18.04.2011

"Twitter erreicht keine Jugendlichen.“

Twitter und Facebook gehören zunehmend zum Standard in der Unternehmenskommunikation. Laut einer Studie von Bernet_PR wenden momentan 39 Prozent der Schweizer Unternehmen dezidierte Personalressourcen für Social Media auf: Tendenz steigend. Sollen nun alle Unternehmen Social-Media-Manager einstellen? Im Interview mit "persoenlich.com" sagt Co-Autor Marcel Bernet unter anderem was Swiss und Swisscom besonders gut machen. Zum Text:
"Twitter erreicht keine Jugendlichen.“

Herr Bernet, Sie haben vor rund einem Monat eine Studie über die Social-Media-Aktivitäten der grossen Schweizer Unternehmen veröffentlicht. Welche Unternehmen gelten Ihrer Meinung nach als Best-Practice-Beispiele?

Sehr gut unterwegs sind Swiss mit einem integrierten Auftritt samt Blog. Die Swisscom zum Beispiel löst Facebook vorbildlich samt eingebautem Kundendienst. Gut sind vernetzt sind auch die verschiedenen Bereiche der Post. Denner hat es gut gemacht bei der Bündnerfleisch-Geschichte, wo sie den Auftritt von Bundesrat Merz schnell in eine virale Kampagne integrierten. Migros, Graubünden-Ferien und Schweiz Tourismus liefern weitere Vorbilder für die Integration von klassischem Web und Social Media.

Die Kommunikationschefs diskutieren momentan vor allem die Frage: Soll man Mitarbeitenden verbieten sich auf Facebook aktiv übers Unternehmen oder berufsrelevante Themen zu äussern? Oder soll man Sie - im Gegenteil - sogar auffordern, Themen zu besetzen und in Social Media sichtbar zu werden?

Nach meinen Erfahrungen verhalten sich die Schweizer Unternehmen defensiv. Viele diskutieren, ob der Zugang zu Facebook am Arbeitsplatz überhaupt erlaubt sein soll. Die meisten tun sich schwer mit dem Freischalten des Facebook-Zugangs. Aber das wird sich legen. Mitarbeiter waren schon immer die wichtigstem Multiplikatoren für ein Unternehmen - aber auch auf Social Media darf man sie auf keinen Fall instrumentalisieren. Wer für seinen Arbeitgeber eintritt oder ihn kritisiert, soll das aus Freude tun - und wissen, was im Web alles passieren kann mit Äusserungen.

Sollten Unternehmen Facebook am Arbeitsplatz erlauben?

Unternehmen, die eine Social-Media-Strategie haben, sollen ihren Mitarbeitenden erlauben, dort mitzumachen. Meiner Meinung nach finden Mitarbeitende, die während der Arbeitszeit private Dinge erledigen wollen, immer einen Weg dies zu tun, unabhängig davon, ob der Zugang zu Facebook nun offen ist oder nicht. Neu ist, dass die Unternehmen messen können, wie lange sich Mitarbeitende auf Facebook aufhalten. Wie lange jemand ein Heftli liest oder auf dem WC raucht, kann kein Unternehmen nachweisen. Wie lange er Social Media nutzt hingegen schon. Trotzdem sollen Unternehmen klar sagen: Das Web darf während den Arbeitszeiten für geschäftliche Zwecke genutzt werden. Spielen oder private Fotos sammeln liegt da nicht drin.

Sie haben eine breit angelegte Studie durchgeführt. Welche Ergebnisse überraschten Sie?

Ich war erstaunt, dass bereits 39 Prozent der untersuchten Unternehmen dezidierte Personalressourcen aufwenden für Social Media. 13 Prozent der Unternehmen planen, künftig Leute speziell für Social Media anzustellen. Zusammengezählt sind wir bei 52 Prozent der befragten Grossunternehmen, die spezifische Ressourcen einsetzen. Dann gibt es noch 5 Prozent, die mit externen Agenturen zusammenarbeiten. Diese Höhe erstaunt mich.

Irgendwann werden also alle Unternehmen eine Social-Media-Abteilung unterhalten.

Meiner Ansicht nach gibt es drei Phasen: In einer ersten Phase werden Firmen Social Media-Manager einsetzen, als interne Botschafter, welche die neue Kommunikation bündeln. In der zweiten Phase wird Social Media zu einer Kompetenz, wie es das Schreiben von Briefen oder E-Mails ist. Diese Kompetenz werden alle beherrschen, nicht nur einzelne. In der dritten Phase wird Social Media wieder in die bestehenden, marktnahen Bereiche geführt. Die Verantwortung wird ein Teil von Unternehmenskommunikation, PR, Marketing oder Online sein. Social-Media-Kompetenz gehört spätestens in fünf Jahren zur Grundausstattung jedes Kommunikationsjobs.

Sind Sie wie PR-Guru Paul Holmes der Meinung, dass die Grenzen zwischen PR und Marketing zunehmend verschwinden?

Ja, ganz klar. Online, Corporate Communications, Marketing und PR werden näher zusammenrücken. Als Kunde will ich, dass meine Kommunikationswünsche und meine Bedürfnisse durchgehend beantwortet werden. Die Verwischung der Abteilungsgrenzen sehe ich als grosse Herausforderung. Aus dem Unternehmen werden immer mehr Kommunikationskanäle von unterschiedlichen Abteilungen genutzt, so kann aus einer Firma heraus jeder bloggen, wenn er das möchte. Die Koordination wird anspruchsvoller. Und sie bleibt wichtig. Denn nur, wenn ich einen Gesamtauftritt moderiere, entsteht beim Kunden ein Gesamtbild.

