21.04.2011

"Die Zeit der leichten Pointe und der übertriebenen Hübschheit in der Werbung geht zu Ende"

Zum dritten Mal macht Kuoni statt mit herkömmlichen Werbekampagnen mit seinem Brand Report auf sich aufmerksam. Im aufwendigen Produkt steckt das Herzblut des Marketingchefs Remo Masala, der sich mit renommierten Denkern nach Venedig zurückgezogen hat, um die Reisegewohnheiten der Zukunft zu erforschen. "persoenlich.com" hat sich mit ihm über die Kommunikationsstrategie der Traditionsmarke, Sinn und Unsinn des Reisens sowie das ehrgeizige Projekt "A better tomorrow" unterhalten. Das Interview:
"Die Zeit der leichten Pointe und der übertriebenen Hübschheit in der Werbung geht zu Ende"

Herr Masala, der neue Geschäftsbericht von Kuoni erscheint entgegen dem Onlinetrend in Form einer Zeitung. Warum hat man sich für diese Form entschieden?

Uns ging es dieses Mal darum, noch sichtbarer als in den vergangenen Jahren, die Inhalte in den Vordergrund zu rücken. Das Format der Zeitung bot sich dafür in idealer Weise an, weil es auch ein Zeichen der Rückbesinnung auf das Wesentliche, nämlich auf den Gehalt ist. Wir wollten uns sicherlich auch von der Dynamik lösen, die dazu geführt hat, dass Geschäftsberichte immer aufwendiger gestaltet werden, wollten aber dennoch nicht auf Papier verzichten. Uns reizt dabei die Vorstellung, dass ein Leser sich nur den einen oder anderen Artikel ausschneidet und aufhebt, weil er einen wichtigen, interessanten, stimulierenden, eben einen wertvollen Gedanken enthält. Das Medium Zeitung ist nach wie vor unerlässlich für die Meinungsbildung und damit für den Diskurs über bestimmende Themen. Sie soll zudem eine Debatte über die Zukunft des Reisens anstossen. Der Brand Report liefert dafür gewissermassen die Grundlage, weil er viele unterschiedliche Positionen namhafter Autoren und Denker vereinigt. Aber wir sind uns auch der Vorteile der Online-Medien bewusst und haben daher die Seite www.the-detourist-100.org ins Leben gerufen, für die wir aus dem Zeitungsinhalt 100 Denkfiguren herausdestilliert haben. Die Seite ist unser Forum für eine offene Debatte. Dort kann man sich auch den Brand Report in Papierform und ein Plakat mit den 100 Zitaten bestellen. Jeder ist eingeladen, mit uns und untereinander über die Zukunft des Reisens zu diskutieren. Und in Kürze wird ein Blog folgen.

Die Zeitung enthält sehr viele Informationen, Hintergrundartikel, Reportagen und ein Interview mit Nobelpreisträger Orhan Pamuk. Wer ist die Zielgruppe? Warum glauben Sie, dass sich die Zielgruppe in der heutigen schnelllebigen Zeit so viel Musse nimmt, den "Geschäftsbericht" zu lesen?

Zuerst natürlich die Finanzwelt und unsere Aktionäre. Unsere Zeitung richtet sich weiterhin an all diejenigen, die sich beruflich mit dem Thema Reisen auseinandersetzen und daran interessiert sind, wirklich tief in die Materie einzusteigen, also an Universitäten, Tourismusministerien, Berater für Tourismuskunden und auch an interessierte Journalisten und die Feuilletons, da das Thema Reisen ja auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz besitzt. Der Tourismus ist immerhin der grösste Arbeitgeber auf der Welt. Zum anderen sprechen wir Leser an, die ein Gespür für den Wandel der Zeit haben, die mit den Veränderungen, die unsere Gesellschaft derzeit in hohem Masse durchmacht, ständig konfrontiert werden und die auch wissen, dass sich als ein Teil dieser Veränderungen die Regeln der Kommunikation verändern. Unser Brand Report ist dabei gewissermassen ein Prototyp für eine neuartige Form des Diskurses und daher sicherlich für sehr viele Leser auch ausserhalb der eigentlichen Reisebranche von grossem Interesse.

Es steckt sehr viel Arbeit und Herzblut in diesem Projekt. Wieviel Budget- und Personalressourcen werden dafür aufgewendet? Lohnt sich Aufwand und Ertrag?

Wir haben erstmals vor zwei Jahren unseren Geschäftsbericht um den Brand Report erweitert, wodurch natürlich auch die Anzahl der beteiligten Mitarbeitenden entsprechend grösser geworden ist. Für den Brand Report arbeiten wir mit externen Denkern, mit weltweiten Freunden der Marke zusammen. Bei dieser Art Projekt ist es naturgemäss schwierig, vorab zu sagen, wie weit sich der Aufwand lohnt. Die ersten beiden Brand Reports haben uns auf jeden Fall sehr viel Anerkennung von verschiedensten Seiten gebracht, wir haben dafür wichtige Preise gewonnen und viel Lob gehört. Man darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzen wie viele Bewerber für Jobs, neue Geschäftspartner und Kunden aufmerksam die Inhalte lesen. Ein Brand Report führt somit zu einer wesentlich tiefer gehenden Beschäftigung mit unserem Unternehmen und unserer Arbeit als vielleicht eine Anzeige mit einer 3-sekündigen Aufmerksamkeit. Insofern haben wir hier einen sehr wertvollen Ertrag. Welcher Nutzen sich darüberhinaus langfristig aus unserer Denkarbeit ergibt, die ja zu Beginn wie eine unabhängige Wissenschaft zweckfrei ist, wird die Zukunft zeigen.

