25.09.2020

Krisenkampagne des BAG

«Der Ton muss dringlicher werden»

«Mach's einfach!» – Die Kampagne des Bundesamts für Gesundheit (BAG) geht in eine neue Phase. David Schärer von der Agentur Rod und BAG-Kampagnenleiter Adrian Kammer sagen, was es mit der «TTIQ»-Strategie auf sich hat und wie die Jungen erreicht werden sollen.
Krisenkampagne des BAG: «Der Ton muss dringlicher werden»
Sie fordern «Mach's einfach!» (v.l.): David Schärer, Mitgründer von Rod Kommunikation, und Adrian Kammer, Leiter Kampagnen BAG. (Bilder: zVg.)
von Christian Beck

Herr Kammer, «Mach's einfach!» heisst das neue Kampagnenmotto (persoenlich.com berichtete). Ist jetzt genug Heu unten?
Adrian Kammer: Wir stellen tatsächlich fest, dass eine Corona-Müdigkeit in der Gesellschaft angekommen ist. Das ist verständlich. Es gilt die Notwendigkeit, weitere Massnahmen ergreifen zu müssen, zu verhindern. Dies wird gelingen, wenn sich alle an die grundsätzlichen Hygiene- und Verhaltensregeln halten.

Hält sich die Bevölkerung so schlecht an die Hygiene- und Verhaltensregeln, dass dieser energische Appell nötig ist?
David Schärer: Insgesamt halten sich die meisten Menschen an die Regeln, das klappt gut. Das zeigen auch Umfragen, die das BAG durchführt. Der dringlichere Appell ist aus zwei Gründen nötig: Erstens stellen wir fest, dass bei jüngeren Menschen die Fallzahlen höher sind, deshalb sprechen wir sie auch direkter an. Zweitens ist der Spätsommer zu Ende, die Saison der Erkältungssymptome beginnt und das Leben verlagert sich wieder mehr nach innen. Dies ist kommunikativ ein heikler Moment.

Im Zentrum der Botschaft steht laut Mitteilung die «TTIQ»-Strategie, also: Tracing, Testen, Isolation, Quarantäne. Klappt das nicht wie gewünscht?
Kammer: Gerade das Tracing ist eine enorme Herausforderung für die Kantone. Weil wir jetzt in die Saison kommen, wo Erkältungen wieder vermehrt auftreten werden, ist eine deutlichere Ansprache notwendig. Deshalb der Fokus. Wer Symptome hat, soll sich testen lassen.

«Am Herausforderndsten ist sicher der Appell zum Testen»

Welcher der vier «TTIQ»-Punkte bereitet Ihnen am meisten Bauchschmerzen?
Kammer: Das ist schwer zu sagen. Wie in allen Phasen in dieser Krise ist es kaum möglich vorauszusagen, wie Botschaften wirken und wie sie von der Bevölkerung aufgenommen werden. Am Herausforderndsten ist sicher der Appell zum Testen. Die Frage ist hier, ob im Herbst in der Erkältungssaison, wo für verschiedene Krankheiten dieselben Symptome auftreten können, der Aufruf genügend nachvollzogen wird.

«Mach's einfach!» ist als Aufforderung gemeint. Es könnte aber auch anders verstanden werden: «einfach» im Sinne von «simpel». Haben Sie da keine Bedenken, dass der Slogan falsch verstanden werden könnte – vor allem in der gedruckten Version?
Schärer: Das Motto setzt einen Ton, der doppelt interpretiert werden kann. Dies ist durchaus gewünscht. Mit der letzten Kampagne versuchten wir in Zeiten der «neuen Normalität» und bei tiefen Fallzahlen daran zu erinnern, dass das neue Coronavirus noch da ist. Jetzt, im Herbst, sind wir überzeugt, dass der Ton der Kampagne dringlicher werden muss. Durch den einzigartigen Look mit den Illustrationen der grossartigen Katrin von Niederhäusern wird der Imperativ etwas relativiert.

