27.04.2014

François Gross

Der Grandseigneur

Der welsche Journalist und langjährige Chefredaktor der Freiburger Tageszeitung "La Liberté" gilt in der französischsprachigen Schweiz als Institution. Am Freitagabend wurde François Gross in Bern im Rahmen der Verleihung der Schweizer Medienpreise für Lokaljournalismus mit dem Lifetime Achievement Award ausgezeichnet. "persönlich" hat den 83-jährigen Preisträger in Freiburg getroffen und sich mit ihm über de Gaulle, Blocher, Meienberg, die Tamedia, den Vatikan und regierungsfreundliche Journalisten unterhalten.
François Gross: Der Grandseigneur

Herr Gross, Sie wurden am Freitag für Ihr Lebenswerk mit dem Lifetime Achievement Award der Fondation Reinhardt von Graffenried ausgezeichnet (persoenlich.com berichtete). Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Ich bin sehr erfreut über diese Ehre. Vor allem für einen welschen Journalisten ist es aussergewöhnlich, dass er einen solchen Preis in der deutschen Schweiz erhält. Als ich in der Jury zur Verleihung des Preises für Lokaljournalismus sass, habe ich viele Veranstaltungen dieses Berner Preises besucht. Charles von Graffenried hat mich immer beeindruckt. Ich war auch vor zehn Jahren dabei, als der damalige Justizminister Christoph Blocher im Landesmuseum sprach - und die Romands aus Protest den Saal verliessen.

Sie gingen mit?
(Lacht.) Selbstverständlich. Wir Romands fühlten uns durch die Einladung Blochers provoziert.

Sie gelten in der Romandie als journalistische Institution. Wie erreicht man diesen Status?
(Lacht.) Keine Ahnung. Es ist auch nicht so, dass ich mich als "Denkmal" fühle. Höchstwahrscheinlich hatten die Journalisten früher einfach mehr Gewicht als heute. Als Romand registriere ich mit grosser Besorgnis, dass wir früher eine viel stärkere Beziehung zu unseren Deutschschweizer Kollegen hatten als die jetzige Generation. Das galt aber auch in der umgekehrten Richtung.

Woran liegt es?
Ich weiss es nicht. Man kann aber nicht dauernd über den Röstigraben schreiben und dabei vergessen, dass auch innerhalb unserer Branche ein solcher Graben besteht. Ich hatte beispielsweise immer einen guten Kontakt zu Niklaus Meienberg, der hier in Freiburg studiert hat. Ein guter Freund, Hermann Bürgi, der leider vor wenigen Wochen gestorben ist, hatte immer die unterschiedlichsten Leute an einen Tisch geladen. Dort war oftmals auch Niklaus Meienberg dabei. Wir haben viel diskutiert und gegessen, aber noch mehr getrunken. Das gibt es heute nicht mehr.

Gleichzeitig besitzt Tamedia mit Edipresse den grössten Verlag der Romandie.
Das ist für das Welschland nicht gut. Das Zürcher Management meint, es müsste den Romands seine Meinung und seine Mentalität aufdrücken. Das kommt hier nicht gut an. Ringier hat mit seinen Romandie-Aktivitäten viel mehr Sensibilität bewiesen. Ich hoffe nur, dass sie diese Sensibilität auch bei "Le Temps", die neu vollständig zu Ringier gehört, anwenden werden. Ich vertrete immer noch die Ansicht, dass eine Zeitung am selben Ort, an dem sie produziert wird, auch gedruckt werden soll. Obwohl ich weiss, dass dies heute oftmals nicht mehr möglich ist.

Konsumieren Sie überhaupt Deutschschweizer Medien?
Ja, ich lese regelmässig die "NZZ am Sonntag", die mir am Sonntag direkt vor meine Wohnung gelegt wird. In einem Freiburger Café liegen auch die "NZZ" und die "Weltwoche" auf. Daneben nutze ich das Internet. Nur für Facebook oder Twitter bin ich zu alt (lacht).

In Ihrem Selbstverständnis spielte der katholische Glaube immer eine grosse Rolle.
Das stimmt. Ich habe mich nie als katholischen Journalisten verstanden, aber als einen Katholiken, der Journalismus ausübt. Das ist ein wesentlicher Unterschied, doch ich halte die Ideale des Katholizismus sehr hoch. Ich habe das Gymnasium in Saint-Maurice und in Freiburg besucht. Meine Mutter war ursprünglich Protestantin, nach ihrer Heirat ist sie aber konvertiert. Trotzdem drückte ihre protestantische Erziehung immer durch.

