10.01.2025

Bundesratsfoto

«Kreative Bildkonzepte geben Raum für Kritik»

Das neue Bundesratsfoto hat vor allem eines ausgelöst: viele negative Reaktionen. Fotograf Arthur Gamsa nimmt im Interview ausführlich dazu Stellung. Er erzählt über die Bildentstehung und überraschende Erkenntnisse während seiner Reise durch die ganze Schweiz.
Bundesratsfoto: «Kreative Bildkonzepte geben Raum für Kritik»
«Die Demokratie, wie wir sie in der Schweiz praktizieren, ist eine bemerkenswert erfolgreiche Staatsform, die wir nicht als Selbstverständlichkeit verkennen sollten»: Arthur Gamsa, Fotograf des Bundesratsfoto. (Bild: Deborah Sturzenegger)

Arthur Gamsa, Sie sind mit 24 Jahren einer der jüngsten Fotografen, die für das Bundesratsfoto beauftragt wurden. Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Bundesrat zustande?
Einige andere Fotografen und ich wurden angefragt, ein Bildkonzept für das Bundesratsfoto zu entwickeln. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter hat sich dann für mein Bildkonzept entschieden, das ich während mehrerer Wochen sehr detailliert erarbeitet hatte.

Sie sind für das Projekt zwei Monate lang durch die Schweiz gereist. Was haben Sie in dieser Zeit über die Bewohnerinnen und Bewohner des Landes gelernt?
Es war eine sehr lehrreiche Zeit. Was das Verhalten der Angefragten betrifft, fand ich die Entscheidungsdynamiken unter Paaren besonders interessant, von denen ich Hunderte angesprochen habe. Bei älteren Paaren stellte ich häufig fest, dass der Mann die Entscheidung dominierte: Lehnte er die Teilnahme am Projekt ab, schloss sich seine Partnerin meist ohne Zögern sofort an. Wenn ich im Gespräch auch die Frau direkt ansprach, kam es gelegentlich vor, dass ihr Partner verärgert reagierte oder an ihrer Stelle antwortete. Bei jüngeren Paaren habe ich dieses Verhalten deutlich seltener beobachtet, und die Partner entschieden oft unabhängig voneinander.

Und wie sah es mit den Örtlichkeiten aus?
Auch wie Räume und Umgebungen unser Verhalten prägen, fand ich spannend, etwa zu beobachten, wie sich Menschen durch unseren öffentlichen Raum bewegen. In geschäftigen Strassen zum Beispiel, wo das Gehtempo allgemein höher ist, zeigten sich die Menschen eher verschlossen und wiesen Gespräche häufiger energisch ab. Ganz anders etwa in Parks oder Seitengässchen, wo ich die Leute entspannter antraf und sich die meisten mit Interesse auf ein Gespräch mit mir einliessen.

Wie kam die Idee eines grossflächigen Mosaiks zustande?
Die Demokratie, wie wir sie in der Schweiz praktizieren, ist eine bemerkenswert erfolgreiche Staatsform, die wir nicht als Selbstverständlichkeit verkennen sollten, gerade auch mit Blick auf den derzeitigen schweren Stand der Demokratien auf der weltpolitischen Bühne. Diese zentrale Qualität unseres Landes wollte ich in meinem Konzept zum Ausdruck bringen. Das Mosaik, in dem die Partizipation der Menschen in die Institution Bundesrat miteinfliesst, schien mir eine logische Übersetzung dafür.

Wie frei waren Sie in der Gestaltung des Bildes? Gab es strenge Richtlinien?
Die Anordnung der einzelnen Regierungsmitglieder, wer neben wem steht, ist protokollarisch festgelegt und war mir damit vorgegeben. Ansonsten war ich völlig frei in der Gestaltung meines Bildkonzepts. Das fertige Bild entspricht fast exakt der Skizze, mit der ich mich ursprünglich für den Auftrag beworben hatte.

Also entspricht das Ergebnis dem, was Sie erreichen wollten?
Ja. Ich bin sehr zufrieden damit.

In den Medien wird die Umsetzung des Bildes aber als misslungen kritisiert. Besonders, dass Teile der Population, zum Beispiel Kinder, fehlen würden. Was sagen Sie zur Kritik?
Kreativere Bildkonzepte lassen mehr Raum für verschiedene Meinungen und Geschmäcker, und damit auch Kritik. Mir war es trotzdem wichtig, dieses jährliche Regierungsbild auf eine interessante Weise umzusetzen. Ich denke, dass sich dadurch viele Menschen mit der diesjährigen Zusammensetzung ihrer Regierung befasst haben, und das ist für mich die Hauptaufgabe des Bundesratsfotos. Ich habe während dieses Projekts möglichst alle Menschen angesprochen, die mir begegnet sind. Die 1052 auf dem Bundesratsfoto gezeigten Personen sind mindestens 18 Jahre alt und konnten ihre Einverständniserklärung selbst unterzeichnen.

«Das Bundesratsfoto war einer Mehrheit der Personen ein Begriff»

Auch gab es die Kritik, dass der Bundesrat nicht Teil des Mosaiks ist und dadurch nicht volksnah wirke.
Auf den Gesichtern der Regierungsmitglieder habe ich sehr bewusst auf Mosaikbilder verzichtet: Es ist das Amt, das sie bekleiden, das vom Volk geformt wird, nicht die Persönlichkeit der einzelnen Mitglieder. Schliesslich verdecken sich auch die Menschen auf den Mosaikbildern nicht gegenseitig, auch sie bleiben Individuen und verkörpern zugleich ihre politische Funktion als die demokratische Basis, aus der diese Institution Bundesrat hervorgeht. Dass die Regierungsmitglieder, in deren Tätigkeit die Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger zusammenläuft, auf dem Bild am sichtbarsten sind, entspricht in meinem Empfinden der Natur ihrer Funktion als Vertreter der Exekutivbehörde.

Ist das Konzept des Bundesratsfotos Ihrer Meinung nach als Teil der Generation Gen Z noch zeitgemäss?
Was mich persönlich überrascht hat: Das Bundesratsfoto war einer Mehrheit der Personen ein Begriff, mit denen ich für dieses Projekt im Gespräch war, auch vielen jungen Leuten. Seit seiner ersten Publikation 1993 hat das Bild in meinem Verständnis an Beachtung stetig zugenommen, vermutlich vor allem, weil es sich jährlich gewandelt hat – und vielleicht auch gerade deswegen, weil es in seiner immer neuen Umsetzung immer wieder diskutiert wird und auch kritisiert werden darf. Ich denke, dadurch kann es auch in Zukunft eine zeitgemässe Möglichkeit für unsere Regierung bleiben, jeweils zum Jahresanfang ein breites Publikum auf eine überraschende Weise anzusprechen. Darunter auch Menschen, die während des Rests des Jahres weniger häufig mit den Köpfen ihrer Regierung in Kontakt kommen.


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KOMMENTARE

Victor Brunner
12.01.2025 09:03 Uhr
Noch nie hat ein Fotograf ein konstruiertes Bild umfangreicher beschrieben. Dabei nimmt des Bild eine seit fast einem Jahrhundert bekannte Kritik auf: ihr da oben wir da unten. 8 Halbporträts von Magistraten und hinten viele Spurenelemente vom Volk!

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