Einzelne Sujets richten sich speziell an die junge Bevölkerung. Warum wird dieser Fokus nötig?
Kammer: Wir stellen fest, dass derzeit bei jüngeren Menschen Neuansteckungen häufiger auftreten – das ist aufgrund ihrer Lebenssituation und dem damit verbundenen Lebensstil auch nicht verwunderlich. Deshalb möchten wir sie gezielt in ihrer Lebenswelt ansprechen, zum Beispiel in Clubs oder auch auf Tinder.

Warum sind die Jungen am Schwierigsten zu erreichen?
Schärer: Zum einen ist es eine Frage der Kanäle, aber dies ist grundsätzlich zu bewerkstelligen. Dann sollte man auch nicht den Fehler machen, anbiedernd zu wirken. Das Schwierigste aber ist bei der fokussierten Ansprache einzelner Zielgruppen, dass niemand stigmatisiert wird. Das ist bei allen Kampagnen des BAG die oberste Maxime. Deshalb richten sich die Kampagnen grundsätzlich an die Gesamtbevölkerung. Ich glaube, das ist hier ganz gut gelungen, neben der Gesamtbevölkerung die jungen Menschen im Kontext der Kampagne gezielt anzusprechen.

«Das Virus ist hier und wir müssen damit umgehen»

Die Zahl der Corona-Skeptiker wächst. Immer mehr Leute, darunter auch prominente Vertreter, haben genug von den Massnahmen. Ich kann mir vorstellen, dass es das für Sie auch nicht gerade einfacher macht.
Schärer: Die Sorge darum, dass eine Corona-Müdigkeit Einzug halten können, haben wir hier schon am 2. März formuliert. Seither ist mehr als ein halbes Jahr vergangen und es bleibt eine Herausforderung. Persönlich habe ich Mühe mit dem Begriff «Corona-Skeptiker». Das Virus ist hier und wir müssen damit umgehen. Die Kampagne hat die Aufgabe, die Bevölkerung eben dazu zu befähigen. Denn letztlich sind es wir alle und nicht der Bund, der die Verbreitung des Coronavirus eindämmen kann. Was ich übrigens für eine gute Nachricht für unsere Branche halte, Kommunikation kann hier einen echten Unterschied leisten.

Ist es nicht etwas schwierig, wenn schon wieder das Motto geändert wird – oder macht es dieser Wechsel gerade aus, um Aufmerksamkeit zu wecken?
Kammer: Was wir hier erleben, ist eine komprimierte Form im Echtzeitmodus unserer Erfahrung etwa in der HIV-Prävention. Mit «Love Life» kommuniziert das BAG seit über 30 Jahren die immer gleiche Botschaft, muss aber immer wieder neue Strategien finden, um an die Botschaft zu erinnern. Dies ist bei der Kampagne zum neuen Coronavirus nicht viel anders, nur ist es hier ein Wettlauf gegen die Zeit. Deshalb ist die Kampagne in Teilkampagnen ausgelegt. Die Kampagnenbotschaften haben eine Bekanntheit um die 90 Prozent, deshalb müssen wir Abnutzungseffekte vermeiden und die Botschaften variieren. Das ist auch der Grund, weshalb wir etwas bei den Piktogrammen mit einem Farbwechsel arbeiten. Er hat die Funktion zu signalisieren, dass etwas neu ist.

Ende Juli hatten Sie 26 neue Plakatsujets vorgestellt. Bleiben diese aktuell oder werden alle Plakate – auch die Kleinplakate – wieder eingesammelt?
Kammer: Es macht nichts, wenn sie hängen bleiben, denn das Coronavirus ist ja immer noch da. Aber aktiv geschaltet wird jetzt die «Mach's einfach!»-Kampagne.

«Mit der Lancierung wurde ein Momentum verpasst»

Schweifen wir noch weiter zurück, zum Spot, der für die SwissCovid-App werben sollte. Da haben Sie das Ziel nicht erreicht, einverstanden?
Schärer: Die Frage ist, was überhaupt das Ziel gewesen sein könnte und was gewissermassen das Marktpotenzial für die SwissCovid-App ist. Momentan sind 1,6 Millionen Apps aktiv – das halte ich für einen grossen Erfolg. Wo ich mit Ihnen einverstanden bin: Mit der Lancierung wurde ein Momentum verpasst, aus Kommunikationssicht wäre einen Monat vorher der bessere Moment gewesen. Aber um die gesetzliche Grundlage für die App zu schaffen, ging sie noch vors Parlament im Juni. Was natürlich auch aus kommunikativer Sicht vernünftig ist, aber der Vermarktung nicht unbedingt zuträglich war. Aber, wie gesagt: Bei 1,6 Millionen aktiven Apps von einem nicht erfüllten Ziel zu sprechen, das halte ich für überhöht.