Wie erleben Sie den jetzigen Papst?
Sehr gut. Ich hoffe nur, dass er seine Ankündigungen auch in die Realität umsetzen kann.

In welchem Milieu sind Sie aufgewachsen?
Mein Vater war Richter in Lausanne. Er war der Erste in unserer Familie, der Akademiker wurde. Ich selber habe Politikwissenschaft an der Universität Lausanne studiert. Später, als ich als Redaktor bei der "Gazette de Lausanne" gearbeitet habe, wurde ich immer wieder als Sohn meines Vaters angesprochen. Das ärgerte mich. Ich realisierte, dass ich es als eigenständige Persönlichkeit in Lausanne sehr schwer haben würde. Schlussendlich war dies einer der Gründe, warum ich sehr zufrieden war, als ich als Frankreichkorrespondent nach Paris geschickt wurde.

Sie erlebten dort die Ära von General de Gaulle.
Das war eine faszinierende Zeit, obwohl sie wirklich weit weg ist. Ich war des Öfteren im Elysée-Palast eingeladen und konnte den General aus nächster Nähe beobachten. Das war sehr faszinierend, obwohl de Gaulle nie mit uns Journalisten gesprochen hat. Wenn er ein Interview gab, war es nur für die ganz grossen Zeitungen, wie beispielsweise die "New York Times". Damals war Frankreich wirklich noch eine Weltmacht. Es stimmt mich traurig, wenn ich sehe, wie das Land heute wirtschaftlich am Abgrund steht.

Warum sind Sie in die Schweiz zurückgekehrt?
Mein damaliger Chefredaktor fand, dass ich zu teuer sei. Doch ich hatte bereits eine Familie mit zwei kleinen Kindern, sodass ich in die Schweiz zurückkehren musste. Ich hätte auch nach Genf zur "La Tribune de Genève" gehen oder einen Job bei der Bundesverwaltung übernehmen können. 1965 wechselte ich zum Fernsehen. Ich war in Zürich für die welsche "Tagesschau" zuständig, welche im gleichen Studio im Zürcher Seefeld wie die "Tagesschau" der Deutschschweizer und der Tessiner produziert wurde. Der Bundesrat erhoffte sich damit wohl, das Fernsehen und seine Nachrichtensendungen besser im Griff zu haben. Höchstwahrscheinlich fürchtete er sich vor der Aufsässigkeit der Romands (lacht).

War Zürich ein Schock für Sie?
Überhaupt nicht. Ich kam direkt in die Achtundsechzigerjahre hinein, in denen aus dem verschlafenen Zürich eine Weltstadt wurde. Die Frauen trugen plötzlich Minijupes, auch sonst war alles in Bewegung. Ich mag mich gut erinnern, wie ich die Globus-Krawalle für das Fernsehen kommentierte. Trotzdem blieb ich nicht nur in Zürich, ich wollte die Deutschschweiz aus verschiedenen Perspektiven kennenlernen. Ich setze mich heute noch gerne in den Zug, nehme ein Buch und fahre irgendwohin. Dank meines Generalabos kann ich in der ganzen Schweiz herumreisen. Sehr gut gefällt mir das Ufer des Bodensees, das weitaus weniger bebaut ist als der Lac Léman.

Verstehen Sie sich als Achtundsechziger?
Nein, dazu war ich damals schon zu alt. Aber dank der Achtundsechziger-Bewegung wurden viele eingerostete Strukturen aufgebrochen. Und das ist doch sehr positiv.

Haben Sie sich beim Fernsehen wohlgefühlt?
Ehrlich gesagt, nein. Ich bin kein Mann des Fernsehens. Ich habe einmal erfahren, dass ein Freund seinem Kind damit drohte, es müsse François Gross im Fernsehen anschauen, wenn es nicht schlafen gehen würde (lacht). Sie sehen, deswegen habe ich das Angebot, Chefredaktor von "La Liberté" in Feiburg zu werden, sehr gerne angenommen.

