12.08.2020

Serie zum Coronavirus

«Kommunikations-Wirrwarr hat meine Skepsis verstärkt»

Peter Hartmeier war langjähriger Chefredaktor des Tages-Anzeigers und ist jetzt Partner bei der Kommunikationsagentur Lemongrass. Wie beurteilt er die Situation der Medien in der Coronakrise? Und wie die Handlungsweise des Bundesrats?
Serie zum Coronavirus: «Kommunikations-Wirrwarr hat meine Skepsis verstärkt»
«Ich bin zuversichtlich, dass sich die nachwachsende Generation auch in Zukunft die grosse und kleine Welt über Journalismus erklären lassen will»: Peter Hartmeier. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Hartmeier, Sie waren der am längsten amtierende Chefredaktor des Tages-Anzeiger. Wie beurteilen Sie die momentane Stimmungslage?
Zuerst eine Präzision: Zumindest der Erfinder des damals neuen Tages-Anzeigers, Walter Stutzer, war viel länger im Amt als ich! Zur Stimmungslage: sie ist «verhältnismässig»; damit meine ich, dass wir alle wissen, bisher mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Ich stehe der Wirtschaft nahe und beobachte respektvoll mit welchem Aufwand und welcher Vorsicht die Unternehmen ihre Entscheide fällen. Wir sollten deshalb die Situation für unsere Unternehmen nicht zusätzlich komplizieren durch problematische Abstimmungsentscheide: Ich denke an die Begrenzungsinitiative und die Konzernverantwortungsinitiative. Im privaten Bereich fällt mir auf, wie die von mir so geschätzten Einladungen für Sommerfeste in Gärten, an Seen und Flüssen ausgeblieben sind. Wir verlustieren uns alle in kleinen Gesellschaften – und das wird wohl bis Ende Jahr so bleiben. Umso mehr freue ich mich über die gute Laune vieler Menschen – vor allem jenen, die schwimmen im Basler oder Schaffhauser Rhein!

«Wir müssen lernen mit den Unsicherheiten zu leben»


Macht unsere Regierung momentan einen guten Job?
Wie die meisten Menschen in der Schweiz war ich zu Beginn der Krise durchaus angetan von  der Handlungsweise des Bundesrates und seiner Gremien. Jetzt hat sich meine Skepsis verstärkt - und dafür ist in erster Linie der Kommunikationswirrwarr des BAG verantwortlich. Ich bin mir allerdings bewusst, wie schwierig diese Phase zu bewältigen ist: In unserem Familien- und Freundeskreis sind Aerzte und Apotheker, denen ich regelmässig Fragen stelle; ich ahne deshalb wie schwierig die Pandemie zu beurteilen ist. In einem Punkt nehme ich die Regierungen auf Bundes- und kantonaler Ebene aber immer in Schutz: Dann, wenn sie von der Koalition der Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner angegriffen werden. Oder von frustrierten alten Männern!

Inwiefern wird Corona die Gesellschaft verändern?
Ich lese natürlich viel zu dieser Fragestellung, fühle mich aber überfordert bereits eine schlüssige Antwort zu geben. Wir müssen lernen mit den Unsicherheiten zu leben – auch mit den eigenen Fehlurteilen und Fehleinschätzungen... Sicher werden wir alle viel vorsichtiger selbstbewusst vorgetragene Prognosen beurteilen!

Und die Medien?
Bei den Medien bin ich aufgrund meines Berufslebens Partei: Ich liebe Medien, Journalismus und Kommunikation, und zudem bin ich kein Kultur-Pessimist: Trotz aller strukturellen Probleme der Medienwirtschaft bin ich zuversichtlich, dass sich die nachwachsende Generation auch in Zukunft die grosse und kleine Welt über Journalismus erklären lassen will: skeptisch, aber offen für Fakten. So erlebe ich jedenfalls die Generation bis 35.

«Diese Balance zwischen unternehmerischem Erfolg und Verantwortung in einer schwierig abzuschätzenden Zukunft beeinflusst die Kommunikation»


Sie sind Partner bei Lemongrass. Hat die Pandemie auf die Kommunikationsbranche Auswirkungen?
Mir fällt auf, dass Führungspersönlichkeiten in Unternehmen und Organisationen noch kritischer nachfragen, wenn wir über das Thema «Verantwortung in und für die Gesellschaft» sprechen. Diese Balance zwischen unternehmerischem Erfolg und Verantwortung in einer schwierig abzuschätzenden Zukunft beeinflusst die Kommunikation. Es gibt entsprechend viel zu tun.

Sie sind auch der Sprecher des Bündner Investors ind Unternehmers Remo Stoffel, der wegen Urkundenfälschung und Unterdrückung von Urkunden eine bedingte Freiheitsstrafe von 180 Tagen erhalten hat. Warum haben Sie dieses Mandat angenommen?
Kommunikation ist in Ausnahme-Situationen besonders wichtig! Während der Übernahme der Firma Avireal im Nachlassverfahren der Swissair im Jahre 2005 wurden von der Staatsanwaltschaft nicht sachrichtig verbuchte Schulden und Forderungen festgestellt – Urkundendelikte. Dafür übernahm Remo Stoffel als einer der drei damaligen Verwaltungsräte die Verantwortung. Damit ist die jahrelange juristische Auseinandersetzung beendet und die damalige Geschichte aufgearbeitet: Transparent für alle. Dieser Schlussstrich ist für den 43-jährigen Unternehmer und seine Familie angesichts ihrer zukünftigen Pläne wichtig.

Wo waren Sie in den Ferien?
Nach unseren Reisen nach New York und Boston wollten wir eigentlich das ländliche Gegenstück, das tiefe Trump-Land South Dakota und Minesota bereisen – Corona hat uns einen Strich durch diese Pläne gemacht. Jetzt überlegen wir uns im September von Rorschach nach Genf zu wandern.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Privat: Die Freundin unseres Sohnes hat mit unserer Familie und Freunden zusammen in einem lauschigen Park ein Überraschungsessen zu seinem 30. Geburtstag organisiert – inklusive einer Violinistin und einer St.Honoré-Torte. Beruflich: ein ganztägiges Medien-Training mit einer angehenden Juristin, die meine positiven Erfahrungen mit der nachwachsenden Generation einmal mehr bestätigte.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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