05.02.2004

Zürcher Landzeitungen zeigen Tagi die kalte Schulter

Der Tages-Anzeiger will wachsen. Im Visier sind daher die Lokalzeitungen der Region Zürich. Doch wie stehen Landbote, Zürichsee-Zeitung, Zürcher Oberländer und Zürcher Unterländer der beabsichtigten Invasion gegenüber? Wie beurteilen die Titel die Möglichkeit einer Kooperation? Haben sie die Angelegenheit mit Tamedia-CEO Martin Kall besprochen? Und welche Rolle spielt die Tamedia-Konkurrentin NZZ? -- "persoenlich.com" hat nachgefragt:
Zürcher Landzeitungen zeigen Tagi die kalte Schulter

Lothar Dostal hatte wohl nicht seinen besten Tag. "Das ist Spekulation, keine Recherche!", blaffte der Geschäftsleiter des Winterthurer Landboten auf die Frage, welche Regionalmarkt-Strategie die Tamedia wohl hege. "Woher soll ich das wissen?"

Immerhin ist Dostal mit seiner Unkenntnis nicht allein. Klar ist, dass der Tages-Anzeiger zum langfristigen Überleben wachsen muss. Bekannt ist weiter, dass der Tagi auf die "regionale und lokale Berichterstattung für das Millionen-Zürich" setzen will -- zumal der Marktanteil im Kanton Zürich lediglich 35 Prozent beträgt. Wie sich das Traditionsblatt aber im Regionalmarkt ausbreiten möchte, ist unklar.

So haben denn Hypothesen Konjunktur: Der Tagi wolle die Konkurrenz mit einer verstärkten Lokalberichterstattung in die Knie zwingen, kolportieren die Einen; Tamedia suche Kooperationen mit den Landzeitungen, berichten andere; 20 Minuten werde zum Tamedia-Rammbock, glauben Dritte -- beinahe ist man versucht, Tamedia-CEO Martin Kall einer bewussten Verwirrungsstrategie zu verdächtigen.

Wie dem auch sei, die "Lokalfürsten" von Zürcher Ober- und Unterländer, Zürichsee-Zeitung und Landbote geben sich vom Säbelrasseln der Zürcher Werdstrasse wenig beeindruckt. "Die Tamedia bereitet mir keine schlaflosen Nächte", meint etwa Theodor Gut, VR-Präsident der Zürichsee Medien AG. "Wir beschäftigen insgesamt fünfzig Lokal- und Regionalredaktoren. Uns bei der Berichterstattung zu schlagen, dürfte aufwändig werden." Peter Edelmann, Direktor des Zürcher Oberländer, pflichtet bei: "Ich habe keine Angst. Dazu sind wir in der Region viel zu stark verankert."

Entsprechend desinteressiert sind die Lokalblätter an einer Kooperation mit dem Tagi. Zwar haben offensichtlich Gespräche mit Martin Kall stattgefunden, wenn auch nur "informell an Anlässen" oder "Smalltalk-mässig am Rande von Sitzungen", wobei Erland Herkenrath, Geschäftsleiter des Zürcher Unterländer, immerhin bestätigt, dass die üblichen Kontakte zwischen Verlegern im vergangenen Jahr auf Initiative der Tamedia zugenommen hätten.

Eine konkrete Zusammenarbeit mit dem Tages-Anzeiger kann sich derzeit indes niemand vorstellen. "Im Moment sehe ich da keine Möglichkeiten", so Lothar Dostal. 2Unsere Zeitungen haben grundsätzlich verschiedene Ausrichtungen." Theodor Gut empfindet die Frage nach Kooperationen als "hypothetisch", und Peter Edelmann bezeichnet die Idee, der Zürcher Oberländer könnte den Mantelteil des Tagi übernehmen, gar als "Hirngespinst" und "illusorisch".

Auch Erland Herkenrath meint: "Auf diese Idee kann man nur kommen, wenn man unsere Zeitung nicht richtig kennt." Der Zürcher Unterländer konzentriere sich auf die Region, der Rest werde weitgehend von der SDA übernommen. "Das ist am kostengünstigsten." Selbst wenn der Tagi seine redaktionellen Inhalte umsonst abgäbe, würde der zusätzliche Umfang höhere Druckkosten verursachen. Zudem wolle das Blatt gar keine nationale Stimme sein. "Man muss dem Leser nur bieten, was er wirklich sucht.", so Herkenrath. Und diese wünschten angesichts einer Leserschafts-Überschneidung mit den grossen Tageszeitungen von sechzig Prozent bestimmt nicht mehr Inhalte.

Aber auch bezüglich der Anzeigen macht ein Zusammengang mit der Tamedia für Herkenrath keinen Sinn: "In unserem Stammgebiet haben wir bereits alle in Frage kommenden Inserenten."

Das manifeste Desinteresse der Landzeitungen am Tages-Anzeiger drückt sich auch in der starken Kooperation Zürichsee-Zeitung mit dem Zürcher Unter- und Oberländer aus. Seit 1990 betreiben die drei Verlage gemeinsam das Druckzentrum Oetwil am See, Anfang Jahr wurden die Zusammenarbeit bis 2012 verlängert und 25 Millionen Franken für zwei neue Rotationsmaschinen gesprochen. "Wir hätten diesen Vertrag nicht abgeschlossen, wären wir nicht der Auffassung, dass wir einen gemeinsamen Weg ohne Tamedia finden.", so Theodor Gut. Die Kooperation der drei Häuser umfasst neben dem Druck auch den Vertrieb und die Abonnements-Verwaltung. Ausserdem werden vereinzelt Artikel ausgetauscht. "Im redaktionellen Bereich wäre unter Umständen noch etwas zu machen", meint Peter Edelmann, doch stehe das derzeit nicht zuoberst auf der Traktandenliste.

Und wie stellt sich die Neue Zürcher Zeitung als Konkurrentin der Tamedia zur angepeilten Expansion? Immerhin pflegt auch die Falkenstrasse eine Regionalstrategie und ist in der Vergangenheit bereits in Luzern und in St. Gallen in die Bresche gesprungen. Ausserdem stehen die eher traditionell positionierten Landzeitungen der bürgerlichen NZZ näher als dem Mitte-links-Tagi. Beat Lauber, Leiter Regionalzeitungen der NZZ, sagt: "Ich gehen davon, aus dass die Landverleger autonom bleiben und ihre eigenen Stärken gemeinsam ausspielen werden." Die NZZ sei jedenfalls für "sinnvolle Kooperationen jederzeit bereit". Und wenngleich eine Abwehrstrategie gegen die Tamedia zwischen NZZ und Landzeitungen bisher noch nicht als offizielles Traktandum behandelt worden sei, so werde der Kontakt doch gepflegt.

Das ländliche Bollwerk wirkt solide. Um es aufzubrechen, wird Tamedia hartes Gerät schmieden müssen. Ob es den Tagi in zehn Jahren noch geben werde, wagt von den Befragten denn auch niemand zu prophezeien. "Ja -- wenn das Blatt sein Kerngebiet, die Stadt Zürich, besser pflegt.", meint etwa Peter Edelmann. "Warum nicht?", so Lothar Dostal neckisch, um dann zu belehren: "Die eigentliche Frage lautet, ob es das Blatt noch in der gleichen Form geben werde."


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