Zürich, null Punkte. Corine Mauch, Stadtpräsidentin und oberste Kulturchefin, äusserte in Rekordzeit ihr Bedauern über das Ausscheiden von Zürich als ESC-Austragungsort. Und das tönte ehrlich. Die Ablehnung kam aus heiterem Himmel und löste an der Limmat trotz Hitzetemperaturen einen temporären Kälteschock aus. Mit der grössten Halle der Schweiz, dem wichtigsten Flughafen des Landes, der Anbindung an die Leutschenbach-Studios, den vorhandenen Hotelkapazitäten und der Erfahrung mit Grossanlässen wie den beiden Taylor-Swift-Konzerten vor einer Woche oder der Street Parade war Zürich nicht nur prädestiniert für den imposantesten Showevent der Welt, es war auch der heimliche Favorit, wie aus SRG-nahen Kreisen zu hören war.
Gemäss Tages-Anzeiger haben ausgerechnet Bern und Zürich, die beiden ausgeschiedenen Bewerber, bereits einen Rahmenkredit zwischen 25 und 29,4 Millionen Franken genehmigt, dies im Gegensatz zu Genf und Basel. Ein Damoklesschwert war höchstens noch das angedrohte Referendum von EDU und SVP. Ob dieses während der Sommerzeit überhaupt zustande gekommen wäre, ist aber fraglich.
Klar fruchtete die ESC-Euphorie in Zürich erst mit Verzögerung, was sich darin zeigte, dass das Komitee «Züri isch ESC» relativ spät ins Leben gerufen wurde; aber – und dies als Gegenargument – es wurde zumindest ins Leben gerufen. Trotzdem ist die Suche nach den Gründen, die zur Ablehnung führten, müssig. Höchstwahrscheinlich gibt es bei einer solch emotional aufgeladenen Frage auch keinen gerechten Entscheid.
Verschiedentlich wird jetzt spekuliert, dass sich der zurücktretende SRG-Generaldirektor Gilles Marchand mit Genf ein «Abschiedsgeschenk» (20 Minuten) gegönnt habe. Als Leiter des Steuerungsausschusses hatte er bei der ganzen Ausmarchung ein gewichtiges Wort mitzureden. Dass der Anti-Zürich-Entscheid nun doch noch zu einem Politikum werden könnte, zeigt die Reaktion der SRG. Gegenüber 20 Minuten bezeichnete Kommunikationschef Edi Estermann diese Spekulationen als «sehr bösartigen und dummen Vorwurf».
Um dies zu entkräften, gäbe es für die SRG nun zwei Möglichkeiten: Gilles Marchand tritt als Chef des Steuerungsausschusses zurück und wird bei der Schlussentscheidung durch die künftige Generaldirektorin Susanne Wille ersetzt. Oder Basel bekommt den Zuschlag.
Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com.
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Kälteschock an der Limmat