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Das tote Inserat

Stefan Millius

Die «Zentralschweiz am Sonntag», eine gedruckte Zeitung, erscheint Ende Juni zum letzten Mal (persoenlich.com berichtete). Dann schlägt auch das letzte Stündchen für die «Ostschweiz am Sonntag», eine früher mal gedruckte Zeitung, die im Herbst 2017 in ein E-Paper umgewandelt wurde. Die beiden Produkte seien in der Entstehung eng miteinander verknüpft, sagte Pascal Hollenstein, der publizistische Leiter von CH Media gegenüber Radio SRF, und deshalb bedeute das Ende in der Zentralschweiz auch den Schlusspunkt in der Ostschweiz.

Und: Man habe zu wenig Inserate verkauft. Das, mit Verlaub, ist möglicherweise die Untertreibung des Jahres. Die aktuelle Ausgabe des Ostschweizer E-Papers zum Sonntag umfasst 36 Seiten. Darin befinden sich zwei ganzseitige Inserate. Eins zur Bewerbung des St.Galler Auffahrtslaufs. Die Tagblatt Medien, also die Herausgeberin der «Ostschweiz am Sonntag», sind Medienpartner des Anlasses. Viel Geld ist da kaum geflossen, wenn überhaupt. Eine weitere ganze Seite belegt ein Reiseangebot. Dabei handelt es sich um einen Teil von «AboPlus» des Tagblatts, eine Art Goodie-Aktion für Abonnenten – also letztlich ein Eigeninserat. Und schliesslich sind zwei klitzekleine Inserate zu finden, eines von der Pro Juventute – die rückt man gerne kostenlos ein, um ein Loch zu füllen – und eins von einem Theaterverein.

Wenn man ein Viertelauge zudrückt, darf man hier getrost von einer werbefreien Zeitung sprechen. Der Erlös dieser Ausgabe dürfte einem Volontär einen halben Tag Arbeit finanzieren, mehr nicht.

Dass der Anzeigenmarkt nicht unbedingt scharf ist auf ein reines E-Paper, das war zu vermuten gewesen. Leute, die im Print inserieren, glauben unerschütterlich daran, dass nur Print funktioniert, und sie tauchen ab, wenn das Papier verschwindet. Dass aber gleich so gut wie nichts übrigblieb, ist hingegen eher eigenes Verschulden.

Das Problem ist: Die «Ostschweiz am Sonntag» wurde rein technisch gesehen zwar digitalisiert, sie verzichtete aber auf jeden Vorteil, den die Digitalisierung bietet. So ist es beispielsweise nicht möglich, auf die Anzeigen im E-Paper – wenn es denn welche hat – zu klicken oder zu tippen. Dabei ist es ja gerade das, was online für Werbekunden interessant macht: Die Leser direkt zu sich zu bringen. Ein Inserat in einer klassischen gedruckten Zeitung krankt daran, dass man abends im Bett liegt, sich wieder an dieses tolle 2-für-1-Angebot erinnert – aber beim besten Willen nicht mehr daran, ob das nun Migros, Coop, Aldi oder Lidl war. Der klassische Medienbruch eben.

Die «Ostschweiz am Sonntag» hat nun das folgende Kunststück fertiggebracht: Sie ist komplett in die digitale Welt umgezogen, hat sich dort aber weiterhin verhalten wie eine gedruckte Zeitung. Man konnte die Inserate anschauen – aber tun konnte man nichts. Keine Interaktionsmöglichkeit, kein hinterlegter Link, gar nichts. Und am Abend im Bett erinnert man sich vermutlich noch weniger an ein Onlineinserat als an ein gedrucktes. Es waren tote Inserate. Aber wenigstens gab es wenig Leichen.

Wieso man das gemacht hat? Es ist ein Rätsel. Aber: Es kann eigentlich nur ein bewusster Entscheid gewesen sein. Denn rein technisch könnte vermutlich der achtjährige Göttibub des Layouters dafür sorgen, dass es anders ist. Welche Motivation man haben kann, den Werbekunden möglichst keinen Mehrwert zu verschaffen, bleibt schleierhaft.

Es ist kein Geheimnis, dass sich CH Media in Zukunft sehr stark in Richtung digitale Medien bewegen will. Nicht ganz freiwillig, die gedruckten Zeitungen laufen schlecht, die Zukunft gehört den Onlinemedien. Im Hause Wanner im Aargau gibt es auch viele Kompetenzen in diesem Bereich. Das lässt hoffen, dass künftige digitale Produkte nicht mehr ohne Not die einfachsten Mechanismen ausser Acht lassen.



Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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Kommentare

  • Robert Weingart , 19.03.2019 19:52 Uhr
    Millius, der Besserwisser.
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