Was wird sich in der PR verändern?

Beschleunigung ist ein wichtiges Stichwort. Alles wird noch eine Spur schneller; durch Twitter und Kurznachrichten auf Facebook. Die Inhalte werden kürzer, müssen schneller auf den Punkt gebracht werden. Zudem wird Information weniger kontrollierbar. PR kann nicht mehr top-down geführt werden, sondern die Entwicklungen laufen mehr bottom-up . Einerseits aus der eigenen Organisation heraus, andererseits auch von aussen in die Organisation hinein. PR muss eine Balance finden zwischen Kontrolle und Moderation.

Moderation wird wichtig, aber auch das Monitoring. Wo sollen Unternehmen hier vorgehen? Gibt es Tools fürs Monitoring?

Zu diesem Thema könnten wir ein ganzes Interview führen. Tools fürs Online-Monitoring gibt es eine ganze Menge, Anbieter, Angebote und Preise wechseln praktisch monatlich. Es gibt immer mehr sehr praktische und kostengünstige Möglichkeiten. Wer detaillierte Analysen mit wenig Eigenaufwand will, kauft sich eine der teureren, externen Lösungen. Wichtig ist, dass man sich nicht auf die Tools konzentriert - am Anfang steht eine Klärung der Ziele. Was will man überhaupt monitoren? Und wozu? Jedes Monitoring ist so gut, wie die konkreten Handlungen, die daraus entstehen.

Die PR wandelt sich also. Was ändert sich für Journalisten?

Der Journalist wird sich nicht mehr nur an die Medienstelle wenden und diese als Informationsquelle nutzen, sondern auch andere Kanäle. Am augenfälligsten ist das heute bei Technologie-Unternehmen. Hier bloggen Abteilungen, Mitarbeiter, Kunden. Daraus entsteht für den Journalisten eine neue Unübersichtlichkeit: Was ist relevant? Wo soll ich lesen? Welche Quelle ist "wahr"? Hinzu kommt auch für Journalisten der Zeitdruck, gerade für Online-Publikationen. Gleichzeitig hat Online in den letzten Jahren die Recherche für Journalisten wesentlich vereinfacht, denken Sie nur an die ausgebauten Mediencorner auf Webseiten.

Wie grundlegend ändert sich PR: Werden Medienmitteilungen und Medienkonferenzen bald verschwinden?

Nein, bestimmt nicht. Solides PR-Handwerk ist auch künftig Voraussetzung für erfolgreiche Kommunikation. Dafür sind weiterhin alle Mittel nötig. Auch Formen klassischer PR werden nicht substituiert, sondern es gesellen sich neue dazu.

In einer Übergangsphase werden also Social-Media-Managers eingesetzt. Welche Anforderungen stellen die Arbeitgeber an einen Social-Media-Manager?

Die Unternehmen suchen nach Leuten mit Erfahrung. Doch davon gibt es noch sehr wenige. Zudem sollten diese Personen ein gewisses journalistisches, redaktionelles Knowhow haben. Gemeint sind Leute, die gut zuhören und gut schreiben können. Bei einem strategischen Social-Media-Job muss ein Bewerber konzeptionelle Erfahrung haben. Je operativer der Job ist, desto wichtiger werden multimediale Umsetzungserfahrungen. Attraktiv sind auch Leute, die bereits privat twittern, bloggen oder sonst aktiv sind in Social Media.

Laut Ihrer Studie ist für Schweizer Unternehmen primär Facebook wichtig. Twitter scheint um einiges weniger Beachtung zu finden. Sehen Sie dennoch Potential bei Twitter?

Twitter hat ein grosses Multiplikationspotential, wenn im Universum des Nutzers aktuelle Inhalte vorhanden sind. Konkret: Bei Blogs oder einem Onlinemagazin kann man die Reichweite extrem erhöhen, wenn man einen gut gemachten Twitteraccount betreut. Wobei Twitter keine Jugendlichen erreicht und sich thematisch fokussiert auf Medien, Marketing, Technologie.

Twitter wird also momentan eher unterschätzt.

Ja, wenn man die eben genannten Einschränkungen beachtet. Um eine gute Followerschaft aufzubauen, muss man regelmässig guten Inhalt bieten. Dies ist ressourcenaufwändig. Twitter kann Blogs oder ein anderes Onlinemagazin sehr gut flankieren.

Welches Thema beschäftigt Sie sonst noch stark momentan?

Der Schritt vom Papier zu integriertem Online. Das Corporate Publishing vieler Unternehmen ist noch stark Papier-orientiert, das zeigen die zahlreichen Pdfs auf Webseiten. Unternehmen werden sich hier wie Verlage neu ausrichten und koordinieren müssen und stärker vom Bildschirm-Nutzer her denken, der immer mobiler wird. Vielleicht sitzt die Kommunikations-Abteilung der Zukunft eben auch in einem Newsroom?

Hier finden Sie die Ergebnisse der Studie.

Interview: Edith Hollenstein


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