02.06.2020

Serie zum Coronavirus

«Interessensvertreter werden ganz ausgesperrt»

Lobbyist Martin Schläpfer ist ein Urgestein in Bundesbern. Zum Auftakt der Sommersession äussert er sich in Folge 56 über die aktuelle Politlandschaft und sagt, welche Branche in der Krise am besten lobbyiert hat.
Serie zum Coronavirus: «Interessensvertreter werden ganz ausgesperrt»
«Punkten können jene Lobbyisten mit engen Kontakten in die Generalsekretariate und zu den involvierten Ämtern»: Martin Schläpfer. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Schläpfer, nun hat die Sommersession begonnen. Sie sind seit Mitte der achtziger Jahre im Bundeshaus aktiv. Ist dies eine besondere Session?
In jeder Hinsicht. Sie findet wieder extra muros statt, und die Berufslobbyisten haben weiterhin keinen Zugang zum Parlament. Seit Wochen herrscht in Bundesbern sozusagen eine physische Kontaktsperre. Die Discos dürfen nun wieder öffnen, doch in der weitläufigen Bernexpo bleiben die Gäste aussen vor. Das soll jemand verstehen. Offensichtlich wollen die Abgeordneten die externen Interessenvertreter am liebsten ganz aussperren und ungestört ihrer eigenen Lobbyarbeit nachgehen. Das Informelle ist komplett in den Hintergrund gerückt. So ist es schwer, die neu gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier überhaupt persönlich kennenzulernen.

Hat Corona den Politbetrieb grundlegend verändert?
Ja, wir befinden uns auch politisch in einer neuen Normalität. In der Krise schlägt die Stunde der Regierung und der Verwaltung. Das Parlament spielt zwei Ligen tiefer, es segnet ab, was der Bundesrat beschlossen hat. Das ist unbefriedigend. In der Schweiz fehlt es auch an einer Debattenkultur. Es gibt keine vertiefte parlamentarische Auseinandersetzung über die Pandemie und ihre Folgen. Der Bundesrat überstrahlt alles. Am hellsten strahlt Krisenmanager Alain Berset. Um mit Henry Ford zu sprechen: Er hat Erfolg, «weil er genau die Fähigkeiten besitzt, die im Moment gefragt sind».

Sie waren lange Jahre Lobbyist für die Migros. Hat der Lobbyist in der Coronazeit an Bedeutung gewonnen oder nicht?
Im Moment dreht sich alles um ein Thema, da sind die Fachleute der grossen Verbände und der hauptbetroffenen Branchen am Zug. Diskutiert wird an runden Tischen, weniger bilateral. Punkten können jene Lobbyisten mit engen Kontakten in die Generalsekretariate und zu den involvierten Ämtern, die unter enormem Zeitdruck stehen. Noch schwerer ist es, notfalls innert kurzer Zeit alle sieben Bundesräte zu erreichen. Krisenkommunikation hat Konjunktur, da haben die grossen Agenturen dank ihres Rundum-Services Vorteile. Farner ist ja sowohl mit dem BAG als auch dem Seco im Geschäft. Wer relativ unbedeutende Partikularinteressen vertritt, isst härteres Brot. Was nicht prioritär ist, droht auf der langen Bank zu landen oder letztlich abgeschrieben zu werden. Was die Lobbyisten optimistisch stimmt: Corona ist politisch noch lange nicht ausgestanden. Der Appetit auf staatliche Extrawürste wird nicht so rasch gestillt sein.

«Die Tattoostecher hatte niemand auf der Rechnung»

Wer hat jetzt während der Coronazeit gut lobbyiert, wer weniger?
Den Weinbauern wird rasch geholfen; sie sind ja auch ziemlich unverfroren. Die Swiss zählt trotz ihres Imponiergehabes dazu. Aber das ist noch nichts gegen die Tattoostecher! Die hatte niemand auf der Rechnung. Erstaunlicherweise konnten sie und die Coiffeure, die ja nicht über eine geballte Lobbymacht verfügen, hierzulande ihre Salons vergleichsweise früh wieder öffnen. Baumärkte und Gartencenter wiederum waren während Wochen geschlossen, während sie in Deutschland stets geöffnet waren. Fazit: Ein gepflegtes Äusseres hat in der Schweiz offenbar einen höheren Stellenwert als Heim- und Gartenarbeit.

Welches sind die langfristigen Auswirkungen auf den Schweizer Politbetrieb?
Konkordanz und Sozialpartnerschaft, auf die wir besonders stolz sind, erwiesen sich in Zeiten der Pandemie als gefestigt. Sie dürften auf Jahrzehnte hinaus unantastbar bleiben. Tendenziell wächst die Staatsgläubigkeit, und neue Verteilungskämpfe sind nicht ausgeschlossen. Nachdem der Bund die Wirtschaft mit Milliarden gestützt hat, werden es schmerzhafte Reformen wie bei der Altersvorsorge noch schwerer haben. Die Warnungen vor einem Kollaps dürften ungehört verklingen, denn im Notfall ist ja Geld da, wie Corona zeigt. Schliesslich könnte der Schweizer Markt wieder mehr abgeschottet werden – mit dem Schlagwort Versorgungssicherheit lässt sich Vieles begründen.

«Der Bundesrat verzettelt sich im Mikromanagement»

Der Bundesrat wird momentan immer stärker kritisiert. Zu Recht?
Entscheidend ist der Gesamteindruck. Der Bundesrat geniesst das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung, nicht zuletzt, weil er während Wochen geschlossen aufgetreten ist und offensiv kommuniziert hat. Seit den 90er Jahren war die Regierung bei allen grossen Krisen oder entscheidenden Weichenstellungen wie etwa dem EU-Beitritt gespalten oder einzelne Bundesräte waren ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Dass der Bundesrat nun bei den Lockerungsübungen nicht die besten Stilnoten erhält, ist logisch. Er verzettelt sich im Mikromanagement. Der perfektionistische Ansatz führt zu teils kuriosen Massnahmen. Etwas mehr Augenmass und ein weniger hoher Detailierungsgrad wären angezeigt gewesen. Nun hat er eine abrupte Kehrwende vollzogen, die im Gesamtkontext nur schwer nachvollziehbar ist.

Wie haben Sie selbst die letzten Monate erlebt?
Wenn ich an die Leute in Padua, Paris oder New York denke, bin ich mir bewusst geworden, wie privilegiert wir sind - mit Haus und Garten, ohne Ausgangssperre. Das Wetter war meistens gut, und mit dem Rad unterwegs zu sein, statt Tennis zu spielen, war eine erträgliche Alternative.


 

 

 Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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