Sie haben aus "La Liberté" eine Zeitung gemacht, die weit über die Grenzen von Freiburg hinaus auf grosse Anerkennung stiess. Wie haben Sie das gemacht?
"La Liberté" ist eine katholische Zeitung, wurde 1871 gegründet und gehört heute noch den Schwestern von Saint-Paul. Als Erstes habe ich sie aus den Fesseln der CVP gelöst und habe versucht, aus ihr eine unabhängige und liberale Zeitung mit katholischem Fundament zu machen, was mir auch gelungen ist.

Das ging sicher nicht ohne Nebengeräusche?
Freiburg ist eine sehr kleine Stadt, in welcher ein Zugezogener sehr intensiv beobachtet wird. Vor allem, wenn er die Zeitung auf den Kopf stellt. Doch dies war notwendig, wollten wir auf dem Lesermarkt weiterhin Erfolg haben. Für mich war wichtig, dass ich trotz meiner Lausanner Herkunft in Freiburg sesshaft wurde. Mein Nachfolger – ein Fernsehjournalist – pendelte am Wochenende immer nach Zürich. Das kam hier nicht so gut an. Meine Vorgänger mussten jeweils im Vatikan zur Blattkritik antraben. In Freiburg galt die "Liberté" lange als die "Prawda des Bischofs". Ich mag mich noch gerne an den Aufruhr erinnern, den es gab, als ich einen Artikel, der uns vom Bischof zugestellt worden war, aus dem Blatt nahm. Doch letztendlich konnte ich mich durchsetzen. Trotz eines Schiedsgerichtes, das einberufen wurde.

Waren Sie ein strenger Chef?
Man sagt mir eine natürliche Autorität nach. Doch ich habe immer nach journalistischen Kriterien gehandelt. So habe ich mich gegen einen Politredaktor gestemmt, der gleichzeitig auf einer Liste der Marxistisch-Leninistischen Partei kandidierte. Meiner Meinung nach tangierte dies seine Unabhängigkeit bei der Berichterstattung.

Für Marxismus-Leninismus war das katholische Freiburg ein gutes Pflaster.
(Lacht.) Daniel Vasella ist hier aufgewachsen. Als Schüler war er in der marxistisch-leninistischen Schülerorganisation Cercle Gracchus aktiv. Das hat sich später aber geändert.

Warum haben Sie 1990 zum Radio gewechselt, um Chefredaktor von Radio Schweiz International zu werden?
Ich wollte nochmals etwas Neues versuchen. Gleichzeitig wurde ich Präsident der Schweizer Sektion der Reporter ohne Grenzen, die ich mit gegründet habe. Die Tätigkeit beim Radio gefiel mir sehr gut, obwohl ich mich immer über die sehr langen Sitzungen geärgert habe. Gleichzeitig war Radio Schweiz International ein sehr schwerfälliger Betrieb, weil wir während 24 Stunden die gleichen Nachrichten ausstrahlten. Aufgrund unseres grossen Sendegebietes waren wir nur wenig flexibel. Alles war ein Politikum: So hatten wir einen Redaktor für den arabischsprachigen Raum eingesetzt, der – wie wir feststellen mussten – sehr politisch war. Dessen Versetzung hat uns sehr viel Geld gekostet.

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie den heutigen Journalismus betrachten?
Die heutigen Journalisten sind viel zu regierungsgläubig. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die Zeitungen möglichst viele Leser erreichen wollen und nicht mehr – wie früher – auf eine bestimmte Zielgruppe fokussieren. Vielleicht ist man heute auch nicht mehr so streitlustig wie früher. Viele Skandale werden heute kurzfristig aufgebauscht und sind am nächsten Tag bereits wieder vergessen.

Sie sprechen ja wie Roger Köppel.
(Lacht.) Die "Weltwoche" ist journalistisch gut gemacht, nur trifft sie nicht meine politischen Ansichten.

Aber kritisieren Sie konkret?
Ich hätte die Finanzgeschäfte von Johannes Schneider-Ammann oder die Einflussnahme der schwedischen Regierung auf den Gripen-Verkauf viel intensiver begleitet. Das sind doch die wahren Skandale.

Damit ist das letzte Stichwort gegeben: Wie haben Sie die Abstimmung vom 9. Februar empfunden?
Es wird sehr schwierig für die schweizerische Aussenpolitik, ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren.  

       

Interview: Matthias Ackeret // Fotos: Marc Wetli

Das Interview erschien erstmals in einer "persönlich"-Sonderausgabe zum Schweizer Medienpreis. 


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren