TV-Kritik

Wie stark ist der Durst nach Good News?

Die Studie sorgte für Aufsehen: Laut dem Jahrbuch «Qualität der Medien» steigt die Zahl der «News-Deprivierten» weiter an. Laut Umfrage verzichten über 36 Prozent der Schweizer auf News, bei den 16- bis 29-Jährigen sollen es gar mehr als 55 Prozent sein (persoenlich.com berichtete). Die Konsumenten geben an, die Berichterstattung sei ihnen zu negativ. Dies zuvor: Medien müssen sagen und berichten, was ist. Es ist nicht ihre Aufgabe, bei den Lesern und Zuschauern permanent für gute Laune zu sorgen. Versuche, Zeitungen und Kanäle mit ausschliesslich guten Nachrichten zu betreiben, sind in Amerika schon vor Jahrzehnten gescheitert. Auch die nächste Katastrophe wird in den Rubriken «Meistgeklickt» an der Spitze stehen.

Franz Fischlin hat diesmal eine junge, interessante Runde in sein kleines Medienseminar eingeladen. Die deutsche Neurowissenschaftlerin und «Perspective Daily»-Gründerin Maren Urner brachte es gleich zu Beginn der Sendung auf den Punkt: «Stimmt, es gibt viel mehr Negativ- als Positivberichte. Doch es ist ja die Aufgabe des Journalismus, darüber zu berichten, was auf der Welt schief läuft.» Und «Blick»-Politikchefin Sermîn Faki sagte: «Wir erreichen heute online mehr Leser als jemals in der 60-jährigen ‹Blick›-Geschichte.» Michael Furger, Leiter Hintergrund der «NZZ am Sonntag», bestätigte: «Die negativen News werden besser gelesen. Doch die einordnenden, konstruktiven Geschichten in der NZZ sind ebenso gut gefragt.» Furger weiter: «Noch nie war das Angebot von journalistisch guten Produkten so gross wie heute. Man muss sie nur finden.»

Kabarettistin Patti Basler begründete die News-Abstinenz so: «Viele Junge konsumieren keine News, weil diese nichts mit ihnen zu tun haben.» Nicoletta Cimmino vom «Echo der Zeit» findet: «All die vielen Medien, Kanäle und Push-Meldungen stressen und können für die Menschen eine Überforderung sein.» In einem eingespielten Interview kam Medienverweigerer Rolf Dobelli zu Wort, der sich einer radikalen News-Diät unterzogen hat. Der Bestsellerautor, der mit bürgerlichem Namen Döbeli heisst: «Ein durchschnittlicher Mensch konsumiert rund 100 Meldungen pro Tag. Meist hat er diese bereits vor dem Mittagessen aufgenommen. Gibt es eine Meldung aus den vergangenen zwölf Monaten, die mir geholfen hat, für mich, mein Umfeld oder meine Firma eine bessere Entscheidung zu treffen? Nein. Ich bin bei den Informationen gegen Kurzfutter. Ich schätze lange Beitrage, die in die Tiefe gehen.»

Was Positiv-Berichterstattung betrifft: Moderator Franz Fischlin griff gegen Schluss der Sendung die wunderschöne, hundertausendfach gelesene Geschichte auf, wie CVP-Ständerat Konrad Graber und SVP-Bundesrat Ueli Maurer dem SP-Parteichef und Ständerat Christian Levrat halfen, dass dieser die Maturafeier seiner Tochter nicht verpasste (persoenlich.com berichtete). «Eine Episode», so die NZZ über ihren Primeur, «welche eine Stärke des Schweizer Politbetriebs illustriert.» Staunen in der Medienrunde nach der Frage von «Echo der Zeit»-Redaktorin Nicoletta Cimmino, die lieber Beiträge aus den hintersten Ecken von Afrika Indien oder China anmoderiert: «Wo ist da die Relevanz?» Wen wundert es da noch, dass «ihre» antike, elitäre Sendung laufend Hörer verliert, nur noch vom Nimbus aus längst vergangenen Tagen lebt – und vom Grossteil der jungen Generation überhaupt nicht wahrgenommen wird?


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Claude Chatelain, 05.11.2019 07:21 Uhr
    Die Geschichte von Christian Levrat und seiner Tochter ist extrem relevant. Sie zeigt, wie unsere Politiker miteinander umgehen. Nämlich ganz anders, wie man das als Zuschauer der «Arena» meinen könnte. Ja, das angeblich verstaubte «Echo» wird eine solche Geschichte nicht als erste Meldung erzählen können. Doch ob jeder Zwischenschritt und Zwischenrückschritt in Sachen Brexit wirklich relevant ist, um seit gefühlten zehn Jahren fast jeden Tag darüber zu berichten, darf man zumindest hinterfragen.
  • Victor Brunner, 30.10.2019 09:45 Uhr
    Bei Fischlin und Lüthy immer wieder interessant. Über die Leute die geredet wird sind in keiner Sendung anwesend. Immer wieder ExpertenInnen, Nobodys aus dem In- und Ausland, «Perspective Daily»-Gründerin Maren Urner, oer andere Betroffenheits"AnalytikerInnen", die das staunend in die Runde bringen was Konsument Normalo schon lange weiss. SRF muss eine unheimliche Angst oder Abscheu von den Normalos haben, sondt wären die in solchen Diskussionssendungen. Ausnahme, SportPanorama. Da sitzen die Leute still, wahrscheinlich unter Rutalin und klatschen wenn die Lampe leuchtet. Zeichen Begeisterung auszudrücken!
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