Was wollen Sie bei den Lesern auslösen mit dem Brand Report, der seit drei Jahren Teil des Geschäftsberichtes ist?

Der Brand Report vermittelt ein sehr differenziertes Bild der Marke Kuoni und macht dabei auch mit unserer Reflexion über das Reisen und die Zukunft unseres Unternehmens vertraut. Wir wollen nicht nur unsere Marke beschreiben, wie es etwa eine Werbeagentur für ihre Kunden tut. Dafür bräuchten wir keinen Brand Report. Vielmehr möchten wir uns dem Leser öffnen und unsere Gedanken mit ihm teilen. Markenarbeit ist kein Mysterium sondern ein Marktplatz, eine Form des Austauschs. Sie hört nicht beim Logo und den CI-Guidelines auf, sondern fängt eigentlich damit erst an.

Der Brand Report geht "um das, was eine Marke ausmacht", wie sie in der Einleitung schreiben. Was macht die Marke Kuoni aus?

Was unsere Marke ausmacht, sind unsere Mitarbeitenden und deren Erfahrung. Sie sind Experten und Berater im Dienste unserer Gäste. Wir blicken heute auf eine 105-jährige Tradition zurück und stehen für höchste Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit, die uns über all diese Zeit hinweg immer ausgezeichnet haben. Neben diesen soliden, zeitlosen Werten steht Kuoni im Vergleich zum Wettbewerb auch für Leidenschaft, Innovationen und Kreativität.

Der "Getaway Council", ihre interne Zusammenkunft von Reisenden und Denkern, traf sich in Venedig, um die Zukunft des Reisens zu denken und das Reisen von morgen zu gestalten. Was wird sich vor allem verändern in Zukunft?

Ich möchte Ihnen nun keine Trends nennen, die morgen schon wieder überholt sind. Denn darum ging es uns in Venedig auch gar nicht. Wir haben uns bei unserem Getaway Council ganz bewusst von sogenannten Trendforschern ferngehalten, die griffig klingende Rezepte und Ausblicke liefern, aber keine wahren Erkenntnisse über das Reisen. Stattdessen haben wir uns mit renommierten Denkern zusammengesetzt, um das Wesen des Reisens zu diskutieren und wirklich in die Tiefe zu gehen. Es war uns wichtig, ohne Scheu vor einer anderen Sphäre des Lebens als der geschäftlichen, uns in einen nicht zielgerichteten, offenen Dialog zu stürzen. Der nächste Schritt wird sein, aus unseren in Venedig gewonnenen Erkenntnissen praktische Handlungsweisen abzuleiten. Die Menschen ändern sich, und so ändern sich auch die Reisegewohnheiten. Es wird beispielsweise andere Formen eines ständigen Unterwegsseins geben, bei dem zwischen Arbeit und Ferien kaum mehr zu unterscheiden ist. In Venedig haben wir uns mit Fragen auseinandergesetzt, die sich nicht nur auf diese Gewohnheiten beziehen, sondern die sich aus einer Analyse der Geschichte des Reisens und seiner Motivationen ergeben. Eine zentrale Frage dafür war, wie überhaupt Sehnsuchtsorte entstehen und wo man sie künftig finden wird. So ist der Brand Report ein umfangreiches Referenzwerk zum Thema Reisen geworden.

Sie schreiben in der Einleitung des „Brand Reports“, dass Sie weg wollen, von den vorgefertigten Methoden des Marketings. Wie sieht denn die neue Marketingstrategie aus?

Ich denke, dass die Zeit der "leichten Pointe" und der "übertriebenen Hübschheit" in der Werbung zu Ende geht. Während verkaufsorientierte Werbung letztlich auf dem egoistischen Interesse zweier Parteien beruht, einen optimalen und rationalen Deal zu erzeugen, wird die Image-Generierung zukünftig nach anderen Regeln funktionieren. Marken müssen zu Projekten werden, die zur Verbesserung der Welt und des Lebens in ihr beitragen. Die Idee hinter solchen Projekten glaubhaft zu vermitteln, wird die grosse Herausforderung von Unternehmen sein. Der Titel unseres Brand Reports "A better tomorrow" soll unseren Willen hierzu zum Ausdruck bringen. Aus solchen Projekten können langfristige Bindungen, regelrechte Freundschaften zwischen Unternehmen und Menschen entstehen, wenn gleiche Prinzipien und Denkweisen zusammenfinden. Letztlich geht es dabei um gegenseitiges Verständnis und ein Anerkennen der Haltung des jeweils anderen Partners. Einseitige Sender-Empfänger Modelle zur Stärkung einer Brand hat das Internet und seine Benutzer längst in Frage gestellt.

Sie sind Marketing-Chef einer traditionellen Schweizer Reisemarke. Worin besteht für Sie der Sinn des Reisens? Wohin geht ihre nächste Reise?

Es kann den einen Sinn des Reisens nicht geben, dafür sind Menschen und ihre Sehnsüchte zu unterschiedlich. Heute habe ich vielleicht andere Wünsche als morgen. Hoffentlich! Die nächste Privatreise jedenfalls ist auf eine kleine griechische Insel geplant. Dort leben wir unter Einheimischen, zwischen Berg und Meer und man kann sich die Energie des Ortes quasi einverleiben. Die Griechen besitzen einen schönen Begriff für diese Sehnsucht: Ataraxie. Er bezeichnet eine Ruhe und Ausgeglichenheit der Seele, die dem Zustand des Meeres abends beim Sonnenuntergang gleichkommt.

Interview: Corinne Bauer


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren