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Die Chronik eines angekündigten Todes II

Kann man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? Dies wurde in der Vergangenheit zwar oft versucht, in den meisten Fällen aber mit eher mässigem Erfolg. Doch die Not leidende Presse hält das nicht davon ab, es trotzdem immer wieder mit dieser Methode zu versuchen.

So präsentierte die noble «NZZ am Sonntag» am 25. Juni in ihrem hochklassigen Kulturteil eine Seite mit dem Titel «Kult mit Klasse», und zwar im unverfälschten Layout-Stil der Zeitung. In ganz feiner Schrift wurde dies im Kopf als «Sponsored Content für Cartier» ausgewiesen. Am Fuss der Seite fand sich zusätzlich folgender Hinweis: «Dieser Artikel wurde von NZZ Content Solutions im Auftrag von Cartier erstellt.» Und damit wurde eine weitere Eskalationsstufe in der Vermischung von Werbung und Inhalt erklommen. Was früher schüchtern und für viele Leser bewusst unverständlich als «Publireportage» verkauft wurde, wird nun, ohne schlechtes Gewissen, als «Artikel» verramscht. Diese Seite sei «Sponsored Content für Cartier» wird zudem frech behauptet, während es natürlich richtig heissen müsste: «Sponsored von Cartier». Man sorgt also, wohl beschämt über das eigene Vorgehen, zusätzlich für Verwirrung, indem man vertuscht, wer denn hier wen sponsert.

Dies ist nur ein Beispiel unter vielen. Ähnlich verfuhr der Tages-Anzeiger mit einer Seite im ersten Bund zum Thema Schlafen, die sich erst beim genauen Lesen als eine kaschierte und bezahlte Werbeplattform für Ikea herausstellte. Auch andere Zeitungen handeln ähnlich. Diese Entwicklung beweist, dass weder die Zeitungen noch ihre potenziellen Werbekunden noch richtig an die Wirkung von gedruckten Anzeigen glauben, die bisher für die gedruckte Presse eine zentrale Einnahmequelle waren. Deshalb müssen sie die Kampfzone mit neuen kreativen Vernebelungsaktionen ständig erweitern. Das tun sie, um bei den Lesern jene Aufmerksamkeit und Zuwendung zu wecken, die im heutigen Medienumfeld selbst teuer produzierte Hochglanzanzeigen offenbar nicht mehr erreichen. Denn im Vergleich zu den elektronischen Medien Radio und Fernsehen mit ihren vielfältigen und emotionalen Anspracheformen verblassen die spielend leicht überblätterbaren Anzeigen immer mehr. Dies ist ein Grund, weshalb die Werbeeinnahmen der Zeitungen auch in diesem Jahr weiter dramatisch zerbröseln. Und deshalb versucht man es mit der Brechstange, wie es selbst die noble «NZZ am Sonntag» demonstriert.

Dies aber kann fatale Folgen haben. Denn damit weisen selbst die Leuchttürme der gedruckten Presse ihre potenziellen Werbekunden selbst darauf hin, dass auch sie es mit irgendwelchen Vertuschungsaktionen versuchen müssen, weil die Wirkungsweise von traditionellen Anzeigen nicht mehr ausreicht. Wenn sich diese Erkenntnis aber breit durchsetzen sollte, kommen die Zeitungen erst recht in die Bredouille. Zwar können sie auf diese Weise ihre wegbrechenden Einnahmen kurzfristig etwas pampern. Aber langfristig begeben sie sich in Teufels Küche. Denn eine Zeitung mit einer Vielzahl solcher Ikea-Cartier-«Artikel» verliert ihre Glaubwürdigkeit. Und damit würde das wichtigste Kapital der gedruckten Presse auf gefährlichste Weise beschädigt. Und wer weiss, welche zusätzlichen Verpackungstricks sich die verzweifelten Verlagsmanager von der «Content Solutions»-Abteilung als Nächstes ausdenken, um sich zumindest noch gewisse Einnahmebrosamen zu sichern.

Und deshalb sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Fördert man mit solchen aus der Verzweiflung geborenen, kurzfristig wirkenden Entgleisungen aus Angst vor dem Tod den langfristig initiierten Selbstmord? Ich glaube, dies ist ein Thema, das nicht nur in Redaktionen diskutiert werden sollte, was in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den leidgeprüften Verlagsleuten oft nur tuschelnd geschieht. Hier müssen sich auch die Verlagsoberen stellen und Farbe bekennen. Denn das Thema ist so zentral, dass jedes andere Verhalten selbstzerstörerisch wäre.

 

 

 

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KOMMENTARE

Markus Gabriel
21.07.2017 12:20 Uhr
Warum genau ist jetzt ein Artikel übers Schlafen glaubwürdiger, wenn er im Auftrag eines Verlages und nicht im Auftrag eines Möbelhauses geschrieben wurde? Braucht es grosse, laute Werbeflächen in einer Zeitung, um die Unabhängigkeit der Redaktion augenfällig zu machen? Und, Herr Schawinski, sehen Sie jetzt wirklich in diesem Artikel den perfiden Auswuchs einer Publireportage, die sich erdreistet, den Namen Ikea nicht mal zu erwähnen oder deren Betten heimlich auszuloben? Werfen Sie jetzt dem Verlag tatsächlich vor, dass er gegen Geld einen werbefreien Artikel publiziert, den die Leser womöglich interessant finden? Und haben Sie eine bessere Idee, wie sich die Interessen eines Unternehmens mit dem eines Verlages und den der Leser vereinbaren lassen? ((Selbstdeklaration: Ich schreibe diesen Kommentar ohne Mandat, und Ikea ist nicht mein Kunde.))
Anita Herzig
21.07.2017 11:13 Uhr
Endlich kritisiert ein anerkannter Medienmacher diesen Glaubensverlust in unsere Zeitungen in schriftlicher Form. Auch Victor Giacobbo wies in einer Satire-Sendung auf den Missstand hin, dass sich Journalismus und Werbung mehr und mehr vermischen und kaum noch zu unterscheiden sei. Zeitungsmacher sollten wissen, dass Satire weit mehr als Witz ist. Und es bleibt zu hoffen, die scheltende Mahnung von mittlerweile zwei preisgekrönten Medienstars werde von den Zeitungsredaktionen gehört, verstanden und ernst genommen. Ich persönlich bin bereits so weit, dass ich die meisten Sonderbeilagen ungelesen wegwerfe. Jede anständige Zeitung sollte mindestens sporadisch die Leser darüber informieren, was SDA bedeutet, woran von der Zeitung recherchierte Berichte erkennbar sind, wer «Publi-Reportagen» schreibt und zu welchem Zweck – und auch was «pd» bedeutet. Und bei mehrseitigen Sonderbeilagen müsste klar deklariert werden, wer diese lanciert und finanziert hat.
Ueli Custer
21.07.2017 10:27 Uhr
Roger trifft den Nagel auf den Kopf. Auch ich verfolge diese selbstzerstörerische Entwicklung mit grosser Sorge. Denn ich bin ein Zeitungsfreak seit ich lesen kann.
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