05.09.2017

Überwachung von E-Mails

Entlassung wegen privater Nutzung war falsch

Der jüngste Entscheid des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte könnte die Rechtsprechung in den Mitgliedsländern massgeblich beeinflussen.
Überwachung von E-Mails: Entlassung wegen privater Nutzung war falsch
Mit der geschäftlichen E-Mail-Adresse eine private Nachricht verschicken? Ja, das geht, findet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. (Bild: Keystone)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Rechte von Arbeitnehmern gestärkt: Das Gericht erklärte eine Entlassung wegen privater Internetnutzung am Arbeitsplatz am Dienstag für nicht rechtens. Der Arbeitgeber verstosse mit der Überwachung der elektronischen Kommunikation des Angestellten gegen das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre, hiess es im Urteil.

Der Kläger, ein rumänischer Ingenieur, war im August 2007 nach dreijähriger Tätigkeit entlassen worden, weil er seine berufliche E-Mail-Adresse auch privat genutzt hatte. Der Arbeitgeber legte ihm eine Kopie seines E-Mail-Verkehrs einer Woche vor, die auf 45 Seiten neben beruflichen auch private Nachrichten enthielt – unter anderen an den Bruder und die Verlobte.

Das Unternehmen hatte kurz zuvor allen Angestellten mitgeteilt, dass eine andere Beschäftigte wegen privater Nutzung von Internet, Telefon und Fotokopierer gefeuert worden war.

In Rumänien hatte der 38-Jährige vergeblich gegen seine Entlassung geklagt: Die rumänische Justiz urteilte, das Unternehmen habe im Rahmen des geltenden Arbeitsrechts gehandelt und seine Beschäftigten über die internen Regeln informiert. Der EGMR rügte hingegen, die rumänische Justiz habe nicht hinreichend geprüft, ob der Ingenieur über die Kontrolle seiner E-Mail-Korrespondenz informiert wurde.

Es sei auch nicht geprüft worden, ob der Arbeitnehmer über das Ausmass dieser Überwachung – und damit das «Eindringen in sein Privatleben und seine Korrespondenz» – unterrichtet war. Ausserdem sei die rumänische Justiz nicht der Frage nachgegangen, inwieweit eine so ausführliche Überwachung gerechtfertigt war, rügte der Gerichtshof. Sie habe somit nicht sorgfältig zwischen den Interessen des Unternehmens und dem Recht des Klägers auf Schutz seiner Privatsphäre abgewogen.

Recht auf Privatleben am Arbeitsplatz

Ein Arbeitgeber habe nicht das Recht, das Privat- und Sozialleben seiner Mitarbeiter am Arbeitsplatz auf null zu reduzieren, erklärte das Strassburger Gericht am Dienstag. Das Recht auf Privatleben und die Vertraulichkeit der Korrespondenz dürfe zwar «im Rahmen der Notwendigkeit eingeschränkt», aber nicht völlig aufgehoben werden.

Die Entscheidung wurde von der Grossen Kammer des EGMR mit elf Stimmen gegen sechs gefällt und ist definitiv. Sie hebt das Urteil einer kleinen Kammer vom Januar 2016 auf, welche die Klage zunächst abgewiesen hatte. Die 17 Richter der Grossen Kammer hatten im Laufe ihrer Beratungen unter anderen Experten des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) angehört.

Die Entscheidung könnte die Gesetzgebung und Rechtsprechung in den 47 Mitgliedsländern des Europarats massgeblich beeinflussen. Diese seien nun angehalten, die Konsequenzen aus dem Strassburger Urteil zu ziehen, erläuterte ein Sprecher des EGMR. Vor allem müssten sie sicherstellen, dass Massnahmen zur Überwachung der Internet-Nutzung am Arbeitsplatz verhältnismässig seien und die Angestellten ausreichend vor Missbrauch schützen. (sda/afp/reu/cbe)

 



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