mich dem Ton des Kollektivs freudig hin, denn die Schwarmintelligenz ist eine schöne Intelligenz.

 

Gantenbein_Loderer Keystone Mirjam Wanner_im Büro 2001

In nicht allzu langer Zeit erreichen auch Sie das Pensionsalter. Wie geht es bei Ihnen weiter?
Ich schaue heiter ins Abendrot, die Hochparterris in der Morgen- und Mittagssonne erfinden die Firma zurzeit neu. Das geht nicht ohne Melancholie und Wehmut. Ich bleibe dem Verlag Hochparterre treu, solange ich die Lust nicht verliere, gesund bin und mich getragen fühle. Ich verändere aber meine Rolle laufend.

Inwiefern?
Ich habe schon heute mehr Zeit für mich, ich lese und laufe mit meiner Frau Luci durchs Gebirge. Auch bin ich ein Musikant, der viel übt, damit er in seiner Kapelle mithalten mag.

Musikant

Zu guter Letzt: Was wünschen Sie Ihrem «Herzblatt» zum 30. Geburtstag?
Täglich viel Fantasie, genügend Einkommen und gutes Gelingen bei der Neuerfindung von Hochparterre mit Köbi in einer neuen Rolle. 



* 1988 hat der Architekt Benedikt Loderer zusammen mit dem Köbi Gantenbein «Hochparterre», die Zeitschrift für Architektur, Planung und Design, im Verlag Curti Medien gegründet. 1991 übernahmen sie die Zeitschrift. Seit 1996 ist Gantenbein Chefredaktor. Heute ist er auch Verleger und Mehrheitsaktionär.

Nebst der Monatszeitschrift publiziert der Verlag Hochparterre mittlerweile Themenhefte, das Fachjournal «hochparterre.wettbewerbe» sowie Bücher aus der Edition Hochparterre. Weiter betreibt der Verlag das Nachrichtenportal hochparterre.ch, hat eine Denkwerkstatt, ein Reisebüro und die Buchhandlung Hochparterre Bücher in Zürich. Dieses Jahr feiert «Hochparterre» das 30-Jahr-Jubiläum.

 



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Kommentare

  • Andreas Konrad, 27.08.2018 12:03 Uhr
    Gratulation zum grossen Geburtstag. Die Rubrik «Architekturkritik» würde noch ein wenig mehr Pfeffer unterm Hintern vertragen. Was da zum Teil alles «bespielt» und «sublim eingefügt» wird! Und sich am Schluss als belangloser Epigone der trostlosen, protestantischen «Göhner» -Blöcklis entpuppt, wenn es denn einmal steht. Von verkopften Jurys schöngeredet, in Wahrheit auf für den Laien erkennbar bloss belanglose Wegwerfarchitektur. Für die nächsten 100 Jahre: Mehr Mut zum Schönen, Vordergründigen, denn schon Robert Venturi meinte: «Less is more ? Less is a bore !»
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