Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter musste in den vergangenen Tagen viel Kritik einstecken, weil sie neu einen Account auf Elon Musks Kurznachrichtendienst X eröffnet hat. Jetzt beleuchten SonntagsBlick-Recherchen die Hintergründe. Die Bundesrätin hatte eigentlich etwas ganz anderes geplant.
Präsidialaccount nach @Potus-Vorbild geplant
Vor knapp einem Jahr unterbreitete ihr Finanzdepartement (EFD) der Konferenz der Informationsdienste (KID) einen Vorschlag: Künftige Bundespräsidentinnen und Bundespräsidenten sollten über einen speziellen, nicht persönlichen X-Account kommunizieren, der ein Jahr lang genutzt und dann weitergegeben werden kann. So handhaben es auch andere Länder wie die USA, deren Präsident unter @Potus postet.
Die KID beauftragte eine Arbeitsgruppe, eine «Diskussionsgrundlage» zu erarbeiten. Entsprechende Dokumente liegen SonntagsBlick vor. Die Gruppe aus Vertretern aller Departemente empfahl Keller-Sutters Idee schliesslich zur Ablehnung – die KID folgte ihr.
Was sprach gegen Keller-Sutters Vorschlag? Gemäss einer Aktennotiz befürchtete die Arbeitsgruppe Doppelspurigkeiten, da bereits mehrere Bundesräte und Departemente auf X persönliche Accounts pflegen. Die vielen Profile könnten in der Öffentlichkeit «zu Verwirrung führen». Ein eigener Account für das Präsidium entspreche dem Kollegialitätsprinzip zudem nur bedingt und könnte beim ausländischen Publikum den Eindruck erwecken, die Schweiz verfüge über ein mit anderen Staaten vergleichbares Staatsoberhaupt.
«Die offizielle Schweiz sollte X verlassen»
Derweil fordern Parlamentarier den Bund auf, sich von der Plattform zu verabschieden. Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt sagt zu SonntagsBlick: «Die offizielle Schweiz sollte X verlassen.» Es ergebe keinen Sinn mehr, sich dort auszutauschen, wo bald nur noch Bots und Trolle unterwegs seien.
Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey doppelt nach: «X ist zur Horrorshow verkommen.» Der IT-Unternehmer versteht nicht, weshalb sich die Verwaltung dort noch aufhalte. «Ich erwarte, dass sich der Bundesrat und die Bundeskanzlei darüber Gedanken machen, X zu verlassen.» Dass der Bund die Bürgerinnen und Bürger ausgerechnet in einem «hässlichen Hinterhof» informieren wolle, sei keine seriöse Strategie.
Dass Musk am X-Algorithmus schraubt, um rechtsextreme Stimmen zu pushen und seine Plattform dazu nutzt, westliche Demokratien anzugreifen, macht auch den Bund nervös. Doch die Bundeskanzlei will vorderhand an X festhalten.
Eigene App als Alternative zu Drittplattformen
Sprecher Urs Bruderer sagt, man beurteile die Situation laufend: «Die sozialen Medien verändern sich schnell, Plattformen können an Bedeutung verlieren und neue können entstehen.» Um von bestehenden Plattformen unabhängiger zu werden, konzipiert die Bundeskanzlei derzeit eine Informations-App für den Bundesrat. Bruderer: «Der Vorteil dieses Kanals wäre, dass er vor Beeinflussungsoperationen abgeschirmt werden könnte.» (pd/nil)