Was haben Sie damals unterschätzt?
Schärer: In Umfragen haben wir gesehen, dass die Downloadbereitschaft sehr hoch ist, wenn die Leute gut informiert sind über die Funktionalitäten der App und über sensitive Themen wie Datenschutz. Hier mit falschen Annahmen und Mythen aufzuräumen, war sehr schwierig. Obschon mantraartig erklärt wurde, warum die App aus Datenschutzsicht unbedenklich ist, ist die Botschaft noch nicht zu allen durchgedrungen. Das fand ich erstaunlich, wie sich falsche Annahmen hartnäckig halten.

Gehen wir noch etwas weiter zurück: Anfang Juni sagten Sie, Herr Schärer, im «Creative Coffee» von persoenlich.com: «Ab jetzt wird es richtig schwierig.» Hatten Sie gedacht, dass es so schwierig wird?
Schärer: Ja.

Ganz selbstkritisch: Was würden Sie heute anders machen?
Schärer: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich weiss es nicht. Die Frage «Was wäre, wenn?» ist bei dieser Kampagne unmöglich zu beantworten. Grundsätzlich, meine ich, ist es dem Kampagnenteam bis jetzt ganz gut gelungen, den richtigen Ton zu treffen.

«Das Plakat würde zuerst wohl orange werden»

Die Fallzahlen sind hoch. Was, wenn sie weiter steigen? Steht die nächste Kampagne auch schon in den Startlöchern – oder holen Sie das rote Plakat wieder aus dem Schrank?
Kammer: Das BAG und das Kampagnenteam sind bereit. Mit den Kantonen sprechen wir ab, was lokale Bedürfnisse an die Kampagne sein könnten. Das rote Plakat ist durchaus eine Option, aber ich darf Ihnen heute verraten, dass es zuerst wohl orange werden würde.

Medien haben lange nur die reinen Fallzahlen vermeldet, später dann auch die Anzahl der Getesteten, heute wird häufig zusätzlich die Positivitätsrate dazugeliefert. Hilft Ihnen das bei der Kommunikation?
Kammer: Die Positivitätsrate ist eine Zusatzinformation, die hilft, die Bedeutung der Fallzahlen einzuordnen. Für die Kampagne aber hat dies nicht weiter einen Nutzen. Wir versuchen laufend zu adaptieren, was Informationsbedürfnisse in unmittelbarer Zukunft sein könnten.

Was würden Sie sich von den Medien wünschen?
Kammer: Die Medien haben aus meiner Sicht bis jetzt einen sehr guten Job gemacht und versucht, im Rahmen der Möglichkeiten ein möglichst klares Bild der Situation zu vermitteln. Es gehört natürlich auch dazu, dass die Arbeit des Kampagnenteams des BAG kritisch begleitet wird. Es gab vielleicht Einzelfälle von Clickbaiting, etwa als mit dem Finger auf Menschen gezeigt und insinuiert wurde, dass sie schuld seien an der Verbreitung des Virus. Dies ist den Bemühungen des BAG, nicht zu stigmatisieren, nicht zuträglich. Deshalb wäre es toll, wenn die Medien hier weiterhin zurückhaltend bleiben.



Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Niels Stokholm, 05.10.2020 16:10 Uhr
    "Jetzt an die Hygiene- und Verhaltensregeln halten", ist das absichtlich grammatikalisch falsch? Sollte ja wohl entweder "Jetzt die Hygiene- und Verhaltensregeln einhalten" oder "Jetzt sich an die Hygiene- und Verhaltensregeln halten" oder aber "Halte dich an an die Hygiene- und Verhaltensregeln" heissen, oder?
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240424

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.