26.01.2006

"Das WEF ist in einem gewissen Sinne ein Opfer des eigenen Erfolgs"

Im Vorfeld des Treffens der Wirtschafts- und Politelite in Davos war in den Medien vor allem vom Besuch des Glamour-Paares Jolie & Pitt zu lesen. Ansonsten interessierte sich die Presse kaum für die wirtschaftspolitischen Debatten am WEF. Verkommt das Wirtschaftsforum zum Politshow-Spektakel? Roman Geiser, Geschäftsführer von Burson-Marsteller, nimmt auf "persoenlich.com" Stellung. Der Experte in Sachen CEO Reputation Management hält das WEF nach wie vor für ein "globales Ereignis".
"Das WEF ist in einem gewissen Sinne ein Opfer des eigenen Erfolgs"

Herr Geiser, Mit Angelina Jolie und Brad Pitt reisen dieses Jahr Gäste nach Davos, die vor allem die People-Journalisten interessieren. Hat das WEF an Ernsthaftigkeit verloren?

Die Meinung der Dufourstrasse allein macht die Bedeutung des WEF nicht aus. Das WEF ist vielmehr eine Plattform, wo ernsthafter Austausch stattfindet. Dass gewisse Medien in erster Linie am Glamourfaktor eines WEF Interesse haben, ist nachvollziehbar. Er wirft auch ein Licht darauf, wie die Wirtschaft popularisiert wird. Das WEF ist in einem gewissen Sinne auch Opfer des eigenen Erfolgs. Es gehört für viele Wirtschaftsführer schon fast zur Pflicht, in Davos zu sein und ergo auch für alle Formen der Medien.

Früher aber verzichtete man darauf, Filmsternchen nach Davos zu holen…

Auch Angelina Jolie kommt mit einer Mission nach Davos. Das WEF ist ja für sie als UN-Botschafterin durchaus die richtige Plattform. Dass man es aus einer gewissen Mediensicht schätzt, wenn die schwangere Jolie mit Brad Pitt nach Davos reist, ist eine andere Geschichte. Die Mission von Jolie in Davos bleibt aber eine sehr ernsthafte.

Trotzdem: Auch UBS-Chef Marcel Ospel hat den Eindruck, dass sich am WEF "zu viele Polit-Show-Elemente eingeschlichen hätten". Teilen Sie diese Sichtweise?

Für einen Teil der medialen Berichterstattung trifft diese Aussage durchaus zu. Es stimmt auch, dass das WEF eine Grossveranstaltung mit allen entsprechenden Nebeneffekten geworden ist. Gleichzeitig bestehen am WEF viele Formen des direkten Austausches. Ohne Rampenlicht, ohne Show, ohne Glamour. Gerade dieser Austausch wird von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr geschätzt und ist letztlich der Grund des Zeitinvestments in Davos.

Aus welchem Antrieb kommen denn die Mächtigsten der Welt nach Davos?

Provokativ ausgedrückt: Das WEF ist eine Zeitkondensierungsplattform. Man kann innerhalb einer Woche sehr viel erledigen, was sonst mit sehr viel Reiseaufwand verbunden wäre. Eine im vergangenen Jahr von Burson-Marsteller durchgeführte Umfrage ergab, dass die Teilnehmer am WEF schätzen, Personen in gleicher Funktion zu treffen. Da eine hoch dekorierte Schar teilnimmt, besteht entsprechend auch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Anlässe wie das WEF sind letztlich Plattformen für Firmen und deren CEOs, um ihre Leadership-Positionen umzusetzen und auch innert kurzer Zeit über die Medien Reputationsaufbau wahrzunehmen. Zugleich können sie innerhalb von drei bis vier Tagen sehr viele Personen treffen und ihr Netzwerk aufbauen und pflegen.

Wie sehr ist es eine Image-Frage, nach Davos zu kommen?

Ich glaube nicht, dass die Imagefrage im Zentrum steht, sondern vielmehr der Effizienzgewinn und die Nutzung dieser hervorragenden Plattform für den Austausch. Für Vertreter der Top-Exekutive-Liga der weltweit grössten Unternehmen sowie der führenden Politiker der Welt ist das WEF effektiv vor allem eine gute Plattform für deren Themen und Botschaften.

Wie privat ist der Debattierclub WEF noch, wenn unter den Teilnehmern jeder fünfte ein Journalist ist?

Ein Teil des WEF wurde sicherlich stärker öffentlich. Das Interesse an den behandelten Themen, an der Wirtschaft und am Dialog zwischen Politik und Wirtschaft ist gewachsen, so dass es entsprechend auch einen medialen Spiegel findet. Weiter gibt es am WEF mittlerweile eine ganze Reihe von Nebenveranstaltungen, wo die von den Firmen gewünschte Privatsphäre gewährleistet wird. Aber es ist schon so: In den Anfängen war das WEF viel stärker ein privates Get-together der führenden Leute. Heute kommen die Firmen mit ganzen Trossen nach Davos, mit grossen Organisationen und Events darum herum. Auch das ist eine Folge des Erfolgs.

Das Teilnehmerfeld aus Politik und Wirtschaft ist dieses Jahr nicht mehr ganz so grossartig wie auch schon. Könnte man sagen, dass sich das WEF auf dem absteigenden Ast befindet?

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das WEF eher wieder stärker zurück zu seinen eher wirtschaftlichen Wurzeln geht. Zugleich aber zeigte sich schon bei der Eröffnung dass auch dieses Jahr hochkarätige Gäste dabei sind: Deutschlands Kanzlerin, Pakistan ist mit seinem Präsidenten vertreten, der Irak mit seinem Premierminister. Gemessen an der Frage, ob nun der US-Präsident Bush nach Davos kommt oder Tony Blair, mag das Teilnehmerfeld der Politik auch schon berühmter gewesen sein. Unter den Wirtschaftsführern aber ist Davos eine Plattform, die unabhängig davon geschätzt wird.

Inwiefern hat sich das Agenda-Setting des WEF im Vergleich zu früher verändert?

Es stehen wieder stärker wirtschaftspolitische Fragen im Zentrum. Globale Entwicklungen, wie sie in den 90-er Jahren im Zentrum standen, sind heute weniger im Fokus. Zurück zu den Wurzeln heisst dabei für mich auch, dass man sich stärker den wirtschaftlichen Entwicklungen zuwendet, etwa in China oder Indien. Das sind Themen, die vor allem Wirtschaftsführer stark interessieren.

Abschlussfrage: Die Berichterstattung der Presse über das WEF hat in diesem Jahr abgenommen. Macht die Schwäche der Antiglobalisierungsbewegung dem Weltwirtschaftsgipfel zu schaffen?

Mit dem Fehlen der diskursiven Explosion im Sinne von Gegenveranstaltungen und Demonstrationen, nimmt natürlich die mediale Attraktivität des Anlasses ab. Man ist auch hier auf dem Weg zurück zu den Wurzeln. Die heutige thematische Ernsthaftigkeit ist für die Medien schwieriger aufzubereiten und sicherlich weniger sexy. Es ist aber falsch, diese Frage nur aus dieser schweizerischen Optik -- und hier dominierte in den letzten Jahren tatsächlich die Frage der Gegendemonstrationen -- zu beurteilen. Das WEF ist ein globales Ereignis. Entsprechend muss auch die Medienberichterstattung global beurteilt werden.



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