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Gesinnungsterror am 1. Mai

René Zeyer

Wie jedes Jahr das Fest der internationalen Solidarität, der Menschlichkeit, des Multikulturellen, dem jede Ausgrenzung fremd ist. Also wird am 1. Mai auf dem Kasernenareal in Zürich gesungen, gebacken, gebrutzelt und gebechert.

Zum bunten Reigen der Angebote aus aller Welt gehört seit vielen Jahren ein peruanischer Stand, der Empanadas feilbietet und damit Projekte in Peru unterstützt. Betrieben wird er von der Peruanerin Delia und ihrer Familie. Völkerfreundschaft, hoch lebe die internationale Solidarität. Könnte man meinen.

Einige vermummte Lumpen sahen das anders. Sie drangen in den Stand ein und fingen an, rumzupöbeln. Sie wollten sich Delias Mann vorknöpfen, wurden aber kurzerhand nach einem Handgemenge hinausspediert. Aber vermummte Lumpen gibt es leider zahlreich am 1. Mai. Also kamen sie mit Verstärkung zurück und wollten Delias Mann ins Dunkle des Areals zerren, um ihn dort richtig zu vermöbeln.

Glücklicherweise konnte er sich losreissen. Währenddessen ruinierten andere Lumpen das vorbereitete Essen und randalierten im Stand. Schliesslich zogen sie sich zurück. Delias Mann ebenfalls, mit zerissenem Hemd und einigen blauen Flecken. Wie es sich für Lumpen gehört, bekam auch seine Tochter einen Schlag in die Magengrube ab.

Während des ganzen Vorfalls feierten die Solidaritätsbesoffenen rundherum fröhlich weiter; niemand kam auf die Idee, einzugreifen, den vermummten Feiglingen den Marsch zu blasen. Stattdessen wurde «Guantanamera» gegrölt und der Abscheu über die Ausbeutung Lateinamerikas Ausdruck verliehen, indem man kubanischen Rum, brasilianischen Cachaça und internationalistische Sangría runterschüttete.

Aber was veranlasste diese feige Meute zu ihrem Angriff? Wieso sollte Delias Mann vor ihren Augen und vor den Augen seines Sohnes und seiner Tochter zusammengeschlagen werden? Ist er Drogenhändler, Menschenhändler, beutet er arme Peruaner aus? Nein, schlimmer noch: Er ist Journalist bei der «Weltwoche». Angesehen als einer der wohl besten Gerichtsreporter der Schweiz, als hartnäckiger Rechercheur, als unabhängiger Geist.

Ausserdem ist Alex Baur schon viele Jahre mit Delia verheiratet, lebt genauso lange im Kreis 3, ist ein liebevoller und hilfsbereiter Familienvater, der in seinem ganzen Leben schon entschieden mehr für Lateinamerikaner getan hat als die grosse Mehrheit der Solidaritätsbesoffenen am 1. Mai. Ausserdem, damit das klar ist, ist er mein Freund.

Was ihm, was seiner Familie passiert ist, ist einfach zum Kotzen. Die feigen Lumpen sagten ganz klar, dass Baur verschwinden solle, er sei SVP, «Weltwoche», er habe hier nichts zu suchen, wo doch das friedliche Zusammenleben, unabhängig von Herkunft, Rasse, Hautfarbe und politischer Meinung, gepflegt wird. Nein, den letzten Teil sagten sie natürlich nicht. Sonst wäre ihnen vielleicht die perverse Absurdität ihres Tuns aufgefallen.

Baur verzichtet auf eine Anzeige, wozu auch, das 1.-Mai-Komitee sagt, was man halt so sagt, «wir verurteilen den Vorfall und Gewalt gegen Einzelpersonen.» Wers glaubt, muss zur Strafe zweimal «Bella ciao» singen. Und sonst? Michèle Binswanger, muss man ihr lassen, berichtete über den Vorfall im «Tages-Anzeiger». Aber sonst herrscht dröhnendes Schweigen in Journalistenkreisen. Da wurde einer, weil er seiner Frau hilft, am 1. Mai übel geprügelt, der Stand verwüstet und eine allgemeine Keilerei angefangen. All das nur, weil Baur für diese Lumpen für die falsche Zeitschrift arbeitet. Seine Familie und er nehmens glücklicherweise gelassen; er sagt, niemand sei traumatisiert.

Jeder, der nicht im Mainstream schwimmt, erlebt Shitstorms, anonyme Drohungen, sogar Plakataktionen, die die Nachbarschaft darauf aufmerksam machen sollen, was für ein übler Zeitgenosse hier unter ihnen haust. Damit lernt man zu leben; werden die Drohungen zu unverschämt, probiert man es mal mit einer Anzeige gegen Unbekannt. Man wird auch von ganz Mutigen direkt verbal angegangen, angepöbelt, beschimpft. Aber dass eine offensichtlich organisierte und vorbereitete Horde während eines Fests zuschlägt, das ist neu. Das ist widerwärtig.

Alle Umstehenden während dieses Übergriffs, alle Journalisten, die nicht nur schweigen, sondern zum Teil auch klammheimliche Freude verspüren, alle Gutmenschen, hier ist dieses Schimpfwort angebracht, die meinen, im Kampf gegen das angeblich Böse sei alles erlaubt, die sollten sich was schämen. Aber dazu sind sie wohl zu einbetoniert in ihre arrogante Selbstsicherheit. Und merken dabei gar nicht, was für ein erbärmliches Bild sie abgeben, wenn ausgerechnet am 1.-Mai-Fest ausgegrenzt, diskriminiert, sabotiert und zugeschlagen wird. Die schulterzuckenden Zuschauer, vor Ort und auch sonst wo, machen sich mitschuldig.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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Kommentare

  • Victor Brunner, 05.05.2019 09:30 Uhr
    Einmal mehr Zeyer. Unterschwellig die ganze Linke in Geiselhaft nehmen. Wenn in Zürich Fussballfans randalieren nimmt er dann alle in Geiselhaft auch die auf den Rängen sitzen? Natürlich nicht, da sitzen ja auch mögliche Klienten! Ob sich der Vorfall so ereignet hat wissen nur Delia und Alex Baur! Widerwärtig ist das ganze allemal und wer vermummt auftritt hat eh nichts positives an sich! Interessant an der Berichterstattung von Binswanger und Zeyer. Betroffen war ein guter Journalist, gefährlicher Übergriffe über die nicht berichtet wird gibt es viele! JournalistenInnen als besondere Nomenklatura, oder ist es einfach eine Berufsgattung mit eingeschränktem Fokus?
  • Robert Weingart , 03.05.2019 20:02 Uhr
    Schlimm, was Herr Bauer und seiner Familie passiert ist von diesen offenbar polititisch Verblendeten. Hoffentlich wird die Justiz trotzdem aktiv, sowas darf nicht toleriert werden. Aber ist es nicht Gerade sind es nicht doch solche offensichtliche Schwwarzweissmalereueb und aggressiven Pamphlete wie dieser Blogbeitrag Zeyers, die unsere Gesellschaft entzweien. Der Autor ist offenbar nicht fähig, seine Emotionen im Griff zu halten.
  • Corinne Weber, 03.05.2019 10:19 Uhr
    Herzlichen Dank für den couragierten Beitrag, mir aus der Seele gesprochen!
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