BLOG

Die fatale Kraft des gut Gemeinten

Der Vorgang ist wohl einmalig. Das Buch «Finis Germania» des Historikers Rolf Peter Sieferle erreichte in der «Spiegel»-Sachbuchbestsellerliste Platz 6. In der nächsten Woche war es spurlos verschwunden. Verkäufe eingebrochen? Nein, die Chefredaktion des «Spiegel» hatte kommentarlos beschlossen, es zu entfernen.

Gegen die polemisch-pessimistische Essay- und Notizensammlung des an der Universität St. Gallen lehrenden Professors war im deutschen Feuilleton die Allzweckwaffe im Umgang mit unbotmässigen Meinungen geschwungen worden: die Nazikeule. Es sei «antisemitisch», weil sich Sieferle über den Zusammenhang zwischen Holocaust, Kollektivschuld und der aktuellen Flüchtlingskrise geäussert hatte. Der Inhalt dieses Sammelsuriums soll hier nicht Thema sein.

Auf die Bestsellerliste des «Spiegel» kam es, weil es ein Redaktor des Nachrichtenmagazins als Mitglied der angesehenen Jury «Sachbuch des Monats» wärmstens empfohlen hatte. Dafür kriegte er öffentlich von seinem eigenen Chefredaktor eins über die Rübe, der hatte «kein Verständnis für diese Empfehlung» und begrüsste den Rücktritt seines Redaktors aus der Jury, «wegen des entstandenen Schadens». Worin der bestand, konnte der Chefredaktor aber nicht begründen, der von ihm selbst angerichtete Schaden lässt sich aber beschreiben.

Natürlich blieb dieser Vorgang nicht unbemerkt, und die Chefredaktion des «Spiegel» machte es mit einer nachgeschobenen Begründung noch schlimmer: «Der ‹Spiegel›, der sich auch bei historischen Themen als Medium der Aufklärung versteht, will den Verkauf eines solchen Buchs nicht befördern.» Das sah der grosse Aufklärer Voltaire (1694 – 1778) entschieden anders; ihm wird das Zitat zugeschrieben: «Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äussern dürfen.» Natürlich sind auch der Meinungsfreiheit Grenzen gesetzt. Aber nur das möglichst freie Aufeinanderprallen verschiedener Meinungen, auch und gerade missliebiger, befördert den Fortschritt, den Erkenntnisgewinn, ist die Basis der von der Aufklärung erkämpften modernen Zivilisation. Grenzen setzt das Gesetz, nicht selbsternannte Grossinquisitoren, das neue Juste Milieu, das meint, im Besitz der Wahrheit und des Wissens um das Gute zu sein.

Peinlich und lachhaft ist, dass der «Spiegel» selbst nach Kräften alles dafür getan hat, dass dieses schmalbrüstige Werk eine breite Leserschaft gefunden hat. Mit der fatalen Kraft des gut Gemeinten, das eigentlich immer das Gegenteil des Gewünschten bewirkt, hat er einer zum gefährlichen Machwerk dämonisierten Notizensammlung eine Aufmerksamkeit verschafft, die sie wohl nicht verdient. Also kann nicht ihr Inhalt Thema sein, sondern der Zustand des bedeutenden deutschen Nachrichtenmagazins. Dass es sich vorgenommen hat, das «Ende der Welt» zu verhindern und Donald Trump aus dem Amt zu schreiben, ist schon lachhaft und arrogant genug. Dass es sich im Umgang mit einer missliebigen Meinung, die man als «philosophisches Meisterwerk» oder als «völkische Angstfantasie» interpretieren kann, dermassen verstolpert, ist aber fatal. Welche Verunsicherung, welche Verkrampfung, welche Verzweiflung, welche Hirnstarre, welche intellektuelle Schnappatmung muss dort in den Führungsgremien herrschen.

Es gibt den «Spiegel», der seine Aufgabe im deutschen Automobilskandal erfüllt. Und es gibt den «Spiegel», der sein Renommee, seine Reputation mutwillig und anhaltend beschädigt. Verschattet von der Arroganz, in diesem Fall nicht zugeben zu können: «Das war nun wirklich bescheuert, wir sagen, was ist und haben keine Angst vor der Wahrheit: versemmelt, ins eigene Knie geschossen, tun wir nie wieder.»


René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «Sonntagszeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen