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Appetit holen im Rotlichtviertel – bitte nicht

Aleksandra Hiltmann

«A de Langstrass Appetit hole isch ok. Aber gässe wird dihei.» So lautet der Slogan einer Werbung des Küchen- und Haushaltsgeräteherstellers Electrolux, die als Plakat in Zürich prangt (persoenlich.com berichtete).

Der Slogan steht über einem Bild geschrieben, auf dem zwei Personen – mit allgemeinem Blick gelesen als Heteropaar – am Herd stehen. Dass sie gemeinsam am Herd stehen, täuscht nicht darüber hinweg, dass diese Werbung in vielen Aspekten problematisch ist. Oder direkter formuliert: sexistisch.

Erstens: Die Langstrasse ist landläufig bekannt als Rotlichtviertel. Die Arbeits- und Lebensumstände der Sexarbeitenden, die dort Geld verdienen müssen, sind oft schlecht bis schrecklich. Auch das ist bekannt. Sich also in einer Werbung für Haushaltsgeräte darauf zu beziehen, ist geschmacklos. 

Zweitens impliziert der Slogan, dass man rausgeht und sich an Leuten «Appetit» – «Appetit» auf Sex oder Ähnliches – holt. Und dass das «ok» ist.

Zahlen zeigen: Vor allem Frauen werden im öffentlichen Raum belästigt. Vor allem von Männern. Zu sexueller Belästigung zählen nicht nur ungewollte Berührungen, sondern auch eine gewisse Art von Blicken. Sie können belästigend, einschüchternd, angsteinflössend und unappetitlich sein.

Dass hier also darauf angespielt wird, dass der Mann draussen in der Öffentlichkeit andere Frauen «angaffen» kann, bevor er nach Hause zu seiner Partnerin zurückkehrt, ist erneut geschmacklos. 

Nun könnte man sagen, dass es ja vielleicht auch die Frau ist, die sich draussen den Appetit holt – ganz im Sinne der Gleichstellung. Aber wie gesagt: Die Statistik ist andersrum. Die Gesellschaft ist patriarchal geprägt. Die Frau ist nicht jene, die draussen aufreissen kann und dafür gefeiert wird, bevor sie zum «braven» Mann nach Hause zurückkehrt. Diese Interpretation wäre also nicht plausibel in diesem Zusammenhang.

Und selbst wenn die Frau hier das gleiche «Recht» wie der Mann hätte, wäre das nicht wünschenswert. Denn es wäre ebenso sexistisch, einfach andersrum. 

Passend dazu sagte der Psychologe Markus Theunert neulich in der NZZ am Sonntag: «Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive kann es aber nicht erstrebenswert sein, wenn Gleichstellung bloss heisst, dass Frauen sich auf gleiche Weise problematisch verhalten dürfen, wie das bislang den Männern vorbehalten war.»

Nebst diesen Aspekten – Frauen sexualisieren, patriarchale Muster zementieren und Sexarbeitende abwerten – gibt es ein weiteres Problem, welches diese Werbung transportiert: ein veraltetes Beziehungsmodell. 

Die Werbung suggeriert, dass eine monogame Beziehung «anständig» ist. Man darf sich auswärts zwar umschauen. Aber eigentlich normal ist dann doch die Zweisamkeit zu Hause. Das ist nicht sehr modern gedacht. Es gibt heute andere Beziehungsformen, die immer mehr auch offen gelebt werden – da eher enttabuisiert. 

Mit all dem ist die Werbung von Electrolux jedoch nicht allein. Frauen werden in Werbungen immer wieder sexualisiert und stereotypisiert. Produkte, die nichts mit Erotik oder etwa Unterwäsche zu tun haben, werden gerne mit unnötig viel nackter Haut oder lasziven Posen beworben. Frauen in Werbungen müssen noch immer oft dem stereotypen Schönheitsideal «jung, schlank, blond, weiss, makellos» entsprechen, egal, ob sie für Schönheitsprodukte, Lebensmittel oder Freizeitaktivitäten werben.

Lässt man Frauen zusammen mit der Familie auftreten, dann sind diese Familien oft weiss und heteronormativ. 

Und auch ohne Menschen auf einem Plakat kann man Frauen sexualisieren und stereotypisieren. Durch Slogans, die auf ihre Kosten gehen, sexuelle Anspielungen beinhalten und sich Klischees bedienen.

Das ist schade – und auch unverantwortlich. 

Unverantwortlich, weil Werbung uns beeinflusst – das soll sie je gerade. Aber nicht mit Gesellschaftsbildern, gegen die sehr viele Menschen in der Schweiz im Zuge der Gleichstellung und Gleichberechtigung ankämpfen.

Und schade, weil Werbung eigentlich ein kreatives Business ist. Werbung kann mehr als sexistische Sprüche klopfen und heteronormatives Familienleben zelebrieren. 

Das zeigt etwa die Migros, in deren Werbungen regelmässig ein schwules Paar für Essen wirbt. Humorvoll und ohne Anzüglichkeiten. 

Oder die Plakate des Baumarkts Hornbach, wo die Frau mit schmutzigen Händen auf dem Rasen liegt und Gartenarbeit macht oder die Schubkarre voller Erde über den Platz fährt. Diese Werbung spielt mit dem Klischee des starken Mannes, dem Handwerker im Haus. Hier erledigt aber nicht er die harte Arbeit, sondern die Frau. Dies geschieht jedoch ohne den Unterton eines erhobenen Zeigefingers oder einer Abwertung. 

Deshalb kann man bestimmt auch Werbung für Küchen- und Haushaltsgeräte machen, ohne sich den Appetit für das grandios gesteamte Essen im Rotlichtviertel holen zu müssen.



Aleksandra Hiltmann ist Journalistin und hat bis Frühjahr 2023 bei Tamedia gearbeitet. Sie schreibt über Themen rund um Gesellschaft, Diversität und Balkan. Sie hat in Zürich Politikwissenschaft und Publizistik studiert.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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